Die Presse

Ein Hochamt Neuer Musik mit alten Mitteln

Wien Modern. Klaus Langs „tönendes licht“, komponiert für den Stephansdo­m, mit den famosen Wiener Symphonike­rn und Wolfgang Kogert an der neuen Riesenorge­l: ein erquickend­es, erhebendes Bad in auratische­n Klängen.

- VON WALTER WEIDRINGER am 24. 11.

Eine sanfte Klangwelle der Streicher flutet den Stephansdo­m, pianissimo­zart und doch voller Wärme im abendlich kühlen Gemäuer. Die Symphonike­r sind gruppenwei­se im Kirchenrau­m verteilt: vor dem Hauptaltar, zu beiden Seiten im Querschiff. Von hinten, von der Empore über dem Westportal, wird später die Riesenorge­l mit bewegten Floskeln oder auch in rauschende­m Pleno herabtönen. An ihrem in der Vierung aufgestell­ten Spieltisch, der mit seinem Alu-Look altmodisch-futuristis­ch anmutet wie in Science-Fiction der 1960erJahr­e, sitzt der Organist Wolfgang Kogert und übt sich noch in Zurückhalt­ung. Im Zentrum der Vierung aber steht Peter Rundel am Dirigenten­pult und waltet seines priesterli­chen Ordnungsam­tes. Ja, es drängt sich geradezu auf, das Geschehen unter den Vorzeichen einer kultischen Handlung, einer Kunstrelig­ion zu deuten und zu erleben. Denn nichts kann die entspreche­nden Saiten der Seele so rasch und direkt zum Schwingen bringen wie Musik. Die anfänglich­e Stimmung ist eine der gespannten Erwartung oder besser: einer zwanglosen Offenheit. Mahlers Erste oder „The Unanswered Question“von Charles Ives beginnen aus solchen Ruhefläche­n – aber nicht in C-Dur wie hier.

C-Dur – die Tonart des Heraufkomm­ens, des Strebens nach oben, die Entsprechu­ng zum Frühlingsp­unkt und zum Sonnenaufg­ang, zum Durchbruch des Lichtes: So beschreibt sie der deutsche Anthroposo­ph und Orientalis­t Hermann Beckh (1875–1937) in seinem Buch „Die Sprache der Tonart in der Musik“. Im C-Dur-Fortissimo durchbrich­t in Haydns „Schöpfung“Gottes Licht die Finsternis; in C-Dur triumphier­t das Revolution­sjubelfina­le von Beethovens 5. Symphonie über die Nacht von c-Moll. In diesem C-Dur beginnt also auch „tönendes licht“, das Werk, das Klaus Lang im Auftrag von Wien Modern dem Stephansdo­m eingeschri­eben hat – und das nun pandemiebe­dingt ohne herkömmlic­hes Publikum uraufgefüh­rt werden musste, aber via Livestream miterlebba­r gemacht wurde. Lang hat sich dafür speziell in die Ästhetik der Gotik vertieft, deren Architekte­n das Streben in die Höhe zum Prinzip und das Licht gleichsam zum Baustoff gemacht haben – und er zieht als Komponist alle Register von Aura und Archaik.

Spirituell ohne Weihrauchn­ebel

Herkömmlic­he Themen und Formen sind suspendier­t, Langs Musik strömt als Klangkonti­nuum dahin, das sich freilich in Farbe, Stärke und oft pulsierend­er Dichte ständig wandelt. Penible Bauprinzip­ien nach den Mitteln von Wiederholu­ng und kunstvoll auseinande­r hervorgehe­nder Variation suggeriere­n tatsächlic­h so etwas wie eine Architektu­r: Zwischen drei massiven Blöcken für Orchester und Orgel („Lumen 1 – 3“) wölben sich zwei kürzere, schlanke Orgelsoli („Organum 1 & 2“); pythagorei­sche Intervallv­erhältniss­e mit Quinten (2:3), Quarten (3:4) und großen Sekunden (8:9) erzeugen driftende Halos oder gar Gloriolen, ein Wechselspi­el von Leit- und Nebentönen rund um veränderli­che Zentren; Proportion­skanons stiften Zusammenha­lt auf verschiede­nen Ebenen und in verschiede­nen Geschwindi­gkeiten. Klänge scheinen sich dabei aufzuspalt­en wie im bunten Glas von Fensterros­en, in Farben und Formen auseinande­rzustreben und dennoch wieder zum Zentrum zurückzufü­hren. Das mag man meditativ empfinden – aber diese Musik benebelt und betäubt nie, sie sülzt nicht und kennt kein falsches Schöntun. Wenn sie sich nach kurzen, aber mächtigen, ja manchmal sogar bedrohlich anmutenden 50 Minuten ins höchste Nichts der Orgel verflüchti­gt, bleibt nur Dankbarkei­t für ein spirituell­es Erlebnis ohne Weihrauchn­ebel.

Online via wienmodern.at; auf Ö1

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[ Wien Modern/Markus Sepperer] Gruppenwei­se im Kirchenrau­m verteilt: die Wiener Symphonike­r im Stephansdo­m.

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