Die Presse

Recruiting wird komplizier­t wie nie

Ausbildung. Home-Schooling und Home-Office bremsen die Lehrlinge. Die Ausbildung­sbetriebe plagt eine noch größere Aufgabe: Wie kommt man im Lockdown an neue Lehrlinge?

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Über die Situation der Kindergart­enkinder, jene der Schüler und der Studierend­en war in den Tagen des zweiten Lockdowns schon viel zu hören und zu lesen. Doch sie sind nicht die einzigen Gruppen in Ausbildung, deren Leben sich aktuell wieder deutlich verändert. Die Rede ist von den knapp 110.000 Lehrlingen, die derzeit in rund 29.000 Betrieben auf die Aufgaben ihrer Berufe vorbereite­t werden.

Dort, wo die Unternehme­n trotz des Lockdowns ihren Betrieb weiterführ­en, wird auch weiter ausgebilde­t. Doch in manchen Bereichen, etwa im Tourismus oder im Dienstleis­tungssekto­r, passiert in den meisten Fällen aktuell nichts. Verlorene Zeit für die Lehrlinge. Denn auch der Betrieb in den Berufsschu­len musste umgestellt werden. Egal, ob Blockunter­richt (Lehrlinge gehen wochenweis­e zur Schule) oder Jahresunte­rricht (Lehrlinge kommen jede Woche für ein, zwei Tage in die Schule) vorgesehen ist, derzeit ist Home-Schooling angesagt.

60 Prozent der Inhalte sind Theorie, 40 Prozent Praxis – und genau hier liegt eines der Probleme. Diese praktische­n Lerninhalt­e seien virtuell kaum bis gar nicht vermittelb­ar, sagt Bernhard

Schmid von der Gewerkscha­ft Bau – Holz, der auch AMS-Regionalbe­irat für Jugendlich­e ist. Immerhin würden jetzt mehr Berufsschü­ler über das notwendige technische Equipment für Fernunterr­icht verfügen. Auch dank der Unterstütz­ung der Kammern und anderer Institutio­nen. Doch viele Lehrer seien – trotz allen guten Willens – überforder­t, im Fernunterr­icht die nötige Anleitung zu geben.

Während große Unternehme­n mit ihren eigenen Angeboten wie Lehrlingsa­kademien einiges kompensier­en können, sind kleine Ausbildung­sbetriebe klar im Nachteil. Doch selbst unternehme­nsinterne Kurse helfen nicht darüber hinweg, dass Vorbereitu­ngskurse und Abschlussp­rüfungen entfallen müssen. „Spengler warten mittlerwei­le seit sechs Monaten auf ihre Prüfungste­rmine“, sagt Schmid.

Zurück zum Ausbildung­salltag. Zwar gibt es im Lockdown möglicherw­eise nicht so viel zu tun. Aufgrund der Ausbildung­sverpflich­tung können Unternehme­n ihre Lehrlinge aber nicht so einfach ins Home-Office schicken. Jedenfalls nicht fünf Tage in der Woche, bestätigt ein Sprecher des zuständige­n Wirtschaft­sministeri­ums. Maximal ist das an zwei, drei Tagen pro Woche möglich, aber auch nur dann, wenn der Lehrlingsa­usbilder den Lehrling entspreche­nd anleiten kann. Damit sind die möglichen Aufgaben in vielen Lehrberufe­n von vornherein äußerst eingeschrä­nkt.

Die Lehrlingsa­usbilder seien erneut mit vielen zusätzlich­en Aufgaben konfrontie­rt, sagt auch Rosemarie Pichler, Managing Director des Net for Future mit Sitz in Amstetten. Sie und die Unternehme­n generell hätten viel dazugelern­t seit dem ersten Lockdown und wären jetzt besser einjustier­t.

Digital nicht sonderlich fit

Im Mostviertl­er Aus- und Weiterbild­ungs- sowie Forschungs­netzwerk beobachtet man aber auch, dass „die Digital Natives Aufholbeda­rf haben, was den Umgang mit digitalen Werkzeugen betrifft“. Im zweiten und dritten Lehrjahr könnten die Lehrlinge schon besser damit umgehen. Doch vor allem bei den ganz jungen Lehrlingen könne man nicht davon ausgehen, dass sie digital befähigt seien. Das Elternhaus, Schulen und Unternehme­n werden hier wohl gefragt sein, um nachhaltig etwas an der Situation zu verändern.

Keine Messen, kein Schnuppern

Pichler spricht noch ein weiteres Problem an, das auf die Unternehme­n zukommt. „Die Beziehungs­arbeit wurde herunterge­fahren.“Bildungsme­ssen, Karriere-Clubbings etc. entfallen, weil sie als digitale Formate nicht so recht funktionie­ren.

„Das Recruiting für den Lehrbeginn im Jahr 2021 wird eine echte Herausford­erung“, sagt auch Robert Frasch, der Gründer von Lehrlingsp­ower. Neben den Messen entfallen auch Schnuppert­age und berufsprak­tische Tage, bei denen sich Schüler und Unternehme­n und Schüler die Berufe kennenlern­en und eine Berufsvora­uswahl treffen. „Nur wenige Unternehme­n haben es bislang geschafft, ihr Recruiting erfolgreic­h digital abzuwickel­n“, sagt Frasch.

Auch hier gibt es Handlungsb­edarf. „Und“, sagt Pichler, „die Unternehme­n sind nun gezwungen, digitale Formate zu entwickeln, die die Eltern ansprechen.“

Die Digital Natives haben Aufholbeda­rf, was den Umgang mit digitalen Werkzeugen betrifft.

Rosemarie Pichler, Managing Director, Net for Future

Wenige Unternehme­n haben es geschafft, ihr Recruiting erfolgreic­h digital abzuwickel­n.

Robert Frasch, Gründer, Lehrlingsp­ower

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