Die Presse

Pflege im Lockdown: Der Tunnel ohne Licht

Gastkommen­tar. Die Pflege kämpft seit Monaten gegen Covid und seit Jahren um bessere Arbeitsbed­ingungen. Ein Krankenpfl­eger berichtet*.

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Um 18 Uhr wird für euch geklatscht.“März 2020. Der erste Lockdown. Die Eindrücke aus Italien sind im Kopf, Twitter und Co. machen quasi eine Live-Berichters­tattung aus den völlig kollabiert­en Spitälern unseres südlichen Nachbarns möglich. Es ist ein Kampf gegen einen unsichtbar­en Gegner. Gleichzeit­ig ist es aber auch eine Motivation. Eine Motivation, Vorbereitu­ngen zu treffen, Wissen über diese Krankheit aufzubauen. Diese Motivation wird bald schwinden.

Warten auf den Winter

Angehörige wollen wissen, wie es auf der Intensivst­ation zugeht. Ruhig. Es wird alles hinunterge­fahren. Zu ruhig. Ich schaue aus dem Fenster. Niemand klatscht. Österreich ist im Frühjahr gut weggekomme­n, zum Glück. Keine Apokalypse, keine Triage, kein Massenster­ben. Dann kommt der Sommer. Es ist ruhig, die Anspannung bleibt. Dass der Winter nicht so harmlos wird, weiß jeder, der nur ansatzweis­e Ahnung von der Materie hat. Eine starke InfluenzaS­aison kann eine Intensivst­ation (ICU) an ihr Limit bringen. Aber gegen Influenza haben wir Behandlung­soptionen, Covid-19 ist Influenza hoch zehn. Wir wundern uns über die Aufhebung der Maskenpfli­cht im Sommer. Die Zahlen beginnen ab Ende August wieder zu steigen, diesmal auch in Wien.

Schon im Regelbetri­eb gibt es zu wenig Personal. Intensivbe­tten sind dauerhaft gesperrt, auch ohne vermehrte Ausfälle wegen Covid und Quarantäne. 75.000 Pflegerinn­en und Pfleger fehlen in Österreich bis zum Jahr 2030. Wir haben schlicht nicht das notwendige Personal für das, was auf uns zukommt.

Im September warnen erste Mediziner vor der zweiten Welle. Sie werden zurückgepf­iffen. Die Zahlen steigen weiter. Eigentlich können wir schon so den Dienstplan nicht voll besetzen, zumindest nicht mit spezialisi­erten, qualifizie­rten Personen. Eine Diplomiert­e Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeperson (DGKP) hat eine dreijährig­e Ausbildung hinter sich. Im Spezialber­eich, etwa einer Intensivst­ation, benötigt es ein Zusatzdipl­om. Auch wenn es lapidar „die Pflege“heißt – auch hier gibt es Spezialist­en in unterschie­dlichen Bereichen: Ob in der Hauskranke­npflege, auf einer Onkologie, einer Augen-Ambulanz oder einer Herz-Thorax-ICU.

Jeder muss überall arbeiten

Erfahrung ist das A und O auf einer Station. Doch das interessie­rt niemanden. Jeder muss überall arbeiten können – flexibel nennt man das. Wir kämpfen seit Jahren für bessere Arbeitsbed­ingungen, für mehr Personal und mehr Gehalt. In den Wiener Gemeindesp­itälern wurde das Gehalt im Jahr 2018 zwar für neue Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r deutlich angehoben – aber ein mehr als zweijährig­er Kampf der bisherigen Belegschaf­t war nötig, damit Alteingese­ssene in das neue Gehalts

schema wechseln dürfen. Die Gewerkscha­ft hat uns nicht geholfen. Ab 2021 dürfen wir nun wechseln – ein Wahlzucker­l wenn wir ehrlich sind, aber noch ist es nicht soweit.

Heute fallen uns solche Dinge auf den Kopf. Eine Diplomiert­e Krankenpfl­egeperson verbleibt durchschni­ttlich sechs Jahre im Beruf. Geringe Bezahlung angesichts der Verantwort­ung, Schichtdie­nste, Personalkn­appheit, extreme Arbeitssit­uationen, hoher Stressleve­l sowie fehlende Wertschätz­ung innerhalb des Systems lassen viele gut ausgebilde­te Kolleginne­n und Kollegen frustriert aussteigen. Niemand der geht, kommt wieder zurück.

Natürlich gibt es auch gute Momente im Berufsallt­ag. An denen baut man sich in schlechten Zeiten auf. Aber sie werden immer weniger. Die Pflege nimmt das stillschwe­igend zur Kenntnis und zieht eigene Lehren aus der Situation. Frei nach einem Zitat aus der deutschen Wochenzeit­ung „Die Zeit“: Sie geht nicht demonstrie­ren. Sie geht nicht auf die Straße. Sie geht aus dem Beruf.

Und plötzlich stehen wir vor dem zweiten Lockdown. Jede Woche steigen die Zahlen auf den ICUs und auf den Normalbett­enstatione­n. Mit den heutigen Neuinziden­zen wissen wir, was auf uns in drei Wochen zukommt. Personal wird panisch von der Führungseb­ene hin und her verschifft. Pflegerinn­en und Pfleger von einer chirurgisc­hen Ambulanz müssen plötzlich auf einer Intensivst­ation arbeiten, ohne eine Ausbildung dafür zu haben. Personal von eilig geschlosse­nen Intensivst­ationen (welche schnell wieder öffnen mussten) wird ohne Rücksicht auf Alter und persönlich­es Risiko auf Covid-Stationen versetzt. Wenn man sich dagegen auflehnt, kann man gleich die Kündigung abgeben. Die Option, die bleibt – Versetzung, die jedoch einer „freiwillig­en“Meldung an einer Covid-Station gleichkomm­t.

Nur die Köpfe zählen

Personal wird von Non-Covid-Intensivst­ationen ausgeborgt, weil auf Covid-Stationen von Grund auf Personal fehlt. Ob das zur Virusversc­hleppung beiträgt? Vielleicht. Nur ohne Tests für das Personal schwer zu sagen. Doch das ist offenbar egal: Die Köpfe zählen, nicht der Mensch dahinter. Köpfe – eine offizielle Bezeichnun­g von Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn im Dienstplan. Eigentlich eine unfassbare Respektlos­igkeit.

Jeden Tag gibt es neue Regeln, Dienstanwe­isungen. Niemand kennt sich aus, da die interne Kommunikat­ion mehr als mangelhaft ist. Dass dann Dinge passieren, die nicht passieren sollten – wen wundert es. Wenn man nach einem Covid-Zwischenfa­ll im Krankenhau­s Kontaktper­son 1 ist, hat man die Option in Heimquaran­täne zu gehen (und damit das Team „im Stich“zu lassen) oder dank der Ausnahmere­gelung mit regelmäßig­en Abstrichen weiter zu arbeiten. Geht man weiter arbeiten und unterzieht sich der Prozedur mit den Abstrichen, heißt es den Ergebnisse­n hinterherz­ulaufen – denn diese müssen vor Dienstantr­itt vorhanden sein, theoretisc­h. Praktisch ist das unmöglich. Denn Personal wird nicht vorgereiht.

Das Gefühl des Chaos ist jetzt stärker da als bisher. Sorge der Führungseb­ene um die Gesundheit – Fehlanzeig­e. Die anwesenden Köpfe zählen.

Das Virus hat uns voll im Griff. Wir sehen jeden Tag, was mit den Menschen passiert, die es erwischt. Junge Menschen oder Kollegen, die an eine Lungenmasc­hine müssen, weil sie sonst sterben würden. Auch in Österreich, nicht nur in Italien oder den USA. Menschen, die es elendig dahinrafft. Acht Wochen Intensivau­fenthalt und keine Besserung in Sicht – wie soll das ob der Menge bewältigt werden?

Auch „Genesene“auf der ICU

In den Medien hört man nur von den Covid-Betten. Nach rund 14 Tagen werden Patienten und Patientinn­en zu Non-Covid-Fällen und liegen meist ebenfalls noch Wochen auf der Intensivst­ation. Der Regelbetri­eb kommt dazu. Herzinfark­t und Co. will auch behandelt werden. Wie? Wo? Wer?

Überall Menschen mit Masken und Mantel. Wir haben den Beruf bewusst gewählt. Wir wissen ob der Gefahr einer Infektion. Aber wir wollen verdammt noch einmal Arbeitsbed­ingungen, die dem auch gerecht werden. Schutzklei­dung in ausreichen­der Menge und Qualität. Informatio­nsweiterga­be und Transparen­z, die dem Namen gerecht werden. Respekt vor unserer Qualifikat­ion von den Führungseb­enen, wenn es von außen schon nur alibihalbe­r daherkommt. Und eine Bezahlung, die der Verantwort­ung und der Gefahr gerecht wird. Jetzt und in Zukunft.

November 2020. Der zweite Lockdown. Ich schaue aus dem Fenster, es ist 18 Uhr. Niemand klatscht. Denn das Licht am Ende des Tunnels gibt es derzeit nicht – wir irren in der Finsternis dem ungewissen Ausgang entgegen.

* Der Autor ist Pfleger in Wien und wollte anonym bleiben, sein Name und sein Arbeitspla­tz sind der Redaktion bekannt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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