Kulturgut zum Durchschauen
Kastenfenster. Jahrelang wurden historische Fenster falsch saniert oder gegen Kunststoff getauscht. Dabei ist das Kulturerbe ein ausgeklügeltes System, das, sachgerecht aufgewertet und gepflegt, die Wohnqualität optimiert – nicht nur optisch.
Ich schicke gleich voraus: Ich bin zugunsten der alten Kastenfenster eingenommen“, stellt Hilde Lerner, bauökologische Konsulentin beim Beratungsunternehmen BauXund, fest. Sie sieht die historischen Fenster nicht nur als Kulturgut, sondern führt auch ihre Entstehungsgeschichte als Qualitätsmerkmal an: „Gründerzeitfenster sind zwischen 160 und 110 Jahre alt. Damals wurde Holz natürlich ganz anders bearbeitet.“Schon beim Transport des Rohmaterials beginne der Unterschied – denn es wurde geflößt, also im Wasser transportiert. Dadurch würden schon zu Beginn diverse Stoffe ausgeschwemmt, die Schädlinge anziehen. Die Bearbeitung per Hand habe danach dazu geführt, dass minderwertiges Holz sofort ausgesondert worden sei, da es mit dem Handhobel gar nicht bearbeitet werden konnte. Richtig gepflegt und saniert könnten solche Fenster auch noch einmal hundert Jahre überdauern.
Aber kann ein historisches Kastenfenster tatsächlich mit modernen Isolierglasfenstern konkurrieren? „Im Prinzip gilt: Ein gut gepflegtes Kastenstockfenster ist für einen Altbau – mit der entsprechenden Mauerdicke – das ideale
Fenster“, meint Tischlermeister Leopold Stredronsky. Und erklärt die grundsätzliche Funktionsweise der historischen Fensterart: Kastenfenster bestehen aus einem Außen- und einem Innenfenster mit einem Luftpolster in der Mitte. Innerhalb dieses Puffers passiert die Temperaturregulierung durch Luftaustausch. Dafür ist es notwendig, dass das innere Fenster dicht ist und das äußere undicht. Funktioniert der Luftaustausch nicht richtig, komme es zum typischen Beschlagen des Innenfensters. Der Temperaturverlauf komme außerdem der Bauart der Gründerzeitbauten entgegen: Ist nämlich das Fenster einfach und der Temperaturunterschied daher zu abrupt, komme es leichter zu Schimmelbildung.
Alte Rahmen, neues Glas
Natürlich habe das in den alten Fenstern verbaute Glas eine bedingte Wärmedämmung, sagt Stedronsky. Doch da könne man nachbessern, erklärt Gerald Mutzl, stellvertretender Innungsmeister der Glaser, Dachdecker und Spengler: „Kastenfenster kann man oft sowohl glas- als auch dichtungstechnisch enorm verbessern. Dabei wird der Falz des Glases ein wenig tiefer gefräst und dann ein dünnstmögliches Glas eingesetzt, das aber mitunter fünf bis sechsmal bessere Dämmwerte hat.“Das ändere an der Optik kaum etwas und sei auch in Gebäuden, die unter Denkmalschutz stehen, kein Problem. Wichtig ist allerdings, dass nur das innere Fenster so nachgedämmt wird, damit der schon beschriebene Luftaustausch erfolgen kann.
Leinöl statt Kunstharz
Leider seien die historischen Fenster zu einem Großteil in den letzten Jahrzehnten völlig falsch behandelt worden, erklärt Lerner: „Auf ein altes Kastenfenster gehört Leinöl – also ein Anstrich, der durchlässig ist. So kann das Holz aufgenommene Feuchtigkeit wieder abgeben. In den letzten Jahrzehnten wurden die meisten der
Fenster aber mit Kunstharzanstrich versehen, was sie ruinieren kann.“Denn Feuchtigkeit dringe nach wie vor in den Fensterstock ein, könne aber nicht mehr entweichen und das Fenster verrottet von innen. Bei einer Sanierung müsse in dem Fall der Kunstharzanstrich restlos entfernt und gegen einen Ölanstrich ersetzt werden. „Der Vorteil an Kastenfenstern ist, dass auch Einzelteile getauscht werden können. Wenn das Fenster falsch saniert wurde, ist der Schaden in erster Linie in den waagrechten Teilen, weil dort das Wasser steht. Diese Teile können erneuert werden“, weiß Lerner. Die beste Zeit für eine Sanierung alter Fenster sei der Frühling, empfiehlt Stedronsky, denn Ölanstriche brauchen lang, um zu trocknen.
Wie das Auto sollten auch Fenster regelmäßig serviciert werden, meint Stedronsky. Wie oft das nötig sei, hänge von Faktoren wie Lage, Himmelsrichtung oder Alter des jeweiligen Fensters ab und könne nicht pauschal gesagt werden. „Man sollte die Fenster einfach bewusst beobachten: Ist der Anstrich in Ordnung, lässt sich das Fenster problemlos öffnen und schließen, zieht es?“Wann eine Sanierung reicht und wann es sich rechne, Fenster zu tauschen, dafür gebe es kein Pauschalrezept, da sind die Experten einig. Eines steht allerdings fest: Historische Kastenfenster nachzubauen, ist teuer. Abhängig von Holz- und Bauart müsse man mit mindestens 3500 Euro pro Fenster rechnen. Gute Pflege rechnet sich also.