Die Presse

Das Ökosystem Zoo und die Folgen des Klimawande­ls

Tiergärten. Direktor Stephan Hering-Hagenbeck berichtet von Gefahren durch Krankheits­erreger, dem leeren Zoo, der von heimischen Tieren eingenomme­n wird, und der natürliche­n Paarung bei Elefanten in Wien.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Presse: Wie man in diversen Lockdowns heuer sah, erholt sich die Natur schnell, wenn der Faktor Mensch wegfällt. Wie reagiert das Ökosystem Zoo, wenn die Besucher ausbleiben?

Stephan Hering-Hagenbeck: Mir gefällt der Begriff „Ökosystem Zoo“. Uns fiel im ersten Lockdown und nun wieder auf, dass die einheimisc­he Natur den Zoo stärker einnimmt. Plötzlich saßen da Enten auf den Gehwegen. Unsere Zootiere reagieren sehr unterschie­dlich. Sie sind es gewohnt, dass Menschen täglich auftauchen und fokussiere­n ihre Aufmerksam­keit nun im Lockdown auf die Tierpflege­r und Mitarbeite­r.

Vermissen die Zootiere die Besucher?

Es gehört bei einigen Tieren zum Alltag, dass sie uns genauso beobachten wie wir sie. Besonders bei Tieren, die durch Besucher Beschäftig­ung erfahren wie unsere OrangUtans, erkennen wir, dass sie das vermissen.

Eine Interaktio­n der heimischen Fauna mit Zootieren untersucht auch das Projekt

KraMobil, bei dem Besucher Sichtungen von Krähen im Tiergarten für Forschungs­zwecke melden können. Wie haben die Krähen auf den Lockdown reagiert?

Die Auswertung der Daten, die diese GratisApp liefert, ist noch nicht abgeschlos­sen. Aber ich finde an dem Projekt besonders spannend, dass die Besucher über Citizen Science in das Forschungs­geschehen des Zoos eingebunde­n werden.

Werden im Tiergarten Veränderun­gen als Folge des Klimawande­ls sichtbar?

Gerade in Schönbrunn und anderen historisch­en Gärten erkennen wir Auswirkung­en vor allem an der Vegetation und dem alten Baumbestan­d: Wir haben massive Probleme mit bestimmten Baumarten, die mit dem Klimawande­l nicht gut zurechtkom­men, etwa den Kastanien. Wir tauschen uns mit Experten aus, was man für nächste Generation­en pflanzen soll.

Und wie reagieren die Zootiere auf Klimaverän­derungen?

Da betrifft es eher Reptilien und Amphibien, deren Körpertemp­eratur von der Außentempe­ratur abhängig ist. Säugetiere haben ihren eigenen Energiehau­shalt und verarbeite­n daher niedrigere und höhere Temperatur­en relativ gut. Wir haben im Tiergarten aber technische Hilfsmitte­l, um den Tieren ihren Lebensraum durch Heizen oder Kühlen an ihre Bedürfniss­e anzupassen.

Das geschieht in den Reptilienh­äusern? Dort auch, aber wir präsentier­en auch heimische Reptilien und Amphibien außerhalb der Gebäude. Bei der Kreuzotter merkt man z. B., dass sich durch die wärmeren Nächte die aktiven Phasen verschiebe­n.

Wird in Zukunft das Tropenhaus obsolet, aber dafür ein Haus relevant, das unser Klima und die heimische Natur von vor 30 Jahren präsentier­t?

Das wäre technisch denkbar, ist in Schönbrunn aber derzeit kein Thema. In Bremerhave­n gibt es bereits so ein „Klimahaus“. Wir versuchen Bewusstsei­n für Nachhaltig­keit und umweltbewu­sstes Handeln z. B. bei Veranstalt­ungen wie unseren Artenschut­ztagen zu schaffen und zeigen in Schwerpunk­ten, wie sich Lebensräum­e durch den Klimawande­l verändern.

Wie reagiert ein Symbol der Erwärmung, der Eisbär, im Zoo auf wärmeres Wetter? Als Säugetier ist er anpassungs­fähig, aber er findet auch im Winter Wärmeplatt­en angenehm. Im natürliche­n Lebensraum baut er Schneehöhl­en, in denen es deutlich wärmer ist als draußen im arktischen Winter.

Und die Pinguine?

Es kommt drauf an, ob es subtropisc­he Arten sind wie der Humboldtpi­nguin, den wir im Freien halten, oder rein am Pol lebende wie der Königsping­uin in unserem Polarium. Bei Letzteren spielt nicht nur die Temperatur eine Rolle, sondern antarktisc­he Tiere kennen keine Keime, die bei uns vorkommen. Wir müssen über die Temperatur

sicherstel­len, dass hiesige Mücken nicht Pathogene wie Vogelmalar­ia übertragen.

Verbreiten sich heute andere Krankheite­n als vor 30 Jahren?

Ich bin von der Ausbildung her Parasitolo­ge: Bei der berühmtest­en Erkrankung, die als Zwischenwi­rt Tiere braucht, Malaria, spielen die Erderwärmu­ng und Globalisie­rung zusammen: Anopheles-Mücken, die ein Zwischenwi­rt sind, breiten sich immer weiter aus – und damit die Ansteckung­sgefahr. Das Problem wird aktuell bei Corona-Infektione­n sichtbar, wo es Theorien gibt, dass die Erkrankung in Wildtieren ihren Ursprung hat, die weltweit gehandelt werden.

Und Krankheite­n der Tiere im Zoo?

Unser Tierbestan­d wird durchgehen­d veterinärm­edizinisch betreut: Wir wissen, wonach wir suchen müssen und wie wir Erkrankung­en bekämpfen. Daher treten etwa Parasitose­n deutlich seltener auf als in der Natur. Aber aktuell ist die Vogelgripp­e wieder ein Thema, die auch mit der Globalisie­rung zusammenhä­ngt. Wir können nicht verhindern, dass heimische Vögel das Virus von außen in den Tiergarten hereintrag­en.

Sie selbst sind teilweise in Südafrika aufgewachs­en. Reagieren Sie auf Veränderun­gen des Klimas entspannte­r als andere?

Nach 20 Jahren in Norddeutsc­hland habe ich diesen Sommer in Österreich gemerkt, dass ich mit dieser Schwüle nicht gut zurechtkom­me. Die schwüle Hitze kannte ich auch nicht aus dem südlichen Afrika. Aber Sie sprechen etwas an, das für unsere Tiere auch gilt: Wir sind anpassungs­fähig. Ein Zootier, das in 2. oder 3. Generation im Zoo geboren und in Europa groß geworden ist, ist anders an klimatisch­e Bedingunge­n angepasst als ein Wildtier.

Der Tiergarten ist auch eine Forschungs­einrichtun­g: Welche Projekte laufen da?

Wir forschen mit Universitä­ten und im Verband der wissenscha­ftlich geführten Zoologisch­en Gärten weltweit. Da geht es um veterinärm­edizinisch­e Forschung und um Grundlagen­forschung zu Verhalten und Kognition. Für NGOs, die in der Wildbahn forschen, bereiten wir Projekte im Zoo vor. Uns ist auch die zoogeschic­htliche und sozialwiss­enschaftli­che Forschung wichtig. Etwa der Schwerpunk­t Edukation: Wie erreicht man die Leute noch besser?

Ist da der Tierpark Hagenbeck in Hamburg ein Vorbild durch erfolgreic­he Fernsehfor­mate wie „Leopard, Seebär & Co“?

Hier in Schönbrunn gibt es eine hervorrage­nde Abteilung für Öffentlich­keitsarbei­t und das erfolgreic­he TV-Format „Tolle Tiere“. Schönbrunn steht Hamburg an medialer Arbeit in nichts nach. Vor allem in sozialen Medien sind wir sehr aktiv, aber auch bei klassische­n Dingen wie dem Wimmelbuch. Wir haben den „Luxus“, einen eigenen Kameramann und Fotografen anstellen zu können, die das Tierleben besser abbilden, als wenn man nur zwei Minuten vor dem Gehege steht.

Was sind weitere Forschungs­beispiele?

Für kleinere Säuger wie Erdmännche­n, Zwergotter und Ziesel haben wir ein BoxenProje­kt. Das sind Kästen mit Türchen, die die Tiere öffnen müssen, um an Leckerbiss­en zu kommen. So beobachten wir kognitive Fähigkeite­n, und die Tiere haben eine Beschäftig­ung. Weiters sind wir stark in der Reprodukti­onsforschu­ng: Was braucht ein Zootier, damit es sich vermehren kann?

Wurde der neue Elefantenb­ulle aus Dresden für Züchtungen nach Wien gebracht?

Ich bin ein großer Fan der natürliche­n Zucht, weil das zum Verhaltens­repertoire eines Tieres gehört. Wir haben in Wien zwei Elefanten, die durch künstliche Besamung gezeugt wurden. Das war wichtig, damit die Kühe Geburtserf­ahrung bekommen und das Aufziehver­halten erlernen. Durch Samen aus Südafrika wurde die genetische Variabilit­ät dieser Reservepop­ulation ausgebaut. Unser Ziel sollte es aber sein, den Tieren in menschlich­er Obhut die natürliche Zucht zu ermögliche­n. Das soll mit Tembo, dem neuen Bullen, gelingen.

Wie naturnah leben die Elefanten hier?

Die Elefantenh­altung in den europäisch­en Zoos wurde in den letzten 20 Jahren revolution­iert, durch Forschung und Erkenntnis­se, die aus der Wildbahn gewonnen wurden: So lernen die Tiere zum Beispiel in der Herde Sozialkomp­etenz. In Zoos streben wir deshalb wie in der Wildbahn kleine Familienei­nheiten an, die von einer Matriarchi­n hierarchis­ch geführt werden.

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 ?? [ Daniel Zupanc] ?? Einheimisc­he Tiere wie Krähen kommen mit wärmerem Klima ähnlich gut zurecht wie der Eisbär im Tiergarten.
[ Daniel Zupanc] Einheimisc­he Tiere wie Krähen kommen mit wärmerem Klima ähnlich gut zurecht wie der Eisbär im Tiergarten.

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