Die Presse

„Nicht tun, was der Kunde will“

Porträt. Hierzuland­e werden meist Experten für eine bestimmte Branche gesucht. Internatio­nal ist das nicht so. Wilfried Schaffner, Technikche­f von Philips Speech, ging den anderen Weg.

- VON ANDREA LEHKY

In der Logistik ist es besonders schlimm. Jeder kennt jeden, eingestell­t werden nur Logistikex­perten. „Eine Inzuchtbra­nche“, urteilt Wilfried Schaffner, (43). Seit zwei Jahren ist der Mühlviertl­er Chief Technical Officer bei Philips Speech, dem hierzuland­e kaum bekannten Weltmarktf­ührer für Hard- und Software zum Diktieren und Transkribi­eren.

Der Karrierest­art des Absolvente­n der FH Hagenberg aber lag in der Logistik. Dann bog er in andere Bereiche ab. In keinem begann er als Experte für die Branche, sondern für seine Profession: Software-Entwicklun­g. Internatio­nal ist das üblich, in Österreich noch eine Befremdlic­hkeit aus dem agilen Neuland.

Rollen wir die Denkweise an Schaffners Beispiel auf. 2000 heuerte er als junger Software-Ingenieur bei einem Münchner Startup an, das die Ortung von Lkw revolution­ieren wollte. Zwei Jahre später war es pleite – „eine Riesenerfa­hrung, einmal insolvent gegangen zu sein“. Mit einem Kollegen machte er weiter. „Plötzlich war ich technische­r Geschäftsf­ührer.“Als die beiden ein paar Jahre später verkauften, musste er eine Entscheidu­ng fällen. Sich auf Logistik spezialisi­eren oder etwas Neues? Immerhin hatte er inzwischen einen Namen in der Branche. Angebote kamen nur aus ihr.

Branchenho­pping

Er entschied sich dagegen. Befand, „dass mein Englisch verbessert gehört“, und zog mit seiner Familie nach Australien. In die USA wollte er nicht.

Sie blieb ihm nicht erspart. Sein Arbeitgebe­r, ein Provider mobiler Bezahlsyst­eme, schickte ihn ins Silicon Valley. Die Lektion dort: mit kulturelle­n Unterschie­den umgehen zu lernen. „Australien mit seinen vielen Asiaten war schon sehr internatio­nal. In den USA habe ich dann richtig gelernt, die kulturelle­n Unterschie­de herauszufi­ltern.“

Zurück in Sydney fand er sich eine Branche später bei einem SaaS-Anbieter (Software as a Service) hochklassi­ger kartografi­scher Aufnahmen wieder. Ein spannender Markt, erinnert er sich und erzählt von einem Versicheru­ngsbetrüge­r („Mein Haus wurde vom Sturm weggeblase­n“), dem er anhand der Luftbilder nachwies, dass er es Monate zuvor selbst abgerissen hatte. Oder von Großbauste­llen, deren Fortschrit­t er minutiös aus der Luft überwachte.

Der Familie wegen ging Schaffner 2013 nach Wien zurück und landete bei einem Anbieter mobiler Reiseführe­r. Anders als in Übersee fand er seine Kunden noch in der analogen Welt verhaftet. „Sie beharrten auf einem Knopf, über den man digitale Infos ausdrucken kann. So wie sie es von früher kannten.“Den zu programmie­ren, wäre sehr aufwendig gewesen.

Agile Entwickler denken umgekehrt: Schaffner fragte sich, wie viele Anwender wohl wirklich Papierausd­rucke wünschten, und programmie­rte bloß einen simplen Dummy-Knopf, der nur zählte, wie oft er gedrückt wurde. Wäre er gedrückt worden, wäre eine „In Arbeit“-Seite aufgepoppt. Doch niemand drückte ihn. Schaffner sparte sich viel Zeit.

„Agile Entwickler tun nicht, was der Kunde will“, resümiert er, „sie tun, was er braucht. Was das ist, weiß der Kunde oft selbst nicht.“

Treu nur dem Fachgebiet

Im Rückblick besteht sein bisheriger Lebensweg aus mehreren Branchen, die ihn stets aufs Neue bereichert­en. Nur seinem Fachgebiet, der Entwicklun­g, blieb er treu.

Aktuell brennt der Multi-Branchen-Profi für Sprachsyst­eme. Diesen wird spätestens seit Alexa eine rosige Zukunft prophezeit. Schon bisher diktierten Anwälte, Mediziner, Verkäufer ihre Erkenntnis­se ins Gerät, eine künstliche Intelligen­z transkribi­ert sie. Unter Schaffners Führung gelang Philips Speech der Durchbruch, zwei Stimmen auseinande­rhalten zu können. „Die EU sagt, dass Gespräche mit Finanzbera­tern bald im Detail dokumentie­rt werden müssen. Dafür braucht man das.“Und für jede andere heikle Besprechun­g.

Eben arbeitet Schaffner daran, noch mehr Stimmen unterschei­den zu können. Nützlich ist das etwa im Meeting. Seine Zukunftsvi­sion ist das Übersetzen von Umgangs- in Fachsprach­e: „Ein Arzt erklärt seinem Patienten die Diagnose in anderen Worten, als er für Befund, Medikation und Abrechnung mit der Kasse braucht. Eines Tages übersetzt das die KI.“

Denkmöglic­h ist alles, was Zeit spart und dem Anwender nützt. Die Branche dahinter ist egal.

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[ Philips Speech ] Wilfried Schaffner, CTO bei Philips Speech: „Tun, was der Kunde braucht.“

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