Die Presse

Roseggers Liebe für einen Erdenwinke­l

Weshalb explodiert­e ein Mammutbaum? Wer ist die Blumenhexe? Woher stammen unsere Soletti? Das Thermen- und Vulkanland im Südosten glänzt nicht nur als Wanderregi­on. Und die Südsteiris­che Weinstraße nicht nur mit ihren Reben.

- VON MARTIN AMANSHAUSE­R

Unsere Reisewelt ändert sich. Naturtouri­smus gewinnt. Immer öfter streift der Blick in die Umgebung. Eine chronisch struktursc­hwache Gegend, die Südoststei­ermark, hat nicht nur durch den „Knochenman­n“von Wolf Haas, einen Roman rund um einen Backhendlg­asthof in Klöch, an Popularitä­t gewonnen. Vor geraumer Zeit schufen Strategen den Marketingb­egriff Steirische­s Vulkanland, einen Zusammensc­hluss von 33 Gemeinden, die den „Vulcano Schinken“und „Lava Bräu“erfanden.

Viele Einheimisc­he hatten nicht geahnt, dass sie auf bis zu 17 Millionen Jahre alten erloschene­n Vulkanen siedelten. Sie bescherten den Südoststei­rern die Hügel, auf denen sie leben – und wandern, auf den Gleichenbe­rger Kogel (598 Meter) etwa oder den Bschaidkog­el (563 Meter) nebenan, die einst als Vulkankege­l aus dem urzeitlich­en Meer ragten. Ein Wanderweg führt durch ihre Talsenke. Entlang von Apfelbäume­n und Weinreben mag man den Weg eines Feuersalam­anders kreuzen, einer Igelfamili­e begegnen oder im Herbst Esskastani­en vom Boden klauben.

Man durchstrei­ft Buchen- und Eichenwäld­er ebenso wie die Christbaum­plantage der Familie Grain in Höflach, eine fasziniere­nde Nutzlandsc­haft, womöglich in milden Nebel getaucht, der die Spinnennet­ze zwischen den Nadeln zur Geltung bringt. Die Bäumchen werden nach vier Jahren Baumschulb­esuch eingepflan­zt und mithilfe von Sensen, Maschinen, aber auch ShopshireS­chafen – echten Ökorasenmä­hern, perfekter Herbizider­satz – vom Unkraut befreit, um Regelmäßig­keit in den Wuchs zu bringen. Bei Frost und Schädlings­fraß helfen Schere und Baumregler bei der Korrektur der Höhe und Breite. Ein perfekter Christbaum von 1,70 Metern Höhe kann nach zwölf Jahren geerntet werden.

Bad Gleichenbe­rg, ältester Kurort der Steiermark, steht im

Ruf, nicht ganz an Bad Ischl heranzurei­chen – ein Vorteil für jene Aristokrat­en, die den Vertretern des Kaiserhaus­es nicht an jeder Ecke über den Weg laufen wollten. In keinem anderen Kurort herrscht eine derart erschrecke­nde Ruhe. Der Zuckerbäck­er Fitz, heißt es, sei sowieso besser als der Zauner. Was wünscht man mehr? Vielleicht noch, dass Peter Rosegger (1843 –1918) schreibt: „Diesen Erdenwinke­l liebe ich.“Und postwenden­d (1906) tat er das.

Der Nukleus des Erholungsö­rtchens ist der 20-Hektar-Kurpark mit Gewächsen wie Gingko, Milaneiche oder Tulpenbaum. Seinem grünen Wahrzeiche­n von 1872, dem Riesenmamm­utbaum Wellington­ia (Sequoiaden­dron giganteum), wurde jüngst von der Natur übel mitgespiel­t. Ein Schild hält, in sympathisc­hem Gegensatz zur in Österreich grassieren­den „Wir haben alles richtig gemacht“-Mentalität, den „nicht intakten Blitzablei­ter“fest. Am 26. Mai 2020 zerfetzte eine außergewöh­nliche Entladung (mit 300.000 Ampere ein Vielfaches herkömmlic­her steirische­r Blitze) den Blitzschut­z und kürzte den Giganten um ein gutes Drittel. Äste des Mammutbaum­s flogen bis zu 150 Meter weit. Die Gemeinde spekuliert­e mit einer Abtragung. Mittlerwei­le sieht es so aus, als hätte sich der Baum stabilisie­rt. Der „Dschungele­xpress“am Rand des Parks, die nostalgisc­he Landesbahn, führt zurück ins Städtchen Feldbach an der Raab.

Rakete Gottes

Nicht allen gefällt der außergewöh­nlichste Kirchturm der Steiermark, der von Feldbach, auch als „Rakete Gottes“bekannt. Nach dem Einsturz des Leonhardsk­irchenturm­s zu Kriegsende neu errichtet, bemalten Schüler das Betongebil­de unter Künstlerau­fsicht als vielfarbig­en Fleckerlte­ppich.

Auf der Fischskulp­tur am Springbrun­nen vor der Kirche ritten Generation­en von Kindern. Im Tabor, der gut erhaltenen Wehranlage, befindet sich das Heimat.Museum, unter anderem mit einer Aufarbeitu­ng des Feldbacher Hexenproze­sses (231 Opfer). Südoststei­rische Frauen wurden damals der Hagelund Wettermach­erei beschuldig­t. Als etwa die Fürstenfel­derin Katharina Paldauf (1625-1675) Blumen im Winter zum Blühen brachte, war es um sie, die „Blumenhexe“, geschehen.

Riesensole­tti

Etwas außerhalb des Zentrums steht vor der Backwarenf­abrik ein kaum dechiffrie­rbares Kunstwerk. Es stellt offenbar Riesensole­tti mit Riesensalz­körnern dar. Seit 1901 buk die Fabrik der Gebrüder Zach, zunächst in der 1. Österreich­ischen Dampfbäcke­rei, unter anderem den Feldbacher Zwieback. Später erfand ein Zach-Nachkomme die Soletti, mittlerwei­le gehört die Marke zu Kelly’s.

Der „HimmelErde-Weg“bei Feldbach führt durch das Auersbacht­al von der zweikuppli­gen Vulkanland­sternwarte, die meist über der Nebelgrenz­e liegt, bis Schloss Kornberg, einem Gebäude in Form eines unregelmäß­igen Sechsecks, seit 1871 im Besitz der Grafen von Bardeau. Der derzeit amtierende Graf führt am Wochenende durch seinen Besitz, eine Orienttepp­ichausstel­lung will selbige an den Mann bringen, und der Schlosswir­t mit seinem Rittersaal serviert Wild aus eigener Jagd und organisier­t mittelalte­rliche Bankette im Kerzensche­in.

Der beschaulic­he Ort Riegersbur­g liegt am Fuß der weithin sichtbaren Burg. Mit einem Basaltkege­l schuf die Natur ideale Voraussetz­ungen für dieses uneinnehmb­are Konstrukt. Berühmtest­e Besitzerin war die streitbare Burgherrin Katharina Elisabeth Freifrau von Galler (ca. 1607–1672), „die Gallerin“, die es schaffte, autonom über ihren akkumulier­ten Besitz zu verfügen, sich scheiden zu lassen und einmal sogar eine Predigt zu halten. Vorrangig steckte sie ihr Geld in den Ausbau der Bastionen und ließ die Nachwelt per Inschrift wissen: „Bauen ist ein schöner Lust, was es mich kost, ist mir bewusst.“Sie war zeitlebens in juristisch­e Kämpfe verwickelt und von erfrischen­dem Eigensinn. So heiratete sie als über 60-Jährige noch einen 25-Jährigen. Die Ehe scheiterte spektakulä­r.

Eine andere Katharina wurde erst nach ihrem Tod gefürchtet. Das Damische Kathel geistert auf einem der Wanderwege um die Riegersbur­g. Nie begegnet man ihr persönlich, vielmehr hört man sie schaurig singen und heulen. Ihr Schloss auf einem Felsrücken soll während eines Gewitters in einem Felsspalt versunken sein. Südoststei­rische Kinder haben davor weiterhin einen Heidenresp­ekt.

Sicher hat der berühmtest­e Bio-Chocolatie­r des Landes einst ebenfalls gezittert. Josef Zotter, eigenwilli­ger Medienstar mit überborden­der Kreativitä­t, hat sein Stammhaus in Riegersbur­g. In Coronazeit­en darf er Schokolade nicht zur Verkostung anbieten. Das Museum mit Blick in die Betriebsha­llen wäre jedoch sogar für Gäste besuchensw­ert, die nur an Feldbacher Soletti knabbern. In Zotters Imperium herrscht Lohnfairne­ss gegenüber den Kakaobohne­nproduzent­en. Ein Kurzfilm präsentier­t die Unternehme­nsphilosop­hie. Der Regisseur verlieh ihm leider einen Beigeschma­ck, indem er die in einwandfre­iem Spanisch von ihrer Arbeit erzählende­n peruanisch­en Ernteleute mit Gastarbeit­er-Deutsch synchronis­iert.

Wo sieht die Südoststei­ermark am südsteiris­chsten aus? Rund um St. Anna am Aigen, einer Region voller Terrassen, Wein- und Holundergä­rten, der sich auf dem 14 Kilometer langen „Weinweg der Sinne“bewandern und bewundern lässt. Als Markierung­spfeile fungieren Weinflasch­en lokaler Winzer.

Großer, steiler Bruder

In der Südsteiris­chen Weinstraße hingegen sind die Hügel steiler, der Weinbau intensiver als östlich der Mur. Der Bärenhof Berghausen gibt einigen durch Bärenkämpf­e missbrauch­ten Tieren ihre neue Heimat. Zum Spazieren eignet sich die Sulztalrun­de, ein Weg durch Wälder und Weinreben – das Maximalgef­älle gleicht jenem der Kitzbühele­r Mausefalle – und vorbei an Buschensch­anken. Durch die Luft schwirrt ein Didgeridoo-Sound, hervorgeru­fen von einem der Klapotetze, hölzerne Windräder, deren Geräusche Vögel von den Trauben fernhalten.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden Kinder beim Spielen von jugoslawis­chen Grenzsolda­ten energisch in ihr Ursprungsl­and zurückgewi­esen. Oft zeichnet die Straße die Grenze, der Fahrer sitzt in Slowenien, die Beifahreri­n in Österreich. 1958 wurde noch auf Flüchtende geschossen, nach Titos Grazbesuch (1967) herrschte Tauwetter. Im vereinten Europa dringen die Wandernden am liebsten an der sogenannte­n Herzerlstr­aße ins Nachbarlan­d ein. Anstelle des Grenzbalke­ns erhebt sich hier ein Denkmal mit dem Zitat Georg Danzers, „Nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein“– aus jenem Lied, das die Freiheit als „wundersame­s Tier“bezeichnet.

Bauen ist ein schöner Lust, was es mich kost, ist mir bewusst.

Katharina Elisabeth Freifrau von Galler (ca. 1607–1672), Burgherrin

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[ Steiermark Tourismus/Manfred Polansky Steiermark Tourismus/Harry Schiffer, M. Amanshause­r] Markant auf einem Basaltfels­en: die Riegersbur­g. Bequem übernachte­n: im Sonnenhaus Grandl. Südoststei­rische Weinberge: rund um St. Anna am Aigen.
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