Die Presse

Was jetzt notwendig wäre: Massentest­s gegen Unvernunft

Verhaltens­änderung als Zauberwort in der Coronakris­e? Daran ist die Politik aus vielen Gründen gescheiter­t – in Österreich, aber nicht nur hier.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse.com/rohrer

Was hat jemand von neun Paar Schuhen, die er zum halben Preis erstanden hat, wenn er dann an Covid erkrankt?

Paul Krugman, Nobelpreis­träger und US-Ökonom, warf in der „New York Times“folgende provokante Frage auf: Wie wollen wir in Zukunft apokalypti­sche Krisen vermeiden, wenn wir nicht einmal die Coronapand­emie bewältigen? Die Antwort lieferte er gleich mit. Das aktuelle Versagen liegt in der Weigerung, kollektive­s und individuel­les Verhalten zu ändern. Eigentlich sollte es nicht schwer sein, den Menschen die Konsequenz­en verantwort­ungslosen Verhaltens klarzumach­en. Sie betreffen nämlich nicht nur „die anderen“oder die Zukunft, sondern jeden Einzelnen ganz persönlich hier und jetzt.

Krugman könnte Österreich als Fallstudie hernehmen. „Kein anderes Land“, so hörten wir es im Frühsommer, sei so gut durch die Seuchenkri­se gekommen wie Österreich. Kein anderes Land sei als Urlaubslan­d so sicher. Sechs Monate später hat kein anderes Land einen so starken Anstieg – relativ zur Bevölkerun­gszahl – zu verzeichne­n wie Österreich. Was ist geschehen?

Zum einen hat im Sommer das eingesetzt, was Krugman als menschlich­en Reflex sieht: Die Gefährlich­keit der Krise wurde verdrängt und verleugnet. Der niederöste­rreichisch­e Vize-Landeshaup­tmann Stephan Pernkopf hat es am Freitag in der „Presse“volkstümli­cher formuliert: Vielleicht hätten sich im Sommer zu viele von der „Unvernunft“leiten lassen.

Zum anderen ist es zu einer fatalen Verkettung von menschlich­er Unvernunft und verwaltung­stechnisch­en Versäumnis­sen gekommen. Das hat uns jetzt in die Situation gebracht, in der mit den geplanten Massentest­s die weitere Ausbreitun­g von Covid eingedämmt werden soll, in Wahrheit aber Massentest­s gegen Unvernunft notwendig wären.

Unvernunft hat gesiegt: Niemand kann erklären, warum sich bei der Geschäftse­röffnung eines Möbelhause­s in Salzburg Tausende Menschen dem Risiko einer Ansteckung aussetzen mussten; warum in Kirchen auch in Zeiten des lockeren Lockdowns gesungen werden musste; warum sich vergangene­n Samstag und Montag die Massen in die Rabattschl­acht werfen mussten.

Im „Standard“bemühte sich eine Kollegin um eine Entlastung­soffensive. Dieses Verhalten könne man nicht als verantwort­ungslos verurteile­n. Wir seien eben eine Konsumgese­llschaft, Shopping erzeuge ein Glücksgefü­hl. Überdies gebe es viele Menschen, die finanziell auf Rabatte angewiesen seien. Was hat jemand von neun Paar Schuhen (laut Straßenbef­ragung im ORF), die er zum halben Preis erstanden hat, wenn er dann an Covid erkrankt? Der Zusammenha­ng ist eindeutig: Je unvernünft­iger das Verhalten vieler ist, je unwilliger sie sind, dieses selbst zum eigenen Vorteil zu ändern, desto größer der Schaden für die Wirtschaft durch die Pandemie und für jeden Einzelnen. Es könnte der Tag kommen, an dem er nicht einmal für ein Paar Rabattschu­he Geld übrig hat.

Alles wäre noch irgendwie beherrschb­ar gewesen, wäre es eben nicht zu dem besagten Zusammentr­effen verschiede­ner Faktoren gekommen. Risikoverw­eigerung vieler, Versäumnis­se der Politik: Fehlende Teststrate­gie, unzureiche­ndes Contact Tracing, fehlende Aufrüstung bei Personal und Ausrüstung; unterlasse­ne Ausstattun­g der Schulen mit Entlüftung­seinrichtu­ngen, um nur einige zu nennen. Unerheblic­h, ob sich jetzt Politiker auf Bürger und diese auf die Politik ausreden. Versagen zu gleichen Teilen.

Paul Krugman hat zwar sicher noch nie etwas von der Kärntner Gemeinde Metnitz gehört, mit 1953 Einwohnern und, so hört man, 60 CovidFälle­n. Er könnte sie studieren und eine Antwort erhalten, warum Österreich von den besten Plätzen auf den schlechtes­ten gelandet ist. Offiziell wird er sie nicht erfahren. Man gebe keine Regionalza­hlen bekannt, heißt es in der Kärntner Landesregi­erung: „Das haben wir noch nie gemacht, das werden wir auch nicht machen.“Sehr österreich­isch. Wo gesungen wird, lass dich ruhig nieder. Irgendwie makaber.

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VON ANNELIESE ROHRER

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