Mehrsprachige Kinder ringen nach Worten
Sprachentwicklungsstörung ist häufig eine Fehldiagnose.
Immer mehr Kinder in Österreich wachsen mehrsprachig auf. Jene, die Probleme beim Erlernen der zweiten Sprache haben, erhalten oft die Verdachtsdiagnose Sprachentwicklungsstörung. Zu Unrecht, wie eine Forschungsgruppe um die Linguistin Brigitte Eisenwort von der Med-Uni Wien feststellte (Neuropsychiatrie). In vielen Fällen liegt stattdessen ein unvollkommener Zweitspracherwerb vor.
Eisenwort und ihr Team wendeten für eine Fallstudie mit vierzig Kindern das „Wiener Modell“der Sprachdiagnostik an. Dabei analysierten Studierende der Humanmedizin als Native Speaker der jeweiligen Erstsprache der Kinder gemeinsam mit Linguistinnen und Linguisten der Med-Uni deren Sprachkompetenz. Neben grammatikalischen Fähigkeiten können so auch kulturelle Spezifitäten erkannt werden. „Das Einbeziehen Medizinstudierender hat den großen Vorteil, dass sie sowohl eine Ausbildung in ärztlicher Gesprächsführung als auch Hintergrundwissen über Entwicklungsstörungen in ihrem Studium erwerben“, sagt die Studienleiterin.
Verkümmerte Erstsprache
Rund die Hälfte der untersuchten Kinder hatte keine klinisch relevante Sprachentwicklungsstörung. Eher lagen soziolinguistische Störfaktoren wie eingeschränkter Input in der Erstsprache vor. „Manche Eltern können keinen reichen Wortschatz weitergeben, weil ihre Erstsprache in der Heimat eine politisch unterdrückte Minderheitensprache war“, erklärt Eisenwort. Andere brauchten im Laufe der Migration kompliziertere Satzstrukturen und gehobenen Wortschatz nicht mehr und können sie deshalb nicht mehr weitergeben.
Eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung der Sprachkompetenz in der Mehrheitssprache sei, Kindern die Möglichkeit zur Kommunikation mit Deutsch sprechenden Native Speakers zu geben. (cog)