Roseggers Liebe für einen Erdenwinkel
Weshalb explodierte ein Mammutbaum? Wer ist die Blumenhexe? Woher stammen unsere Soletti? Das Thermen- und Vulkanland im Südosten glänzt nicht nur als Wanderregion. Und die Südsteirische Weinstraße nicht nur mit ihren Reben.
Unsere Reisewelt ändert sich. Naturtourismus gewinnt. Immer öfter streift der Blick in die Umgebung. Eine chronisch strukturschwache Gegend, die Südoststeiermark, hat nicht nur durch den „Knochenmann“von Wolf Haas, einen Roman rund um einen Backhendlgasthof in Klöch, an Popularität gewonnen. Vor geraumer Zeit schufen Strategen den Marketingbegriff Steirisches Vulkanland, einen Zusammenschluss von 33 Gemeinden, die den „Vulcano Schinken“und „Lava Bräu“erfanden.
Viele Einheimische hatten nicht geahnt, dass sie auf bis zu 17 Millionen Jahre alten erloschenen Vulkanen siedelten. Sie bescherten den Südoststeirern die Hügel, auf denen sie leben – und wandern, auf den Gleichenberger Kogel (598 Meter) etwa oder den Bschaidkogel (563 Meter) nebenan, die einst als Vulkankegel aus dem urzeitlichen Meer ragten. Ein Wanderweg führt durch ihre Talsenke. Entlang von Apfelbäumen und Weinreben mag man den Weg eines Feuersalamanders kreuzen, einer Igelfamilie begegnen oder im Herbst Esskastanien vom Boden klauben.
Man durchstreift Buchen- und Eichenwälder ebenso wie die Christbaumplantage der Familie Grain in Höflach, eine faszinierende Nutzlandschaft, womöglich in milden Nebel getaucht, der die Spinnennetze zwischen den Nadeln zur Geltung bringt. Die Bäumchen werden nach vier Jahren Baumschulbesuch eingepflanzt und mithilfe von Sensen, Maschinen, aber auch ShopshireSchafen – echten Ökorasenmähern, perfekter Herbizidersatz – vom Unkraut befreit, um Regelmäßigkeit in den Wuchs zu bringen. Bei Frost und Schädlingsfraß helfen Schere und Baumregler bei der Korrektur der Höhe und Breite. Ein perfekter Christbaum von 1,70 Metern Höhe kann nach zwölf Jahren geerntet werden.
Bad Gleichenberg, ältester Kurort der Steiermark, steht im
Ruf, nicht ganz an Bad Ischl heranzureichen – ein Vorteil für jene Aristokraten, die den Vertretern des Kaiserhauses nicht an jeder Ecke über den Weg laufen wollten. In keinem anderen Kurort herrscht eine derart erschreckende Ruhe. Der Zuckerbäcker Fitz, heißt es, sei sowieso besser als der Zauner. Was wünscht man mehr? Vielleicht noch, dass Peter Rosegger (1843 –1918) schreibt: „Diesen Erdenwinkel liebe ich.“Und postwendend (1906) tat er das.
Der Nukleus des Erholungsörtchens ist der 20-Hektar-Kurpark mit Gewächsen wie Gingko, Milaneiche oder Tulpenbaum. Seinem grünen Wahrzeichen von 1872, dem Riesenmammutbaum Wellingtonia (Sequoiadendron giganteum), wurde jüngst von der Natur übel mitgespielt. Ein Schild hält, in sympathischem Gegensatz zur in Österreich grassierenden „Wir haben alles richtig gemacht“-Mentalität, den „nicht intakten Blitzableiter“fest. Am 26. Mai 2020 zerfetzte eine außergewöhnliche Entladung (mit 300.000 Ampere ein Vielfaches herkömmlicher steirischer Blitze) den Blitzschutz und kürzte den Giganten um ein gutes Drittel. Äste des Mammutbaums flogen bis zu 150 Meter weit. Die Gemeinde spekulierte mit einer Abtragung. Mittlerweile sieht es so aus, als hätte sich der Baum stabilisiert. Der „Dschungelexpress“am Rand des Parks, die nostalgische Landesbahn, führt zurück ins Städtchen Feldbach an der Raab.
Rakete Gottes
Nicht allen gefällt der außergewöhnlichste Kirchturm der Steiermark, der von Feldbach, auch als „Rakete Gottes“bekannt. Nach dem Einsturz des Leonhardskirchenturms zu Kriegsende neu errichtet, bemalten Schüler das Betongebilde unter Künstleraufsicht als vielfarbigen Fleckerlteppich.
Auf der Fischskulptur am Springbrunnen vor der Kirche ritten Generationen von Kindern. Im Tabor, der gut erhaltenen Wehranlage, befindet sich das Heimat.Museum, unter anderem mit einer Aufarbeitung des Feldbacher Hexenprozesses (231 Opfer). Südoststeirische Frauen wurden damals der Hagelund Wettermacherei beschuldigt. Als etwa die Fürstenfelderin Katharina Paldauf (1625-1675) Blumen im Winter zum Blühen brachte, war es um sie, die „Blumenhexe“, geschehen.
Riesensoletti
Etwas außerhalb des Zentrums steht vor der Backwarenfabrik ein kaum dechiffrierbares Kunstwerk. Es stellt offenbar Riesensoletti mit Riesensalzkörnern dar. Seit 1901 buk die Fabrik der Gebrüder Zach, zunächst in der 1. Österreichischen Dampfbäckerei, unter anderem den Feldbacher Zwieback. Später erfand ein Zach-Nachkomme die Soletti, mittlerweile gehört die Marke zu Kelly’s.
Der „HimmelErde-Weg“bei Feldbach führt durch das Auersbachtal von der zweikuppligen Vulkanlandsternwarte, die meist über der Nebelgrenze liegt, bis Schloss Kornberg, einem Gebäude in Form eines unregelmäßigen Sechsecks, seit 1871 im Besitz der Grafen von Bardeau. Der derzeit amtierende Graf führt am Wochenende durch seinen Besitz, eine Orientteppichausstellung will selbige an den Mann bringen, und der Schlosswirt mit seinem Rittersaal serviert Wild aus eigener Jagd und organisiert mittelalterliche Bankette im Kerzenschein.
Der beschauliche Ort Riegersburg liegt am Fuß der weithin sichtbaren Burg. Mit einem Basaltkegel schuf die Natur ideale Voraussetzungen für dieses uneinnehmbare Konstrukt. Berühmteste Besitzerin war die streitbare Burgherrin Katharina Elisabeth Freifrau von Galler (ca. 1607–1672), „die Gallerin“, die es schaffte, autonom über ihren akkumulierten Besitz zu verfügen, sich scheiden zu lassen und einmal sogar eine Predigt zu halten. Vorrangig steckte sie ihr Geld in den Ausbau der Bastionen und ließ die Nachwelt per Inschrift wissen: „Bauen ist ein schöner Lust, was es mich kost, ist mir bewusst.“Sie war zeitlebens in juristische Kämpfe verwickelt und von erfrischendem Eigensinn. So heiratete sie als über 60-Jährige noch einen 25-Jährigen. Die Ehe scheiterte spektakulär.
Eine andere Katharina wurde erst nach ihrem Tod gefürchtet. Das Damische Kathel geistert auf einem der Wanderwege um die Riegersburg. Nie begegnet man ihr persönlich, vielmehr hört man sie schaurig singen und heulen. Ihr Schloss auf einem Felsrücken soll während eines Gewitters in einem Felsspalt versunken sein. Südoststeirische Kinder haben davor weiterhin einen Heidenrespekt.
Sicher hat der berühmteste Bio-Chocolatier des Landes einst ebenfalls gezittert. Josef Zotter, eigenwilliger Medienstar mit überbordender Kreativität, hat sein Stammhaus in Riegersburg. In Coronazeiten darf er Schokolade nicht zur Verkostung anbieten. Das Museum mit Blick in die Betriebshallen wäre jedoch sogar für Gäste besuchenswert, die nur an Feldbacher Soletti knabbern. In Zotters Imperium herrscht Lohnfairness gegenüber den Kakaobohnenproduzenten. Ein Kurzfilm präsentiert die Unternehmensphilosophie. Der Regisseur verlieh ihm leider einen Beigeschmack, indem er die in einwandfreiem Spanisch von ihrer Arbeit erzählenden peruanischen Ernteleute mit Gastarbeiter-Deutsch synchronisiert.
Wo sieht die Südoststeiermark am südsteirischsten aus? Rund um St. Anna am Aigen, einer Region voller Terrassen, Wein- und Holundergärten, der sich auf dem 14 Kilometer langen „Weinweg der Sinne“bewandern und bewundern lässt. Als Markierungspfeile fungieren Weinflaschen lokaler Winzer.
Großer, steiler Bruder
In der Südsteirischen Weinstraße hingegen sind die Hügel steiler, der Weinbau intensiver als östlich der Mur. Der Bärenhof Berghausen gibt einigen durch Bärenkämpfe missbrauchten Tieren ihre neue Heimat. Zum Spazieren eignet sich die Sulztalrunde, ein Weg durch Wälder und Weinreben – das Maximalgefälle gleicht jenem der Kitzbüheler Mausefalle – und vorbei an Buschenschanken. Durch die Luft schwirrt ein Didgeridoo-Sound, hervorgerufen von einem der Klapotetze, hölzerne Windräder, deren Geräusche Vögel von den Trauben fernhalten.
Vor nicht allzu langer Zeit wurden Kinder beim Spielen von jugoslawischen Grenzsoldaten energisch in ihr Ursprungsland zurückgewiesen. Oft zeichnet die Straße die Grenze, der Fahrer sitzt in Slowenien, die Beifahrerin in Österreich. 1958 wurde noch auf Flüchtende geschossen, nach Titos Grazbesuch (1967) herrschte Tauwetter. Im vereinten Europa dringen die Wandernden am liebsten an der sogenannten Herzerlstraße ins Nachbarland ein. Anstelle des Grenzbalkens erhebt sich hier ein Denkmal mit dem Zitat Georg Danzers, „Nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein“– aus jenem Lied, das die Freiheit als „wundersames Tier“bezeichnet.
Bauen ist ein schöner Lust, was es mich kost, ist mir bewusst.
Katharina Elisabeth Freifrau von Galler (ca. 1607–1672), Burgherrin