Wie die Notenbank die Staatsschulden steuert
Anleihen. Staaten wie Österreich und Deutschland nehmen auf dem Kapitalmarkt heuer doppelt so viel auf wie geplant.
Wien. An den Staatsanleihenmärkten wird in der Regel nichts dem Zufall überlassen. Die nationalen Schuldenagenturen bereiten ihre Investoren meist schon am Ende eines Jahres darauf vor, was sie in den kommenden zwölf Monaten zu erwarten haben. Also in welchem Ausmaß sich ein Staat über den Anleihemarkt oder andere Finanzierungsinstrumente verschulden wird.
Nicht lang nach der Veröffentlichung der Finanzierungspläne für 2020 mussten diese jedoch schon wieder revidiert werden. Die Coronakrise machte den Staaten einen Strich durch die Rechnung. In Folge flächendeckender Geschäftsschließungen musste die öffentliche Hand Unternehmern wie Arbeitnehmern gehörig unter die Arme greifen. Kaum ein Staat stemmt solche Ausgaben aus der Portokasse. Selbst Deutschland nicht, das in den vergangenen Jahren Budgetüberschüsse eingefahren hat. Weshalb am Ende der Kapitalmarkt herhalten muss.
Investoren geben Staaten Geld
Entgegen den ursprünglichen Plänen wird die benachbarte Bundesrepublik in diesem Jahr etwas über 400 Mrd. Euro auf dem Finanzmarkt einsammeln. Ursprünglich war gerade einmal die Hälfte davon geplant. In Österreich ist das Bild ähnlich, nur die Dimension eine andere. Wollte sich die Bundesfinanzierungsagentur heuer zwischen 31 und 34 Mrd. Euro über den Finanzmarkt beschaffen (und damit in etwa so viel wie ein Jahr zuvor), wurde der Plan inzwischen auf rund 60 Mrd. Euro angehoben. Per Mitte November wurden schon rund 39 Mrd. Euro an österreichischen Staatsanleihen emittiert.
Auch andere Staaten Europas müssen den Finanzmarkt stärker anzapfen. Dazu zählen etwa Italien, Frankreich, Spanien, die Niederlande und Belgien. Die Krise trifft die Länder zwar unterschiedlich, der Weg der Schuldenaufnahme funktioniert aber de facto überall gleich. Dass Länder wie Italien, das schon bisher nicht penibel auf seine Staatsfinanzen achtete, nun noch tiefer in die Schuldenfalle tappen, scheint keine Rolle zu spielen. Aus zwei Gründen: Erstens sind die Investoren nach wie vor bereit, den Ländern Geld zu leihen, weil ihnen oft keine andere Wahl bleibt. Zweitens: Die Schuldentragfähigkeit einzelner Mitglieder der Eurozone ist nicht infrage gestellt, solang die Europäische Zentralbank (EZB) auf dem Markt interveniert.
Die EZB sitzt inzwischen auf rund einem Drittel aller Staatsschulden der Eurozone und gilt auf dem Markt als „Monopolnachfrager“, wie es Raiffeisen-Chefvolkswirt Peter Brezinschek formuliert. Das ist insofern praktisch, als eine hohe Nachfrage nach Anleihen die Rendite der Papiere nach unten drückt und sich die Staaten so billig verschulden können. Das generell niedrige Zinsumfeld spielt den Staaten freilich schon seit Jahren in die Hände.
Zudem legte die Notenbank in Frankfurt coronabedingt ein Notfallprogramm bis mindestens 2021 auf, das es ihr ermöglicht, Wertpapiere im Umfang von bis zu 1,35 Billionen Euro zu kaufen. Bis Mitte November dieses Jahres intervenierte sie aus diesem Programm bereits im Ausmaß von 662 Mrd. Euro. Per Ende September floss das meiste Geld in Staatsanleihen.
Doch kauft die EZB auch Anleihen von Unternehmen und Geldmarktpapiere.
Man muss kein Experte sein, um zu wissen, dass die nun höhere Verschuldung der Staaten nicht so schnell verschwinden wird – und die EZB vor die Frage stellt, ob sie sich je aus dem Niedrigzinsumfeld wird befreien können. Denn höhere Zinsen würden die Staaten Geld und Substanz kosten. „Die Zentralbanken haben kaum eine andere Wahl, als sich weniger auf die Eindämmung der Inflation und vermehrt auf die Bewahrung der Finanzstabilität zu konzentrieren. Dies ist eine bedeutende Änderung, und die Anreize der Zentralbanken werden sich möglicherweise zunehmend stärker an Emittenten als an Inhaber von Schuldtiteln richten“, sagt Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei JP Morgan.