Ich schminke mich, also bin ich
Inklusion. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Gesellschaft und Medien formen dieses Bild entscheidend mit. Was das für Frauen mit Behinderung und ihren Zugang zu Schönheit bedeutet, wird an der Uni Klagenfurt untersucht.
Zieh’ was anderes an!“Ein Minirock kommt für Angelikas Eltern für ihre 19-jährige Tochter nicht infrage. Und diese hält sich an ihre Kleidungsvorgaben. Anders Eva. Kaum hat sie ihr neues Zuhause, eine WG in der Stadt, bezogen, lässt sie sich Tattoos und Piercings stechen. Dem Vater missfällt das – genauso wie die betont weibliche Kleidung der mittlerweile 27-jährigen Tochter. Er wolle nicht, dass sie ein „sexuelles Wesen“ist, vermutet sie. Aber nun müsse er das eben „auf die harte Tour lernen“.
Angelika und Eva sind Frauen mit Lernschwierigkeiten. Sie waren Teilnehmerinnen eines Forschungsprojekts der Erziehungswissenschaftlerin Marion Sigot von der Universität Klagenfurt zum Thema Selbst- und Fremdbestimmung. Diese hat in der Studie unter anderem herausgefunden, welche Rolle Körpermodifikationen (siehe Lexikon) dabei spielen und wie einschneidend Erfahrungen rund um die Gestaltung des eigenen Äußeren für Frauen mit Lernschwierigkeiten sein können.
Fremdbestimmte Identität
„Oft besteht eine finanzielle Abhängigkeit von den Eltern, und diese bestimmen etwa, welche Kleidung gekauft werden darf. Oder das Umfeld übt Druck aus, damit sich die Frauen nicht schminken und ihr Äußeres unauffällig gestalten – meist aus Angst vor gewaltvollen Übergriffen“, erklärt Sigot. Den Frauen wird damit die Möglichkeit genommen, über die Gestaltung des Äußeren die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Der Wunsch dazu sei wie bei Eva mitunter vom Bedürfnis begleitet, als erwachsene Frau mit eigener Sexualität wahrgenommen und akzeptiert zu werden.
Die Forscherin konnte zeigen, dass sich solche Erfahrungen hemmend auf das Selbstbild, wahrgenommene Handlungsspielräume und Entwicklungsperspektiven auswirken können. Gesellschaftliche Schönheitsnormen sind neben Fragen der Ausbildung und Erwerbsarbeit sowie von Sexualität und Beziehungen ein weiterer großer Bereich, der für Frauen mit Behinderung mit Diskriminierung verbunden ist.
Makellosigkeit, Jugendlichkeit, wahlweise hager-schlank oder sportlich-durchtrainiert – das Perfide an den Schönheitsidealen ist ihr Wankelmut. Das bringt Frauen zusätzlich unter Druck und beeinträchtigt vor allem Jugendliche und junge Erwachsene im Selbstwert. Studien dazu gibt es viele, doch sie alle klammern Frauen mit Behinderung de facto aus, dabei sind gerade sie besonders betroffen, wie Sigot vermutet. Sie werden häufig auf ihre Beeinträchtigung reduziert und nur darüber – defizitorientiert – wahrgenommen, unterliegen Schönheitsnormen aber genauso wie alle Frauen: „Wir wissen wenig bis nichts darüber, welche Perspektiven Frauen mit Beeinträchtigung auf ihren eigenen Körper haben oder welche Zugänge zu Schönheitsbildern und Körpermodifikationen.“
Gemeinsam mit der Erziehungswissenschaftlerin Julia Ganterer von der Uni Lüneburg (Deutschland) widmet sie sich in ihrem aktuellen Forschungsprojekt der Beantwortung dieser Frage. Ganterers Schwerpunkt ist die Geschlechterforschung. Nun wollen die beiden Forscherinnen ihre Expertise bündeln und durch einen sehr reflektierten partizipativen Ansatz auf eine neue Ebene heben.
Viele Projekte mit dem Etikett „Partizipation“verdienen dieses leider nicht, konstatiert Sigot. „Denn ohne tatsächliche Mitbestimmung keine Teilhabe.“Sie und Ganterer stellen sich der methodischen Herausforderung jedoch, um das Machtgefälle zwischen Forschenden und Beforschten aufzulösen. „Wir versuchen das durch den Einsatz einer Referenzgruppe mit Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, die in alle Phasen unseres Projekts miteinbezogen sind, neue Fragen anstoßen, das Erhebungsinstrumentarium mitentwickeln und auf fehlende Perspektiven oder diskriminierende Ansätze aufmerksam machen.“
Prothesen auf dem Laufsteg
Dass eine Ausweitung genormter Schönheitsvorstellungen Aufmerksamkeit generiert und sich deshalb mit Diversität gut werben lässt, haben viele Unternehmen längst festgestellt. Also lachen ab und zu Plus-Size-Models und über Sechzigjährige von den Plakatwänden. Und auch Menschen mit Beeinträchtigung sieht man seit ein paar Jahren regelmäßig auf den internationalen Laufstegen, darunter Madeline Stuart, die Trisomie 21 hat, Viktoria Modesta, die eine Beinprothese trägt, und Jillian Mercado, die wegen Muskeldystrophie einen Rollstuhl benutzt.
Frauen mit Behinderung applaudieren diesem „Trend“allerdings nicht uneingeschränkt, wie Sigot und Ganterer bereits feststellten: „Es ist eine Möglichkeit, wahrgenommen zu werden, aber die betroffenen Frauen empfinden es gleichzeitig auch als Instrumentalisierung einer konsumorientierten Modebranche, in der die Behinderung zur Ware wird.“
LEXIKON
Körpermodifikation ist ein Überbegriff für verschiedene Veränderungen, die durchgeführt werden, um das eigene Aussehen zu verändern oder zu optimieren. Marion Sigot und Julia Ganterer definieren den Begriff für ihre Forschung sehr breit. Körpermodifikation beginnt entsprechend bereits beim Frisieren und Schminken, reicht über Haarefärben, Piercings und Rasieren bis hin zu Tätowierungen.