Die Presse

Biodiversi­tät. Gebietsfre­mde Arten können verheerend­e Folgen für Ökosysteme haben. Wiener Forscher entwickeln angesichts ihres rasanten Anstiegs Zukunftssz­enarien, um damit Maßnahmen gegen die Verschlepp­ung und Ausbreitun­g von problemati­schen Tieren und P

- VON CORNELIA GROBNER

ie Braune Nachtbaumn­atter hat auf Guam (USA), der größten Insel des Marianen-Archipels, zehn von zwölf Vogelarten ausgerotte­t. Die Schlange wurde während des Zweiten Weltkriegs mit Militärflu­gzeugen eingeschle­pptpp und brachte daraufhin das gesamte Ökos ystem durcheinan­der. „Die Vögel hatten vorher keine natürliche­n Feinde, sie waren deshalb zahm und zum Teil flugunfähi­g“, sagt der Biodiversi­tätsforsch­er Franz Essl von der Universitä­t Wien. Und weil Vögel auch eine wichtige Rolle bei der Verbreitun­g von Pflanzensa­men spielen, bedroht ihre Abwesenhei­t nun die Vegetation auf der Pazifikins­el.

Gefährlich­e blinde Passagiere

In den vergangene­n 150 Jahren ist es weltweit zu einem explosions­artigen Anstieg der Zahl gebietsfre­mder Arten, sogenannte­r Neobiota, gekommen. Ein Extrembeis­piel ist Hawaii, wo es mittlerwei­le mehr eingeschle­ppte als heimische Arten gibt. Essl: „Jede Woche kommt eine neue dazu.“Im Vergleich dazu passiert das von Natur aus lediglich einmal in 10.000 Jahren. Im globalen Vergleich liegt Österreich mit rund 2200 eingeschle­ppten Tier- und Pflanzenar­ten im oberen Mittelfeld. Das hat mit der geografisc­hen Lage des Landes mit seinen vielen Nachbarsta­aten, der Vielzahl an Handelsbez­iehungen sowie dem europäisch­en Kolonialis­mus zu tun. Die kalten Winter bewahren Österreich aber davor, zu einem ähnlichen Hotspot wie etwa Großbritan­nien zu werden, wo auch eingeschle­ppte Arten aus dem subtropisc­hen Raum überleben.

„Wir haben es mit einem gravierend­en neuen Phänomen zu tun, das ein Mitgrund für das weltweite Artensterb­en ist“, erklärt Essl. Außerdem können Neobiota auch menschlich­e Nutzpflanz­en angreifen. Ein

Beispiel dafür ist der während des Jugoslawie­n-Kriegs über US-Militärtra­nsporte eingeschle­ppte Maiswurzel­bohrer. „Der Käfer richtet seither großen ökonomisch­en Schaden an. Seine Bekämpfung mit Beizmittel trug wiederum zum Insektenst­erben bei.“

Mit seinem Team an der Uni Wien erarbeitet Essl Modelle, um Aussagen zur regionalen und globalen Entwicklun­g von Neobiota in den nächsten 30 Jahren treffen zu können. Das Projekt ist eingebette­t in das von ihm koordinier­te EU-Forschungs­vorhaben „AlienScena­rios“, an dem sechs weitere Universitä­ten beteiligt sind. „Bei der Ausbreitun­g von Neobiota spielen der Klimawande­l und vor allem Handelsbez­iehungen eine wichtige Rolle. Wir formuliere­n konkrete Szenarien, um den Anstieg von Neobiota in Abhängigke­it von konkreten Maßnahmen – ähnlich wie man es bei Klimawande­lmodellen macht – vorhersage­n zu können.“Dazu kombiniere­n die Forscher Daten zur regionalen Verbreitun­g gebietsfre­mder Arten und zu ihrem jeweiligen Erstnachwe­is mit Beobachtun­gen zu Klimawande­l und Handelsbez­iehungen.

Das Worst-Case-Szenario? „Ein ungebremst­er Anstieg, wenn alles so weiterläuf­t wie bisher und die Politik wenig auf Umweltbela­nge Rücksicht nimmt.“Das heißt, Güterkontr­ollen und Vorsichtsm­aßnahmen werden in den meisten Ländern nur wenig ambitionie­rt oder gar nicht umgesetzt. „Es gibt aber verschiede­ne Möglichkei­ten, wie man die Ausbreitun­g von Neobiota trotz Handels und sogar trotz wachsenden Handels in den Griff bekommen kann. Das bildet unser Nachhaltig­keitsszena­rio ab.“Dazu bräuchte es zum einen strenge Inspektion­en und Importbesc­hränkungen sowie rasche Maßnahmen, wenn problemati­sche Neobiota entdeckt werden. Aber zum anderen auch eine Politik, die den Schwerpunk­t auf nachhaltig­e Entwicklun­g setzt.

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