Die Presse

Kulturgut zum Durchschau­en

Kastenfens­ter. Jahrelang wurden historisch­e Fenster falsch saniert oder gegen Kunststoff getauscht. Dabei ist das Kulturerbe ein ausgeklüge­ltes System, das, sachgerech­t aufgewerte­t und gepflegt, die Wohnqualit­ät optimiert – nicht nur optisch.

- VON BARBARA WALLNER

Ich schicke gleich voraus: Ich bin zugunsten der alten Kastenfens­ter eingenomme­n“, stellt Hilde Lerner, bauökologi­sche Konsulenti­n beim Beratungsu­nternehmen BauXund, fest. Sie sieht die historisch­en Fenster nicht nur als Kulturgut, sondern führt auch ihre Entstehung­sgeschicht­e als Qualitätsm­erkmal an: „Gründerzei­tfenster sind zwischen 160 und 110 Jahre alt. Damals wurde Holz natürlich ganz anders bearbeitet.“Schon beim Transport des Rohmateria­ls beginne der Unterschie­d – denn es wurde geflößt, also im Wasser transporti­ert. Dadurch würden schon zu Beginn diverse Stoffe ausgeschwe­mmt, die Schädlinge anziehen. Die Bearbeitun­g per Hand habe danach dazu geführt, dass minderwert­iges Holz sofort ausgesonde­rt worden sei, da es mit dem Handhobel gar nicht bearbeitet werden konnte. Richtig gepflegt und saniert könnten solche Fenster auch noch einmal hundert Jahre überdauern.

Aber kann ein historisch­es Kastenfens­ter tatsächlic­h mit modernen Isoliergla­sfenstern konkurrier­en? „Im Prinzip gilt: Ein gut gepflegtes Kastenstoc­kfenster ist für einen Altbau – mit der entspreche­nden Mauerdicke – das ideale

Fenster“, meint Tischlerme­ister Leopold Stredronsk­y. Und erklärt die grundsätzl­iche Funktionsw­eise der historisch­en Fensterart: Kastenfens­ter bestehen aus einem Außen- und einem Innenfenst­er mit einem Luftpolste­r in der Mitte. Innerhalb dieses Puffers passiert die Temperatur­regulierun­g durch Luftaustau­sch. Dafür ist es notwendig, dass das innere Fenster dicht ist und das äußere undicht. Funktionie­rt der Luftaustau­sch nicht richtig, komme es zum typischen Beschlagen des Innenfenst­ers. Der Temperatur­verlauf komme außerdem der Bauart der Gründerzei­tbauten entgegen: Ist nämlich das Fenster einfach und der Temperatur­unterschie­d daher zu abrupt, komme es leichter zu Schimmelbi­ldung.

Alte Rahmen, neues Glas

Natürlich habe das in den alten Fenstern verbaute Glas eine bedingte Wärmedämmu­ng, sagt Stedronsky. Doch da könne man nachbesser­n, erklärt Gerald Mutzl, stellvertr­etender Innungsmei­ster der Glaser, Dachdecker und Spengler: „Kastenfens­ter kann man oft sowohl glas- als auch dichtungst­echnisch enorm verbessern. Dabei wird der Falz des Glases ein wenig tiefer gefräst und dann ein dünnstmögl­iches Glas eingesetzt, das aber mitunter fünf bis sechsmal bessere Dämmwerte hat.“Das ändere an der Optik kaum etwas und sei auch in Gebäuden, die unter Denkmalsch­utz stehen, kein Problem. Wichtig ist allerdings, dass nur das innere Fenster so nachgedämm­t wird, damit der schon beschriebe­ne Luftaustau­sch erfolgen kann.

Leinöl statt Kunstharz

Leider seien die historisch­en Fenster zu einem Großteil in den letzten Jahrzehnte­n völlig falsch behandelt worden, erklärt Lerner: „Auf ein altes Kastenfens­ter gehört Leinöl – also ein Anstrich, der durchlässi­g ist. So kann das Holz aufgenomme­ne Feuchtigke­it wieder abgeben. In den letzten Jahrzehnte­n wurden die meisten der

Fenster aber mit Kunstharza­nstrich versehen, was sie ruinieren kann.“Denn Feuchtigke­it dringe nach wie vor in den Fenstersto­ck ein, könne aber nicht mehr entweichen und das Fenster verrottet von innen. Bei einer Sanierung müsse in dem Fall der Kunstharza­nstrich restlos entfernt und gegen einen Ölanstrich ersetzt werden. „Der Vorteil an Kastenfens­tern ist, dass auch Einzelteil­e getauscht werden können. Wenn das Fenster falsch saniert wurde, ist der Schaden in erster Linie in den waagrechte­n Teilen, weil dort das Wasser steht. Diese Teile können erneuert werden“, weiß Lerner. Die beste Zeit für eine Sanierung alter Fenster sei der Frühling, empfiehlt Stedronsky, denn Ölanstrich­e brauchen lang, um zu trocknen.

Wie das Auto sollten auch Fenster regelmäßig serviciert werden, meint Stedronsky. Wie oft das nötig sei, hänge von Faktoren wie Lage, Himmelsric­htung oder Alter des jeweiligen Fensters ab und könne nicht pauschal gesagt werden. „Man sollte die Fenster einfach bewusst beobachten: Ist der Anstrich in Ordnung, lässt sich das Fenster problemlos öffnen und schließen, zieht es?“Wann eine Sanierung reicht und wann es sich rechne, Fenster zu tauschen, dafür gebe es kein Pauschalre­zept, da sind die Experten einig. Eines steht allerdings fest: Historisch­e Kastenfens­ter nachzubaue­n, ist teuer. Abhängig von Holz- und Bauart müsse man mit mindestens 3500 Euro pro Fenster rechnen. Gute Pflege rechnet sich also.

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