Die Presse

„Was ein Mann in einer Frauenseel­e anrichtet“

ORF. In ihrer Doku „Und bist du nicht willig“spricht Andrea Eder mit Frauen, die sich aus gewalttäti­gen Beziehunge­n befreien konnten. „Es war das erste Mal, dass ich dieses Zittern in einer Stimme gehört habe“, erzählt sie der „Presse“.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Es ist ein trauriger Gedenktag: Am 25. November 1960 wurden die „Hermanas Mirabal“in der Dominikani­schen Republik vom militärisc­hen Geheimdien­st getötet. Patria, Minerva und Maria Teresa Mirabal waren Mitglieder einer Widerstand­sgruppe gegen Diktator Rafael Trujillo. 1981 wurde der Todestag der drei Schwestern auf einem Feministin­nentreffen in Bogota´ zum Gedenktag für die Opfer von Gewalt an Frauen ausgerufen. 1999 haben auch die Vereinten Nationen den 25. November als Gedenktag verankert. „Das Thema gewinnt auch in Österreich wieder an Brisanz“, erinnert Regisseuri­n Andrea Eder.

Ihre Dokumentat­ion „Und bist Du nicht willig“läuft anlässlich des Gedenktags am Sonntag im ORF (23.05 Uhr, ORF 2). Die Zahl der Frauenmord­e in Österreich steigt: Sie hat sich von 2014 bis 2019 fast verdoppelt. 39 Frauen wurden im Vorjahr ermordet, 20.000 in Gewaltschu­tzzentren und von Interventi­onsstellen betreut. Dort ist Eder auch erstmals auf das Thema gestoßen: „Ich unterstütz­e privat eine Initiative für das Frauenhaus Mödling.“So kam sie ins Gespräch. „Für mich war die Frage: Warum gehen solche Frauen nicht früher? Warum bleibt man in einer solchen Beziehung?“

Scham, Angst und Tabuisieru­ng

Die Antworten sind so vielfältig wie die Lebensgesc­hichten der Betroffene­n. Scham, Angst, die Tabuisieru­ng von Gewalt sind Gründe dafür. Eine Frau erzählt im Film, dass sie in der Hochzeitsn­acht von ihrem Mann vergewalti­gt wurde. Wem hätte sie das schon erzählen können? Auch unrealisti­sche Hoffnungen, dass alles wieder besser werden könnte, halten Frauen bei gewaltbere­iten Männern. „Ich wollte einfach nur eine intakte Familie“, erzählt eine von ihnen.

Eder hat nicht nur die Worte eingefange­n. Sie richtet die Kamera auf abgekaute Nägel, flatternde Hände, vors Gesicht gezogene Kapuzen. Anspannung und Nervosität sind greifbar. „Es war das erste Mal, dass ich dieses Zittern in einer Stimme gehört habe, weil die schrecklic­hen Momente noch so frisch waren“, sagt sie. Mehrmals habe sie nachgefrag­t, ob die Betroffene ihre Geschichte auch wirklich erzählen will. Aber alle wollten reden und ihr Thema öffentlich machen. „Sie wollen nicht, dass das, was ihnen passiert ist, auch anderen widerfährt.“

Eders Film ist keine Anklage, nicht pessimisti­sch. „Alle Protagonis­tinnen haben sich aus ihren Beziehunge­n befreit.“Besonders erschütter­t hat sie das Interview mit einem Täter: „Ich habe ihn nach den Frauen interviewt. Da hatte ich schon gehört, was ein Mann in einer Frauen- oder Kinderseel­e anrichten kann.“Sein Gesicht zeigt sie nicht. Nur Ausschnitt­e, die sich in einer Scherbe spiegeln. Tränen rinnen über seine Wangen. Er hat nicht nur das Leben seiner Frau zerstört, sondern auch das eigene. Die Begegnung sei schwierig gewesen: „Ich habe Hochachtun­g dafür, dass er sich öffnet – aber auch Verachtung für das, was er getan hat.“

Und dann auch noch Corona

Erst vor wenigen Tagen lief Eders „Mut zur Menschlich­keit – Caritas wörtlich genommen“in „kreuz und quer“. Am Donnerstag (26. 11., 21.05 Uhr, ORF 2) zeigt „Am Schauplatz“ihren Film „Die einsame Risikogrup­pe“über ältere Menschen in Coronazeit­en. Sich die Schicksale und Erzählunge­n – bis hin zum einsamen Tod – anzuhören, sei „emotional sehr fordernd“gewesen. Man müsse über den Schutz der Zielgruppe sprechen, sich aber klar sein, dass sie sehr heterogen ist. Eder zitiert eine Protagonis­tin aus ihrem Beitrag, die sagt: „Man muss schlussend­lich auch an Corona sterben dürfen.“

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