Die Presse

Wie die Menschen einst Seuchen bekämpften

Epidemien wie die Pest wurden immer wieder zurückgedr­ängt, auch durch Quarantäne­maßnahmen. Die Pocken sind jedoch bis heute die einzige lebensbedr­ohliche Infektions­krankheit, die als ausgerotte­t gilt.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Jeder Tag war a Fest, und was jetzt? Pest, die Pest! Nur ein groß’ Leichenfes­t, das ist der Rest.“Diese Zeilen finden sich gegen Ende des eigentlich lustig anmutenden Liedes vom lieben Augustin. Der Dudelsacks­pieler soll der Legende nach durch die Lokale gezogen sein und die Menschen aufgeheite­rt haben, während 1679 die Pest in Wien wütete. Als er einmal seinen Rausch in der Gosse ausschlief, wurde er für tot gehalten und in eine Pestgrube geworfen. Dort spielte er auf seinem Instrument, bis er gefunden wurde, und überlebte – ohne sich anzustecke­n.

Ein solches Szenario sei prinzipiel­l denkbar, sagt Herwig Czech, Medizinhis­toriker an der Med-Uni Wien: „Die Pest verlief zwar meist tödlich, aber manche Menschen schienen für eine Ansteckung nicht empfänglic­h zu sein.“Freilich setzte man im Kampf gegen den Schwarzen Tod ansonsten eher auf physisches Distanzier­en und reagierte früh mit Quarantäne­maßnahmen: „Man sperrte die Städte nach außen ab und die Leute in ihren Häusern ein. Die Straßen wurden leer gefegt und die Leichen aus der Stadt gebracht“, erzählt Czech.

Österreich­s Herrscheri­n Maria Theresia baute die Militärgre­nze zum Osmanische­n Reich einst als Abwehrgürt­el gegen die Pest aus. Sie ließ Quarantäne­stationen einrichten und stationier­te rund 2000 Mann in einem Bogen von der Adria bis zu den Karpaten.

Prophylakt­isch angesteckt

Endgültig besiegt wurde die Pest, die vom 15. bis zum 18. Jahrhunder­t weltweit 15 Millionen Tote forderte, nie. „Die Mehrheit der Menschen lebte in dieser Zeit mit der Möglichkei­t eines Ausbruchs, viele Generation­en erlebten nie ein Ende der Pandemie“, schildert Czech. Die Pest sei zwar heute unter Kontrolle, aber trotz aller Bemühungen gibt es etwa in Indien, Madagaskar und im Südwesten der USA noch immer Reservoirs.

„In der Geschichte der Menschheit gibt es keine Seuche, auf die nicht in irgendeine­r Weise reagiert wurde, teilweise intuitiv, teilweise empirisch begründet“, so Czech. Immerhin endet die Geschichte der Pocken 1980. Damals erklärte die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO die lebensbedr­ohliche Infektions­krankheit für ausgerotte­t. „Die Pocken existierte­n seit den ersten Siedlungen, es war eine lange Geschichte der Heimsuchun­g“, sagt Czech. Sie seien bis heute die einzige Infektions­krankheit, die – außerhalb weniger Labore – tatsächlic­h verschwund­en ist, aber das keineswegs von selbst.

In vielen Kulturen erkannte man früh, dass immun wird, wer eine Krankheit durchgesta­nden hat. Diesen Schutz wollte man durch die absichtlic­he Infektion mit Pockenerre­gern erwirken: Bei der sogenannte­n Variolatio­n brachte man Eiter aus den Pusteln von Kranken in die Haut von Gesunden ein. Die Methode wurde zunächst in Waisenhäus­ern und beim Militär angewandt. Nicht ohne Risiko: Die Sterblichk­eit betrug bis zu drei Prozent. Auch Maria Theresia soll so – nach Tests an

Waisenkind­ern – versucht haben, ihre Kinder zu schützen. Ab dem Ende des 18. Jahrhunder­t nutzte man die Erreger von Kuhpocken, einer für den Menschen weit harmlosere­n Krankheit, um sich zu schützen: Mit der Vaccinatio­n – Vacca bedeutet Kuh – trat von England aus die erste Schutzimpf­ung ihren Siegeszug um die Welt an.

Ausdruck des Elends

Damals wie heute ist Armut ein großer Risikofakt­or für schwere Infektions­krankheite­n. „TBC begleitet die Menschheit seit Jahrtausen­den. Sie gilt als Krankheit des Elends und ist Ausdruck von Mangelernä­hrung und beengter Wohnverhäl­tnisse“, sagt Czech. Man schätze, dass rund ein Viertel der Weltbevölk­erung infiziert sei: „Wenn das Immunsyste­m geschwächt ist, bricht die Krankheit aus.“Mit fatalen Folgen: TBC war 2019 mit weltweit 1,4 Millionen Toten die tödlichste Infektions­krankheit. Trotz der in Summe großen Zahlen trat sie bisher aber nicht seuchenart­ig auf.

Anders die Cholera, die sich zuletzt etwa nach dem schweren Erdbeben auf Haiti 2010 oder im Bürgerkrie­g im Jemen 2016 rasant verbreitet­e. Anno 1883 waren es britische Schiffe, die die Krankheit bei ihrer Fahrt durch den Suez-Kanal aus Ägypten nach Europa einschlepp­ten. „Es gab damals heftige Diskussion­en, ob man die Handelsint­eressen hintanstel­len sollte“, berichtet Czech. Die Cholera brach schließlic­h in Frankreich und Spanien aus.

Magie hat keine Heilkräfte

Welche Lektionen lassen sich aus früher wütenden Seuchen für Covid-19 ableiten? Erstens, „dass sie weder durch übernatürl­iche Kräfte hervorgeru­fen werden noch durch solche enden, wie man es lang geglaubt hat“, sagt Czech. Es sei stets eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig gewesen, um sie zurückzudr­ängen. Wenn die Krankheit keine Wirte mehr finde, könne sich ein exponentie­lles Wachstum auch umkehren und implosions­artig in sich zusammenfa­llen. Zweitens seien geeignete Hygienemaß­nahmen schon immer entscheide­nd gewesen. „Die Cholera galt als Lehrmeiste­rin der Stadthygie­ne“, sagt Czech. Sie ließ sich durch die Kanalisati­on und bessere Trinkwasse­rqualität bekämpfen. Und drittens hätten neue Behandlung­smöglichke­iten und Impfungen die Situation entspannt.

Der Sieg war aber selten endgültig. „Die Pocken bilden eine Ausnahme“, sagt Czech. Alle stark ansteckend­en Infektions­krankheite­n – bis zu Covid-19 – verbinde die Diskussion, welche Maßnahmen die wirksamste­n sind. Und es seien auch immer die gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Kosten abgewogen worden.

Immerhin: Die Ballade vom lieben Augustin über die Pest wurde zur Metapher dafür, dass sich mit Humor alles überstehen lässt.

 ?? [ Gemeinfrei ] ?? Der österreich­ische Maler Adam Brenner hat festgehalt­en, wie der liebe Augustin in der Pestgrube erwacht.
[ Gemeinfrei ] Der österreich­ische Maler Adam Brenner hat festgehalt­en, wie der liebe Augustin in der Pestgrube erwacht.

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