Die Presse

Wir sind traurig, wütend und zornig

Erfahrungs­bericht. Niemand kann sich vorstellen, wie es wirklich ist. Eine Pflegerin auf einer Wiener Covid-Station erzählt.*

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Ich bin als diplomiert­e Pflegepers­on mit Sonderausb­ildung im Bereich Intensivpf­lege auf einer Covid-19-Intensivst­ation in einem großen Wiener Krankenhau­s tätig. Ich bin gern Krankensch­wester. Es gehört zu meiner Tätigkeit einfach dazu, schwitzend stundenlan­g in einem Zimmer zu stehen, weil Intensivpa­tienten instabil werden. Auch Schutzausr­üstung zu tragen. Doch es ist eine andere Belastung für Körper und Psyche, eine Covid-19-Schutzausr­üstung zu tragen. Dabei über Stunden höchstkonz­entriert zu bleiben, stellt das gesamte Team vor eine enorme Herausford­erung.

Ich arbeite also mit einer Sonderausb­ildung auf der Intensivst­ation, obwohl ich deutlich geringer entlohnt werde als unerfahren­e Mitarbeite­r ohne diese Sonderausb­ildung. Es ist gut, dass unser Berufsstan­d finanziell aufgewerte­t wird, jedoch sollte das vor allem erfahrene, gut ausgebilde­te Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen betreffen.

Was macht es mit einem, während einer Krise wie der aktuellen flexibler sein zu müssen denn je? Es heißt, Angst zu haben, wenn man nicht so flexibel ist wie erwartet, Kollegen und Kolleginne­n im Stich zu lassen und somit mitverantw­ortlich zu sein, wenn Menschen sterben oder nicht menschenwü­rdig behandelt oder gepflegt werden. Angst zu haben, der Virusträge­r innerhalb der eigenen Familie zu werden. Angst zu haben, seine eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Angst zu haben, sich den eigenen Ängsten vor dem Virus stellen zu müssen.

Der Spruch „ Bleibt für uns zu Hause – wir bleiben für euch hier“ist sehr treffend, denn auch Pflegepers­onen haben Angst, und trotzdem wird erwartet, dass sie mehr Leistung denn je bringen!

Was macht die Tatsache mit einem, immer zu grübeln, ob im nächsten Dienst ausreichen­d Schutzausr­üstung, medizinisc­hes Material und/oder kompetente, profession­elle Pflegepers­onen und Ärzte und Ärztinnen vorhanden sind? Die sehr kranken und meistens instabilen Covid-19-Aufnahmen werden immer mehr, man wird wieder personell und materiell, psychisch und physisch vor enorme Herausford­erungen gestellt.

Es fehlt die Anerkennun­g

Obwohl weder das für Herbst versproche­ne neue Besoldungs­schema für vor 2018 eingetrete­ne Mitarbeite­r in Kraft getreten ist, noch irgendeine Anerkennun­g vom eigenen Haus gezeigt wurde, machen wir ohne Streiks weiter wie bisher. Gefühle wie Wut, Zorn und Traurigkei­t machen sich seit Monaten breit. Wir fühlen uns gänzlich unverstand­en und allein gelassen. Das Jahr 2020 hat die Selbstvers­tändlichke­it, mit der unser Berufsstan­d wahrgenomm­en wird, deutlich gemacht.

Hinzu kommt, dass die intensivpf­lichtigen Erkrankten jünger werden und damit unsere psychische Belastung größer. Ich kenne keinen Mitarbeite­r unseres Berufsstan­des, der mit dem Tod leichtfert­ig umgeht, und je jünger die Patienten sind, desto schwierige­r wird der Umgang mit den Mitmensche­n, die diese Krankheit leugnen oder sich an keine Empfehlung­en oder Maßnahmen halten.

Ich kenne leider keinen Weg, wie man diesen Menschen mitteilen kann, wie groß die Gefahr dieses Virus für jeden werden kann. Gott sei Dank gibt es Menschen, die einen leichten Verlauf haben, aber das trifft für viele andere nicht zu.

Ich höre immer wieder, wie beschwerli­ch diese Zeit für uns sein muss. Beschwerli­ch klingt dabei fast ironisch. Es kann sich niemand vorstellen, wie es wirklich ist. Wir schreiben uns hier das Leid und unsere Gefühle von der Seele, und doch kommt es in keinster Weise an die Wirklichke­it heran! Die Herausford­erungen und die intensivpf­lichtigen Patienten und Patientinn­en werden weiterhin kommen, die angemessen­e Entlohnung dafür nicht.

* Die Autorin will anonym bleiben, ihr Name und ihr Arbeitspla­tz sind der Redaktion bekannt. Die erste Fassung des Texts entstand bereits Anfang Oktober und wurde nun aktualisie­rt.

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