Die hässliche Seite von Führung
Es geht nicht nur darum, jeden einzelnen Betroffenen in Respekt und Würde aufzufangen. Man will auch Image- und Reputationsschäden abwenden.
VON ANDREA LEHKY
Am Freitagnachmittag hatte der Generaldirektor alle in ein Hotel am Stadtrand geordert. Da stand er nun oben auf der Bühne, unter ihm seine Leute wie Schafe in der Grube. „Ich beame jetzt das neue Organigramm an die Wand“, sagte er. „Wer seinen Namen in einem der Kästchen findet, der hat weiterhin einen Job. Wer nicht, der meldet sich nächste Woche in der Personalabteilung.“Unten in der Grube brach Chaos aus, Jubelschreie mischten sich mit Protest und Schluchzen.
Brutal? Ja, aber nicht so brutal wie jenes Unternehmen, das seinen Mittelmanagern per Mail Listen mit Namen der zu Kündigenden schickte. Wie die Listen zustande gekommen waren – sie erfuhren es nicht. Man hatte sie nicht gefragt.
Massenkündigungen – oder „Freisetzungen“, wie man sie beschönigend nennt – sind die hässliche Seite von Führung. So hässlich, ätzt Josef Buttinger, Managing Director von Hill International, dass sich so mancher einen Profi wie George Clooney im Film „Up in the Air“wünscht, der ihm das abnimmt. Buttinger kennt noch ein Brutalbeispiel. Dort erfuhr die Mannschaft aus den Medien von den bevorstehenden Kündigungen. Erst dann sprach man mit ihr.
In Coronazeiten muss sich so manches Unternehmen dem Gedanken einer möglichst „fairen“Kündigung stellen. Hier geht es nicht nur darum, jeden einzelnen Betroffenen mit Respekt und in Würde aufzufangen. Es geht auch darum, einen Image- und Reputationsschaden abzuwenden.
Gibt es einen Königsweg?
Nein, sagt Michaela Buttazzoni, Senior Manager New Placement bei BDO. „Wie man kommuniziert, ist immer ein Balanceakt.“Engmaschig abgestimmt muss er jedenfalls sein zwischen Geschäftsleitung, HR und Betriebsrat. Eine undichte Stelle, das Durchsickern einer einzigen Information – was man nie ausschließen kann –, und die Geschäftsführung muss augenblicklich vor den Vorhang. Und sei es nur mit Worten wie: „Ihr habt gehört, dass etwas im Busch ist. Sobald wir es genau wissen, sagen wir es euch.“
Wie bei jeder Krisenkommunikation darf nur gesagt werden, was man sicher weiß. Keine Mutmaßungen, keine Halbwahrheiten. Und schon gar kein Schönreden.
Die Botschaft muss jedenfalls der Big Boss überbringen. Ob alle sie gleichzeitig erfahren oder die Führungskräfte vorab und danach die Mitarbeiter, das bleibt dem Unternehmen überlassen. In größeren Konzernen wird die kaskadierte Variante bevorzugt, in jungen egalitären Firmen sitzen alle an einem Tisch.
Der Kunst der HR-Kommunikatoren obliegt es, einen roten Faden zu spinnen, was wann und wie gesagt wird. Zwei Elemente sind entscheidend: Erstens ein „Sense of Urgency“, eine Begründung, warum der Schritt alternativlos ist. Dann lässt er sich kognitiv leichter verarbeiten.
Das zweite entscheidende Element ist, den Gekündigten gleich nach der Schockbotschaft neue Perspektiven aufzuzeigen. Dazu gehören fixfertig ausgearbeitete Sozialpläne, Abfertigungspakete, Weiterbildungs- und Umschulungsangebote.
Tür schließt sich, andere geht auf
Gut vernetzte Unternehmen haben sich auch vorab im verdeckten Markt nach offenen Stellen umgehört. Dorthin können sie ihren Leuten dann die Rutsche legen. In Sales und IT ist das durchaus üblich.
Extrem nützlich, für Gekündigte aber erklärungsbedürftig ist Outplacement – oder New Placement, wie es neuerdings heißt. Hier kümmert sich ein spezialisierter Dienstleister um die Scheidenden, fängt sie emotional auf und coacht sie professionell in den nächsten Job. Wer nicht unmittelbar eine neue Stelle in Aussicht hat, findet sie so deutlich schneller. Der alte Arbeitgeber wiederum erleichtert sein Gewissen, weil er die Scheidenden in guten Händen weiß. Von der Steuer absetzen kann er deren Kosten auch.
Die im Regen stehen
Je größer das Unternehmen, desto leichter passiert es, dass es den seelischen Druck übersieht, der auf den exekutierenden Führungskräften lastet. Sie brauchen vorab Zeit zum Verdauen der Entscheidung und zum Vorbereiten der Kündigungen.
Nachher müssen sie ihre Batterien wieder aufladen. Nicht so wie jene Führungskraft der oberen Liga, von der Buttinger erzählt. Sie verabschiedete sich nach der Verkündung der bösen Nachricht auf einen zweiwöchigen Segeltörn und war für niemanden zu sprechen. Besser machte es jener Produktionschef, der die Nächte danach am Teleskop verbrachte. Der Blick ins Weltall relativiert vieles.
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