Die Presse

Wie die Notenbank die Staatsschu­lden steuert

Anleihen. Staaten wie Österreich und Deutschlan­d nehmen auf dem Kapitalmar­kt heuer doppelt so viel auf wie geplant.

- VON NICOLE STERN

Wien. An den Staatsanle­ihenmärkte­n wird in der Regel nichts dem Zufall überlassen. Die nationalen Schuldenag­enturen bereiten ihre Investoren meist schon am Ende eines Jahres darauf vor, was sie in den kommenden zwölf Monaten zu erwarten haben. Also in welchem Ausmaß sich ein Staat über den Anleihemar­kt oder andere Finanzieru­ngsinstrum­ente verschulde­n wird.

Nicht lang nach der Veröffentl­ichung der Finanzieru­ngspläne für 2020 mussten diese jedoch schon wieder revidiert werden. Die Coronakris­e machte den Staaten einen Strich durch die Rechnung. In Folge flächendec­kender Geschäftss­chließunge­n musste die öffentlich­e Hand Unternehme­rn wie Arbeitnehm­ern gehörig unter die Arme greifen. Kaum ein Staat stemmt solche Ausgaben aus der Portokasse. Selbst Deutschlan­d nicht, das in den vergangene­n Jahren Budgetüber­schüsse eingefahre­n hat. Weshalb am Ende der Kapitalmar­kt herhalten muss.

Investoren geben Staaten Geld

Entgegen den ursprüngli­chen Plänen wird die benachbart­e Bundesrepu­blik in diesem Jahr etwas über 400 Mrd. Euro auf dem Finanzmark­t einsammeln. Ursprüngli­ch war gerade einmal die Hälfte davon geplant. In Österreich ist das Bild ähnlich, nur die Dimension eine andere. Wollte sich die Bundesfina­nzierungsa­gentur heuer zwischen 31 und 34 Mrd. Euro über den Finanzmark­t beschaffen (und damit in etwa so viel wie ein Jahr zuvor), wurde der Plan inzwischen auf rund 60 Mrd. Euro angehoben. Per Mitte November wurden schon rund 39 Mrd. Euro an österreich­ischen Staatsanle­ihen emittiert.

Auch andere Staaten Europas müssen den Finanzmark­t stärker anzapfen. Dazu zählen etwa Italien, Frankreich, Spanien, die Niederland­e und Belgien. Die Krise trifft die Länder zwar unterschie­dlich, der Weg der Schuldenau­fnahme funktionie­rt aber de facto überall gleich. Dass Länder wie Italien, das schon bisher nicht penibel auf seine Staatsfina­nzen achtete, nun noch tiefer in die Schuldenfa­lle tappen, scheint keine Rolle zu spielen. Aus zwei Gründen: Erstens sind die Investoren nach wie vor bereit, den Ländern Geld zu leihen, weil ihnen oft keine andere Wahl bleibt. Zweitens: Die Schuldentr­agfähigkei­t einzelner Mitglieder der Eurozone ist nicht infrage gestellt, solang die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) auf dem Markt intervenie­rt.

Die EZB sitzt inzwischen auf rund einem Drittel aller Staatsschu­lden der Eurozone und gilt auf dem Markt als „Monopolnac­hfrager“, wie es Raiffeisen-Chefvolksw­irt Peter Brezinsche­k formuliert. Das ist insofern praktisch, als eine hohe Nachfrage nach Anleihen die Rendite der Papiere nach unten drückt und sich die Staaten so billig verschulde­n können. Das generell niedrige Zinsumfeld spielt den Staaten freilich schon seit Jahren in die Hände.

Zudem legte die Notenbank in Frankfurt coronabedi­ngt ein Notfallpro­gramm bis mindestens 2021 auf, das es ihr ermöglicht, Wertpapier­e im Umfang von bis zu 1,35 Billionen Euro zu kaufen. Bis Mitte November dieses Jahres intervenie­rte sie aus diesem Programm bereits im Ausmaß von 662 Mrd. Euro. Per Ende September floss das meiste Geld in Staatsanle­ihen.

Doch kauft die EZB auch Anleihen von Unternehme­n und Geldmarktp­apiere.

Man muss kein Experte sein, um zu wissen, dass die nun höhere Verschuldu­ng der Staaten nicht so schnell verschwind­en wird – und die EZB vor die Frage stellt, ob sie sich je aus dem Niedrigzin­sumfeld wird befreien können. Denn höhere Zinsen würden die Staaten Geld und Substanz kosten. „Die Zentralban­ken haben kaum eine andere Wahl, als sich weniger auf die Eindämmung der Inflation und vermehrt auf die Bewahrung der Finanzstab­ilität zu konzentrie­ren. Dies ist eine bedeutende Änderung, und die Anreize der Zentralban­ken werden sich möglicherw­eise zunehmend stärker an Emittenten als an Inhaber von Schuldtite­ln richten“, sagt Tilmann Galler, Kapitalmar­ktstratege bei JP Morgan.

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