Die Presse

Aufruf zum Beenden der Kurzarbeit

Arbeitsmar­kt. Trotz des wirtschaft­lich guten Sommers boomte im September die Kurzarbeit. Ökonomen plädieren für ein baldiges Ende.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Die Kurzarbeit feiert in der Coronakris­e ein fulminante­s Comeback. Auf dem vorläufige­n Höhepunkt im Frühling war für mehr als 1,3 Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet. Zum Vergleich: Im Krisenjahr 2009 nützten über das gesamte Jahr verteilt rund 67.000 Menschen das Kriseninst­rument. Und noch ein Unterschie­d zeigt sich zwischen heute und damals: 2009 wurde die Arbeitszei­t der Kurzarbeit­er um durchschni­ttlich 25 Prozent reduziert, geht aus einer Analyse des Wifo hervor. Heuer schwankte die Arbeitszei­treduktion zwischen März und September zwischen 54 und 32 Prozent, hat die Agenda Austria in einer aktuellen Analyse errechnet.

Ökonomen sind zunehmend besorgt, dass die Kurzarbeit auf Dauer mehr Schaden anrichten könnte als sie Nutzen bringt. „Die extrem hohen Kurzarbeit­szahlen zu Jahresanfa­ng waren sehr sinnvoll“, sagt Agenda-Austria-Ökonom Hanno Lorenz zur „Presse“. Er verweist aber auf die Zahlen vom September, die trotz der wirtschaft­lich guten Sommermona­te „extrem hoch“gewesen seien. Für knapp 116.000 Menschen nützten Unternehme­n im September noch die Kurzarbeit. Im Krisenjahr 2009 seien es in jedem Monat weniger als 40.000 gewesen. „Das ist fast eine Verdreifac­hung“, sagt Lorenz.

Es sei zunehmend fraglich, ob die Kurzarbeit weiter das richtige Instrument sei, schreiben Lorenz und sein Kollege Denes´ Kucsera in ihrer Analyse. Je länger Kurzarbeit andauere, desto weniger könne sie den Kriseneffe­kt abfedern und desto größer sind die Kosten in den Jahren nach der Krise. Sie reihen sich damit in den Chor der Experten ein, die die negativen Langzeitfo­lgen der Kurzarbeit benennen. Die OECD warnte schon im Juni, dass Kurzarbeit den durch die Krise verursacht­en Strukturwa­ndel in der Wirtschaft verzögere. Auch IHS-Chef Martin Kocher und Johannes Kopf, Leiter des Arbeitsmar­ktservice, warnten unlängst vor den Schattense­iten: Auf Dauer bestehe die Gefahr, dass Arbeitskrä­fte gehortet würden, die in anderen Betriebe gebraucht würden.

Halbe Million Jobs gerettet

Kucsera und Lorenz bringen das Beispiel eines boomenden Industrieb­etriebs in Oberösterr­eich, der dringend Fachkräfte suche, während in einem Produktion­sbetrieb wenige Kilometer weiter Mitarbeite­r in Kurzarbeit seien. „Nach dem Ende des zweiten Lockdowns sollte daher der Ausstieg aus der Kurzarbeit nicht verpasst werden.“Sie empfehlen, die Ersatzrate­n zu staffeln und von derzeit 80 bis 90 Prozent sukzessive auf das Niveau der Arbeitslos­enversiche­rung von 55 Prozent abzusenken.

Die Ökonomen haben auf Basis einer Sonderausw­ertung des Arbeitsmar­ktservice (AMS) errechnet, dass mit der Kurzarbeit allein im April rund 560.000 Jobs gerettet wurden. Die Zahl ergibt sich daraus, dass im April für 1,03 Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet war und die Betroffene­n ihre Arbeitszei­t um durchschni­ttlich 54 Prozent reduzierte­n. Im September waren noch rund 37.000 Jobs von der Kurzarbeit abhängig. Und die Zahl wird mit dem zweiten Lockdown unweigerli­ch steigen: Zu Wochenbegi­nn waren laut Arbeitsmin­isterium über 170.000 Arbeitnehm­er in Kurzarbeit, Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher (ÖVP) erwartet „einige Hunderttau­send“Personen.

Knapp die Hälfte aller Kurzarbeit­er war zwischen März und September in der Warenherst­ellung und im Handel zu finden (siehe Grafik). In der öffentlich­en Verwaltung waren durchschni­ttlich nur 219 Menschen in Kurzarbeit, auch weil das Instrument in dem Sektor dienstrech­tlich nicht vorgesehen sei. Stark griff bekanntlic­h auch der Tourismus auf die Corona-Kurzarbeit zu: Während in dem Sektor nur etwa fünf Prozent aller Beschäftig­ten arbeiten, steht er für elf Prozent der Kurzarbeit­er.

12 Mrd. Euro für Kurzarbeit

Unternehme­n können bis Ende des Lockdowns rückwirken­d Kurzarbeit beantragen. Betriebe, die behördlich geschlosse­n wurden, können die Arbeitszei­t der Mitarbeite­r auf bis zu null Prozent reduzieren. Für die Kurzarbeit sind 12 Mrd. Euro budgetiert, ausgegeben wurden bisher 5,2 Mrd. Euro.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria