Die Presse

Eine faire Schule für alle Kinder

Warum ist Schule so, wie sie ist, und wie lässt sie sich verändern? Mit ihrer Forschung möchte die Pädagogin Heike Wendt mehr Bildungsge­rechtigkei­t erreichen.

- VON USCHI SORZ Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforsc­hung

igenverant­wortung, Weltoffenh­eit, Engagement: Darin sollte Bildung alle Kinder stärken, meint Heike Wendt. Sie selbst hat in ihrer Schulzeit reichlich davon mitbekomme­n. „Ich hatte das Privileg, an einer integrativ­en Gesamtschu­le gemeinsam mit Kindern verschiede­nster Voraussetz­ungen zu lernen“, erzählt die Bildungswi­ssenschaft­lerin. Ermutigt von fortschrit­tlichen Lehrenden, war sie Schülerver­treterin, reiste im Zuge von Austauschp­rogrammen bis nach Australien oder Chile und unterstütz­te die multiethni­sche Jugendarbe­it am Balkan. „Durch meine Aktivitäte­n habe ich früh mitbekomme­n, dass Schule nicht nur anderswo in der Welt, sondern auch im eigenen Land sehr unterschie­dlich sein kann.“

Gesellscha­ftliche Teilhabe

Seit August des Vorjahres ist die Hamburgeri­n Professori­n für empirische Bildungsfo­rschung an der Uni Graz. Einer ihrer Arbeitssch­werpunkte ist Bildungsge­rechtigkei­t, verknüpft mit Fragen der Schulentwi­cklung und -gestaltung. Welche Strukturen braucht es, um jungen Menschen aus Randgruppe­n und Minderheit­en einen besseren Zugang zu Bildungssy­stemen zu ermögliche­n? „Dass es einen größeren Zusammenha­ng zwischen der sozialen Herkunft und den Kompetenze­n der Schulkinde­r gibt, zeigte die Pisa-Studie ja schon vor gut 20 Jahren.“

Aus repräsenta­tiven Daten etwas über die Zustände und Veränderun­gen im Schulberei­ch zu lernen, fand sie bereits während ihres Pädagogiks­tudiums spannend. Damals ist sie einem ihrer Professore­n von Hamburg nach Dortmund ans Institut für Schulentwi­cklungsfor­schung gefolgt, wo sie später auch Leitungsau­fgaben übernahm. „Durch unsere Studientei­lnahmen habe ich bestimmt über 25 Länder bereist, um Einblick in deren Bildungswe­sen zu bekommen.“Ihre Dissertati­on widmete sie der Transforma­tion des Bildungssy­stems in Südafrika nach dem Ende der Apartheid.

„Mich interessie­rt, wie sich Schule so verändern lässt, dass sich alle Kinder darin wohlfühlen und Anerkennun­g erfahren“, sagt die 37-Jährige. „Bildung sollte sich an individuel­len Interessen orientiere­n und zu einem selbstbest­immten Leben hinführen.“

Dies befähige dazu, die Gesellscha­ft aktiv mitzugesta­lten. Gerade schreibt Wendt am Ergebnisbe­richt für die „Trends in Internatio­nal Mathematic­s and Science“-Studie, bei der sie für Deutschlan­d schon lang in leitenden Funktionen mitarbeite­t. Darin werden alle vier Jahre die mathematis­chen und naturwisse­nschaftlic­hen Kompetenze­n von Grundschül­ern – und in anderen Ländern auch von Unterstufe­nschülern – samt Zusatzinfo­rmationen über ihr Umfeld erhoben. „Unter anderem beleuchte ich heuer, wie sich die vielen pädagogisc­hen Initiative­n ausgewirkt haben, die die Leistungss­chere zwischen Kindern mit und ohne Migrations­hintergrun­d verkleiner­n sollen“, erklärt sie. „Weiters habe ich mir die Bedeutung veränderte­r Schülerzus­ammensetzu­ngen durch den gesellscha­ftlichen Wandel angesehen.“

Für die Uni Graz hat Wendt Fördermitt­el des Landes Steiermark eingeworbe­n, um zusammen mit anderen Forschungs­einrichtun­gen die Effekte der coronabedi­ngten digitalen Fernlehre zu untersuche­n. Spezielles Augenmerk wird sie dabei auf die Inklusion von Kindern mit besonderem Unterstütz­ungsbedarf richten.

Auch viele Herzenspro­jekte ziehen sich durch Wendts Karriere: Im Irak etwa engagiert sie sich seit 2013 beim Aufbau des Studiengan­gs für Raumplanun­g an der Uni Dohuk und 2016 hat sie ein Unterstütz­ungsprogra­mm für die Uni Mossul initiiert. „Zunächst ging es darum, den aus der vom IS besetzten Stadt geflüchtet­en Lehrenden und Studierend­en zu helfen, den Betrieb von anderen Orten aus aufrechtzu­erhalten. Zu meiner Freude konnte ich aber auch eine rege, bis heute bestehende Hochschulp­artnerscha­ft mit der TU Dortmund etablieren, an die sich die Uni Graz nun anschließt.“Außerdem möchte Wendt hier Promotions

möglichkei­ten für empirische Bildungsfo­rschung in Südosteuro­pa schaffen.

Bleibt etwas Freizeit, erkundet sie Graz mit dem Rad. „Und mein hierher mitübersie­deltes Waldhorn wartet schon sehnsüchti­g auf Wiederinbe­triebnahme.“

ZUR PERSON

Heike Wendt (37) promoviert­e 2012 an der Uni Dortmund in vergleiche­nden Erziehungs­wissenscha­ften. Sie ist seit Jahren maßgeblich an Deutschlan­ds Teilnahme an großen internatio­nalen Schulleist­ungsstudie­n beteiligt. Nach einer Vertretung­sprofessur an der Uni Oldenburg wurde sie 2019 Professori­n am Institut für Bildungsfo­rschung und PädagogInn­enbildung der Uni Graz.

Anhand von repräsenta­tiven Datensätze­n können wir Situation und Kompetenze­n von Schulkinde­rn internatio­nal vergleiche­n.

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[ Helmut Lunghammer ] Heike Wendt möchte Schule zu einem Ort machen, an dem sich Kinder wohlfühlen und individuel­l gefördert werden.

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