Ein Hochamt Neuer Musik mit alten Mitteln
Wien Modern. Klaus Langs „tönendes licht“, komponiert für den Stephansdom, mit den famosen Wiener Symphonikern und Wolfgang Kogert an der neuen Riesenorgel: ein erquickendes, erhebendes Bad in auratischen Klängen.
Eine sanfte Klangwelle der Streicher flutet den Stephansdom, pianissimozart und doch voller Wärme im abendlich kühlen Gemäuer. Die Symphoniker sind gruppenweise im Kirchenraum verteilt: vor dem Hauptaltar, zu beiden Seiten im Querschiff. Von hinten, von der Empore über dem Westportal, wird später die Riesenorgel mit bewegten Floskeln oder auch in rauschendem Pleno herabtönen. An ihrem in der Vierung aufgestellten Spieltisch, der mit seinem Alu-Look altmodisch-futuristisch anmutet wie in Science-Fiction der 1960erJahre, sitzt der Organist Wolfgang Kogert und übt sich noch in Zurückhaltung. Im Zentrum der Vierung aber steht Peter Rundel am Dirigentenpult und waltet seines priesterlichen Ordnungsamtes. Ja, es drängt sich geradezu auf, das Geschehen unter den Vorzeichen einer kultischen Handlung, einer Kunstreligion zu deuten und zu erleben. Denn nichts kann die entsprechenden Saiten der Seele so rasch und direkt zum Schwingen bringen wie Musik. Die anfängliche Stimmung ist eine der gespannten Erwartung oder besser: einer zwanglosen Offenheit. Mahlers Erste oder „The Unanswered Question“von Charles Ives beginnen aus solchen Ruheflächen – aber nicht in C-Dur wie hier.
C-Dur – die Tonart des Heraufkommens, des Strebens nach oben, die Entsprechung zum Frühlingspunkt und zum Sonnenaufgang, zum Durchbruch des Lichtes: So beschreibt sie der deutsche Anthroposoph und Orientalist Hermann Beckh (1875–1937) in seinem Buch „Die Sprache der Tonart in der Musik“. Im C-Dur-Fortissimo durchbricht in Haydns „Schöpfung“Gottes Licht die Finsternis; in C-Dur triumphiert das Revolutionsjubelfinale von Beethovens 5. Symphonie über die Nacht von c-Moll. In diesem C-Dur beginnt also auch „tönendes licht“, das Werk, das Klaus Lang im Auftrag von Wien Modern dem Stephansdom eingeschrieben hat – und das nun pandemiebedingt ohne herkömmliches Publikum uraufgeführt werden musste, aber via Livestream miterlebbar gemacht wurde. Lang hat sich dafür speziell in die Ästhetik der Gotik vertieft, deren Architekten das Streben in die Höhe zum Prinzip und das Licht gleichsam zum Baustoff gemacht haben – und er zieht als Komponist alle Register von Aura und Archaik.
Spirituell ohne Weihrauchnebel
Herkömmliche Themen und Formen sind suspendiert, Langs Musik strömt als Klangkontinuum dahin, das sich freilich in Farbe, Stärke und oft pulsierender Dichte ständig wandelt. Penible Bauprinzipien nach den Mitteln von Wiederholung und kunstvoll auseinander hervorgehender Variation suggerieren tatsächlich so etwas wie eine Architektur: Zwischen drei massiven Blöcken für Orchester und Orgel („Lumen 1 – 3“) wölben sich zwei kürzere, schlanke Orgelsoli („Organum 1 & 2“); pythagoreische Intervallverhältnisse mit Quinten (2:3), Quarten (3:4) und großen Sekunden (8:9) erzeugen driftende Halos oder gar Gloriolen, ein Wechselspiel von Leit- und Nebentönen rund um veränderliche Zentren; Proportionskanons stiften Zusammenhalt auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Geschwindigkeiten. Klänge scheinen sich dabei aufzuspalten wie im bunten Glas von Fensterrosen, in Farben und Formen auseinanderzustreben und dennoch wieder zum Zentrum zurückzuführen. Das mag man meditativ empfinden – aber diese Musik benebelt und betäubt nie, sie sülzt nicht und kennt kein falsches Schöntun. Wenn sie sich nach kurzen, aber mächtigen, ja manchmal sogar bedrohlich anmutenden 50 Minuten ins höchste Nichts der Orgel verflüchtigt, bleibt nur Dankbarkeit für ein spirituelles Erlebnis ohne Weihrauchnebel.
Online via wienmodern.at; auf Ö1