„Angriff auf das freie Mandat“
Deutschland. Gäste der AfD haben Abgeordnete bedrängt und beschimpft. Die Störaktion hat nun ein politisches Nachspiel – und ein juristisches könnte folgen.
Berlin. Das Entsetzen war groß und die Wut noch keineswegs verflogen, als die Abgeordneten des Bundestags am Freitag über jene Szenen debattierten, die sich keine 48 Stunden zuvor dort in den Fluren und Gängen des Reichtagsgebäudes abgespielt hatten. Gäste von AfD-Abgeordneten hatten einige Parlamentarier bedrängt und beschimpft und die Szenen teilweise live ins Netz übertragen.
Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer von CDU/CSU, der größten Fraktion im Bundestag, wähnte in den Störaktionen einen „Angriff auf das freie Mandat“und auf die Demokratie. CSU-Mann Stefan Müller nannte die AfD eine „kriminelle Schleuserbande“. Die vier Aktivisten, darunter ein rechter YouTuber, waren nach Erkenntnissen der Bundestagspolizei auf Einladung der AfDAbgeordneten Udo Hemmelgarn, Petr Bystron und Hansjörg Müller ins Parlament gelangt. Auch Rebecca S. zählte zu den Störern. Die rechte Aktivistin, früher Flüchtlingshelferin, pöbelte Wirtschaftsminister Peter Altmaier an. „Sie haben kein Gewissen“, ätzte sie, während sie Altmaier mit der Handykamera nachstellte. Als der Minister im Lift verschwand, hört man die Frau noch „So ein Arschloch“und „aufgeblasener kleiner WannabeKönig“schimpfen.
AfD-Fraktionsführer Alexander Gauland entschuldigte sich am Freitag zwar für das „unzivilisierte“Verhalten der Gäste. Vorwürfe, die AfD hätte im Vorhinein von der Störaktion gewusst, nannte der 79-Jährige aber „infam“.
„Sie hassen die Institutionen“
Die anderen Parteien vermuten indes eine konzertierte Aktion. Die Botschaft, wonach die AfD die Parlamentskultur beschädige, zog sich wie ein roter Faden durch viele Reden am Freitag. „Sie wollen die Institutionen in den Schmutz ziehen, weil Sie sie hassen“, erklärte zum Beispiel Marco Buschmann, Geschäftsführer der FDP-Fraktion in
Richtung AfD. Nach dem politischen droht auch ein juristisches Nachspiel. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) lässt rechtliche Schritte prüfen – und zwar ausdrücklich auch gegen jene, „die den Störern Zugang zu den Liegenschaften des Bundestags verschafft haben“. Der ehemalige Finanzminister nannte die Vorfälle „sehr ernst“. Sie hätten bei Parlamentariern und Mitarbeitern Ängste ausgelöst und das Potenzial, „eine Atmosphäre zu schaffen, die einer freien und offenen Diskussion entgegensteht“.
FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, selbst Anwalt, brachte den Straftatbestand „Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans“ins Spiel, weil die Störer Abgeordnete auf das Infektionsschutzgesetz angesprochen hatten, das am selben Tag verhandelt wurde. AfDMandatare könnten in diesem Fall wegen Beihilfe belangt werden, so Kubicki. Ob es dazu kommt, ist fraglich. Sicher scheint nur, dass die Sicherheitsvorkehrungen im Parlament verschärft werden.