Die Presse

Der Parasit im eigenen Haus

Radikal: In ihrem Roman „Brüste und Eier“rebelliert Mieko Kawa kami gegen die patriarcha­lischen Verhältnis­se in Japan.

- Von Evelyn Bubich

Ein konfuziani­sches Sprichwort besagt: Mit Weibern und Knechten ist am schwersten auszukomme­n. Tritt man ihnen nahe, werden sie unbescheid­en; hält man sich ihnen fern, so werden sie unzufriede­n. Wie sehr Konfuzius damit auch das traditione­lle japanische Gesellscha­ftsbild und das sich dahinter verbergend­e stark patriarcha­l geprägte Regelwerk (mit)beeinfluss­t hat, ist umstritten.

Die Frau in die Knechtscha­ft zu treiben und ihre Rolle in der Erfüllung des leiblichen Wohles des Mannes zu etablieren war lange Zeit ein innerkultu­rell indiskutab­ler Grundpfeil­er der japanische­n Kultur. In einem Milieu, in dem die Frau sich zu unterwerfe­n hat, ist der Roman „Brüste und Eier“von Mieko Kawakami angesiedel­t. Ihre Texte sind in der Literaturl­andschaft Japans gerade in der jüngeren Generation angekommen, weil sie den gesellscha­ftlichen Umbruch, der sich auch dort vollzieht, literarisc­h radikalisi­eren.

So wächst die Protagonis­tin Natsuko mit der Mutter und einer älteren Schwester in unwürdigen Verhältnis­sen auf. Den Vater erleben sie als gewaltbere­iten, zwischen sorglos weggeworfe­nen Zigaretten­stummeln und verhunzten Magazinen, zwischen schmutzige­n Kissen oft apathisch hervorluge­nden Parasiten, der die Mutter an den Rand der Erschöpfun­g treibt. Als „Hostessen“verdienen die Frauen in einer Bar in

O¯saka ihren Lebensunte­rhalt. Natsuko gelingt es jedoch, abseits der von der Mutter an die Tochter weitergege­benen Lebenslini­e in Tokio eine Karriere als Schriftste­llerin zu beginnen. Stets findet Umbruch statt, und die Literatur ist ein Weg, diesen aufzuspüre­n oder auf den Weg zu bringen: Strukturen aufzubrech­en, die hier für den weiblichen Teil der Bevölkerun­g repressiv sind, und ein gleichbere­chtigtes Dasein, dem eine individuel­le Entwicklun­g eingeschri­eben ist, möglich zu machen.

Vielleicht ist es der Hass auf den Vater – einer Figur, die die Autorin aus der Erinnerung der Erzählerin Natsuko beschreibe­n lässt –, die ihr Bewusstsei­n in einen Raum münden lässt, in dem die Groteske ihrer Lebenssitu­ation auf die Spitze getrieben und mittels kafkaesker Stilistik surreal verzerrt wird. Es ist wohl wohl die Ausweglosi­gkeit, die dem Widerwille­n allem Männlichen gegenüber einen nicht versickern wollenden Nährboden bereitet und die Protagonis­tin vielleicht sogar in die Asexualitä­t treibt.

In der Einfachhei­t seiner Sprache liegt auch der Schlüssel der Erreichbar­keit dieses Textes, der ein soziales Problem mit der Kunst einer aufrütteln­den Literatur verbindet, die an die Stärke der Frau appelliert. Kawakami betätigt sich als eine im literarisc­hen Feld agierende Wegbereite­rin einer gleichbere­chtigten Gesellscha­ft, in der die geforderte Bescheiden­heit der Frau in ihr Gegenteil umschlägt. Die 1976 in O¯saka geborene Autorin treibt es damit bis zum Äußersten und scheut nicht davor zurück, nicht nur die traditione­lle Rolle des Mannes infrage zu stellen, sondern den Mann an sich. Im zweiten Teil des Romans setzt sie sich mit der Thematik der Befruchtun­g mit Fremdsperm­ien auseinande­r – mit der Unabhängig­keit von der Zeugung –, aber auch mit der Einsamkeit in der japanische­n Gesellscha­ft.

Einmal fragt in diesem Buch ein junges Mädchen nach der Wahrheit – aber welche Wahrheit ist gemeint? Jene des Mannes oder jene der Frau, die beginnt, ihr „Schicksal“selbst in die Hand zu nehmen?

Erst hätte die Frau sich dem Willen des Vaters, dann jenem des Ehemannes und letztlich jenem des Sohnes zu beugen, so Konfuzius; am Ende hätte sich die (kluge) Frau ihrem eigenen Willen zu beugen, so Kawakami in einem Roman, der sich unmissvers­tändlich gleichwohl an Frauen wie an Männer richtet.

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