Recruiting wird kompliziert wie nie
Ausbildung. Home-Schooling und Home-Office bremsen die Lehrlinge. Die Ausbildungsbetriebe plagt eine noch größere Aufgabe: Wie kommt man im Lockdown an neue Lehrlinge?
Über die Situation der Kindergartenkinder, jene der Schüler und der Studierenden war in den Tagen des zweiten Lockdowns schon viel zu hören und zu lesen. Doch sie sind nicht die einzigen Gruppen in Ausbildung, deren Leben sich aktuell wieder deutlich verändert. Die Rede ist von den knapp 110.000 Lehrlingen, die derzeit in rund 29.000 Betrieben auf die Aufgaben ihrer Berufe vorbereitet werden.
Dort, wo die Unternehmen trotz des Lockdowns ihren Betrieb weiterführen, wird auch weiter ausgebildet. Doch in manchen Bereichen, etwa im Tourismus oder im Dienstleistungssektor, passiert in den meisten Fällen aktuell nichts. Verlorene Zeit für die Lehrlinge. Denn auch der Betrieb in den Berufsschulen musste umgestellt werden. Egal, ob Blockunterricht (Lehrlinge gehen wochenweise zur Schule) oder Jahresunterricht (Lehrlinge kommen jede Woche für ein, zwei Tage in die Schule) vorgesehen ist, derzeit ist Home-Schooling angesagt.
60 Prozent der Inhalte sind Theorie, 40 Prozent Praxis – und genau hier liegt eines der Probleme. Diese praktischen Lerninhalte seien virtuell kaum bis gar nicht vermittelbar, sagt Bernhard
Schmid von der Gewerkschaft Bau – Holz, der auch AMS-Regionalbeirat für Jugendliche ist. Immerhin würden jetzt mehr Berufsschüler über das notwendige technische Equipment für Fernunterricht verfügen. Auch dank der Unterstützung der Kammern und anderer Institutionen. Doch viele Lehrer seien – trotz allen guten Willens – überfordert, im Fernunterricht die nötige Anleitung zu geben.
Während große Unternehmen mit ihren eigenen Angeboten wie Lehrlingsakademien einiges kompensieren können, sind kleine Ausbildungsbetriebe klar im Nachteil. Doch selbst unternehmensinterne Kurse helfen nicht darüber hinweg, dass Vorbereitungskurse und Abschlussprüfungen entfallen müssen. „Spengler warten mittlerweile seit sechs Monaten auf ihre Prüfungstermine“, sagt Schmid.
Zurück zum Ausbildungsalltag. Zwar gibt es im Lockdown möglicherweise nicht so viel zu tun. Aufgrund der Ausbildungsverpflichtung können Unternehmen ihre Lehrlinge aber nicht so einfach ins Home-Office schicken. Jedenfalls nicht fünf Tage in der Woche, bestätigt ein Sprecher des zuständigen Wirtschaftsministeriums. Maximal ist das an zwei, drei Tagen pro Woche möglich, aber auch nur dann, wenn der Lehrlingsausbilder den Lehrling entsprechend anleiten kann. Damit sind die möglichen Aufgaben in vielen Lehrberufen von vornherein äußerst eingeschränkt.
Die Lehrlingsausbilder seien erneut mit vielen zusätzlichen Aufgaben konfrontiert, sagt auch Rosemarie Pichler, Managing Director des Net for Future mit Sitz in Amstetten. Sie und die Unternehmen generell hätten viel dazugelernt seit dem ersten Lockdown und wären jetzt besser einjustiert.
Digital nicht sonderlich fit
Im Mostviertler Aus- und Weiterbildungs- sowie Forschungsnetzwerk beobachtet man aber auch, dass „die Digital Natives Aufholbedarf haben, was den Umgang mit digitalen Werkzeugen betrifft“. Im zweiten und dritten Lehrjahr könnten die Lehrlinge schon besser damit umgehen. Doch vor allem bei den ganz jungen Lehrlingen könne man nicht davon ausgehen, dass sie digital befähigt seien. Das Elternhaus, Schulen und Unternehmen werden hier wohl gefragt sein, um nachhaltig etwas an der Situation zu verändern.
Keine Messen, kein Schnuppern
Pichler spricht noch ein weiteres Problem an, das auf die Unternehmen zukommt. „Die Beziehungsarbeit wurde heruntergefahren.“Bildungsmessen, Karriere-Clubbings etc. entfallen, weil sie als digitale Formate nicht so recht funktionieren.
„Das Recruiting für den Lehrbeginn im Jahr 2021 wird eine echte Herausforderung“, sagt auch Robert Frasch, der Gründer von Lehrlingspower. Neben den Messen entfallen auch Schnuppertage und berufspraktische Tage, bei denen sich Schüler und Unternehmen und Schüler die Berufe kennenlernen und eine Berufsvorauswahl treffen. „Nur wenige Unternehmen haben es bislang geschafft, ihr Recruiting erfolgreich digital abzuwickeln“, sagt Frasch.
Auch hier gibt es Handlungsbedarf. „Und“, sagt Pichler, „die Unternehmen sind nun gezwungen, digitale Formate zu entwickeln, die die Eltern ansprechen.“
Die Digital Natives haben Aufholbedarf, was den Umgang mit digitalen Werkzeugen betrifft.
Rosemarie Pichler, Managing Director, Net for Future
Wenige Unternehmen haben es geschafft, ihr Recruiting erfolgreich digital abzuwickeln.
Robert Frasch, Gründer, Lehrlingspower