„Nicht tun, was der Kunde will“
Porträt. Hierzulande werden meist Experten für eine bestimmte Branche gesucht. International ist das nicht so. Wilfried Schaffner, Technikchef von Philips Speech, ging den anderen Weg.
In der Logistik ist es besonders schlimm. Jeder kennt jeden, eingestellt werden nur Logistikexperten. „Eine Inzuchtbranche“, urteilt Wilfried Schaffner, (43). Seit zwei Jahren ist der Mühlviertler Chief Technical Officer bei Philips Speech, dem hierzulande kaum bekannten Weltmarktführer für Hard- und Software zum Diktieren und Transkribieren.
Der Karrierestart des Absolventen der FH Hagenberg aber lag in der Logistik. Dann bog er in andere Bereiche ab. In keinem begann er als Experte für die Branche, sondern für seine Profession: Software-Entwicklung. International ist das üblich, in Österreich noch eine Befremdlichkeit aus dem agilen Neuland.
Rollen wir die Denkweise an Schaffners Beispiel auf. 2000 heuerte er als junger Software-Ingenieur bei einem Münchner Startup an, das die Ortung von Lkw revolutionieren wollte. Zwei Jahre später war es pleite – „eine Riesenerfahrung, einmal insolvent gegangen zu sein“. Mit einem Kollegen machte er weiter. „Plötzlich war ich technischer Geschäftsführer.“Als die beiden ein paar Jahre später verkauften, musste er eine Entscheidung fällen. Sich auf Logistik spezialisieren oder etwas Neues? Immerhin hatte er inzwischen einen Namen in der Branche. Angebote kamen nur aus ihr.
Branchenhopping
Er entschied sich dagegen. Befand, „dass mein Englisch verbessert gehört“, und zog mit seiner Familie nach Australien. In die USA wollte er nicht.
Sie blieb ihm nicht erspart. Sein Arbeitgeber, ein Provider mobiler Bezahlsysteme, schickte ihn ins Silicon Valley. Die Lektion dort: mit kulturellen Unterschieden umgehen zu lernen. „Australien mit seinen vielen Asiaten war schon sehr international. In den USA habe ich dann richtig gelernt, die kulturellen Unterschiede herauszufiltern.“
Zurück in Sydney fand er sich eine Branche später bei einem SaaS-Anbieter (Software as a Service) hochklassiger kartografischer Aufnahmen wieder. Ein spannender Markt, erinnert er sich und erzählt von einem Versicherungsbetrüger („Mein Haus wurde vom Sturm weggeblasen“), dem er anhand der Luftbilder nachwies, dass er es Monate zuvor selbst abgerissen hatte. Oder von Großbaustellen, deren Fortschritt er minutiös aus der Luft überwachte.
Der Familie wegen ging Schaffner 2013 nach Wien zurück und landete bei einem Anbieter mobiler Reiseführer. Anders als in Übersee fand er seine Kunden noch in der analogen Welt verhaftet. „Sie beharrten auf einem Knopf, über den man digitale Infos ausdrucken kann. So wie sie es von früher kannten.“Den zu programmieren, wäre sehr aufwendig gewesen.
Agile Entwickler denken umgekehrt: Schaffner fragte sich, wie viele Anwender wohl wirklich Papierausdrucke wünschten, und programmierte bloß einen simplen Dummy-Knopf, der nur zählte, wie oft er gedrückt wurde. Wäre er gedrückt worden, wäre eine „In Arbeit“-Seite aufgepoppt. Doch niemand drückte ihn. Schaffner sparte sich viel Zeit.
„Agile Entwickler tun nicht, was der Kunde will“, resümiert er, „sie tun, was er braucht. Was das ist, weiß der Kunde oft selbst nicht.“
Treu nur dem Fachgebiet
Im Rückblick besteht sein bisheriger Lebensweg aus mehreren Branchen, die ihn stets aufs Neue bereicherten. Nur seinem Fachgebiet, der Entwicklung, blieb er treu.
Aktuell brennt der Multi-Branchen-Profi für Sprachsysteme. Diesen wird spätestens seit Alexa eine rosige Zukunft prophezeit. Schon bisher diktierten Anwälte, Mediziner, Verkäufer ihre Erkenntnisse ins Gerät, eine künstliche Intelligenz transkribiert sie. Unter Schaffners Führung gelang Philips Speech der Durchbruch, zwei Stimmen auseinanderhalten zu können. „Die EU sagt, dass Gespräche mit Finanzberatern bald im Detail dokumentiert werden müssen. Dafür braucht man das.“Und für jede andere heikle Besprechung.
Eben arbeitet Schaffner daran, noch mehr Stimmen unterscheiden zu können. Nützlich ist das etwa im Meeting. Seine Zukunftsvision ist das Übersetzen von Umgangs- in Fachsprache: „Ein Arzt erklärt seinem Patienten die Diagnose in anderen Worten, als er für Befund, Medikation und Abrechnung mit der Kasse braucht. Eines Tages übersetzt das die KI.“
Denkmöglich ist alles, was Zeit spart und dem Anwender nützt. Die Branche dahinter ist egal.