Korngolds „Atonalismus“.
Ob Impressionismus oder „Atonalismus“, ob Debussy oder Schönberg: All das war ihm nichts als „Zeitmusik“. Der Musikkritiker Julius Korngold und sein Rundumschlag gegen die „Atonale Götzendämmerung“: Nachrichten vom kulturellen Grabenbruch zwischen den We
Der Musikkritiker Julius Korngold und sein Kampf gegen die „Atonale Götzendämmerung“: vom kulturellen Grabenbruch zwischen den Weltkriegen.
Er war einer der einflussreichsten Musikkritiker seiner Zeit, der in getreuer Nachfolge des unerbittlichen Eduard Hanslick von der Tribüne der „Neuen Freien Presse“aus verkündete, was in der Tonkunst erlaubt und was verboten sei: Julius Korngold, Vater des Komponisten Erich Wolfgang Korngold und verbissener Verfechter einer musikalischen Tradition, die er gegen die vielfältig aufbrechenden Strömungen der Moderne bis aufs Messer zu verteidigen bereit war.
Geboren 1860 in Brünn, war Julius Korngold ursprünglich zum Advokaten ausgebildet, widmete sich dann jedoch seinen musikalischen Ambitionen, genoss Unterricht bei Anton Bruckner und Robert Fuchs und betätigte sich als Journalist; als solcher gewann er die Wertschätzung von Hanslick, der ihn als Mitarbeiter engagierte; 1904 konnte er in Hanslicks Position nachrücken und sich mit seinen musikpolitischen Kampagnen – etwa für respektive gegen die Amtsführung der Operndirektoren Gustav Mahler und Richard Strauss – profilieren.
Als die Zeitung 1934 zum Sprachrohr des Austrofaschismus wurde, war Korngolds Karriere zu Ende; er wurde pensioniert. Zu verstummen gedachte er deswegen keinesfalls. 1937 legte er dem Verlag Doblinger eine zu einem Buchmanuskript aufbereitete, umfangreiche Sammlung jener Schriften vor, in denen er gegen die verhasste „Neumusik“und deren „Ismen“zu Felde zog: gewissermaßen das Vermächtnis seiner tiefsten Überzeugungen, ehe er das Terrain räumen musste; er folgte seinem Sohn in die Emigration nach Amerika und starb 1945 in Los Angeles.
Sein Buch galt als verloren, bis 2002 bei Doblinger ein mit handschriftlichen Anmerkungen des Autors versehenes Korrekturexemplar auftauchte. Dieses liegt nun im Faksimiledruck vor, herausgegeben und mit profunden Kommentaren versehen vom Berliner Musikwissenschaftler Arne Stollberg, dessen Mitarbeiter Lukas Michaelis und dem Salzburger Linguisten Oswald Panagl. Das Textkompendium ist mehr als eine Abfolge von zahllosen gehässigen Kritiken, die sich um kompetente Beurteilung gar nicht scheren. Von Korngold sorgfältig redigiert und um „Vermischte Aufsätze“ergänzt, ergeben sie in ihrer Zusammenschau eine Art Manifest, das auf die pauschale publizistische Vernichtung sämtlicher Neuansätze in der Musik der 1920er- und 1930er-Jahre zielt. Ein essayistischer Rundumschlag, der als Reaktion auf den massiven zeitgeschichtlichen Umbruch gelesen werden muss.
Mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie war das verbindliche Wertesystem abhandengekommen, das kulturelle Biotop, in dem Korngold sich bewegt und als mächtige Instanz positioniert hatte. Alle Neuansätze, die die Pioniere dieser von Unsicherheit geprägten Epoche unternahmen, empfand er als Bedrohung seiner geliebten abendländischen Tradition, als Relativierung des von ihm verehrten „naiven Genies“, welches von Natur aus „musikantische Potenz“besitzt (und deswegen eigentlich nur aus Wien kommen kann).
Die Einblicke, die die vorliegende Neuedition aus der historischen Distanz von 80 Jahren bietet, erzeugen Gänsehaut. Geradezu atemberaubend wirkt heute die Sprache, deren sich der assimilierte Jude Korngold bedient, um seinen Feinden den „Musikkrieg“zu erklären.
In beängstigender Ignoranz der politischen Entwicklung, von der der Verfasser ja selbst schon ereilt wird, kommt hier pure Nazi-Terminologie zum Einsatz. Korngold unterstellt Schönberg, „in Berlin sein ideales Drittes Reich der Tonkunst“etablieren zu wollen, und bezichtigt Hindemith der „Vergasung“des Publikums mit „Unmusik“.
Hemmungslos lässt sich der Kritiker zu gänzlich unqualifizierten, jede Differenzierung verweigernden Darstellungen herab und degradiert sämtliche Strömungen verächtlich zu „Neumusik“. Ob Impressionismus oder „Atonalismus“, ob Debussy oder Strawinsky, Respighi oder Schostakowitsch, Schönberg oder Krenek – es ist ihm alles eins: nichts als „Zeitmusik“und ihre „Ismen“.
Korngold erhielt reichlich Gegenwind, doch er scheute sich nicht, gegen seine Kontrahenten gerichtlich vorzugehen – und war so einflussreich, dass er sein Ansehen wahren konnte, obwohl er in der Sache selbst nicht recht bekam, wie etwa im Prozess gegen Willi Reich, der 1932 mit Unterstützung von Alban Berg eine Musikzeitschrift gegründet hatte, um „mit dem grässlichen Morast des Wiener Musikjournalismus aufzuräumen“.
Wunderkind Erich Wolfgang
Korngold nutzte seine Position auch bedenkenlos zu seinem Vorteil, speziell wenn es um die Protektion seines Sohnes ging. Er benutzte das Wunderkind Erich Wolfgang ganz offensichtlich als Projektionsfläche für seine Ideale und wusste zu intrigieren und zu intervenieren, um es künstlerisch so zu positionieren, dass es zum ersehnten „Retter der abendländischen Tonkunst“aufgebaut werden konnte.
Wolfgang, von Karl Kraus wegen der penetranten Mozart-Parallele bespöttelt, musste sich nach allen Regeln der Kunst indoktrinieren lassen. Er scheint sich dabei ziemlich widerstandslos in die Autorität des „geliebten Papa“gefügt zu haben, ganz im Gegensatz zu seinem fünf Jahre älteren Bruder: Han(n)s Robert, der Rebell, wandte sich der Jazzmusik zu und wurde dafür buchstäblich mit Vernichtung bestraft, ausradiert aus der Familiengeschichte.
All das ist freilich nur eine Seite der Medaille. Das Publikum von heute mag verblüfft sein angesichts der ungeheuren Leidenschaft, mit der hier einer um einen Standpunkt der Kunst als um sein Allerheiligstes streitet. Und vor der Folie der Erkenntnisse von Psychoanalyse und moderner Psychologie kann man die „Atonale Götzendämmerung“auch als Befund einer gewaltigen Verdrängung lesen. Wie tief muss Korngolds persönliche Verunsicherung, wie tief müssen seine verborgenen Ängste gewesen sein, dass er sich angesichts der neuen musikalischen Perspektiven mit solcher Vehemenz gegen Veränderung wappnen musste.
Die besondere Pointe zu alledem lieferte das Leben selbst, indem es die erbitterten Gegner in unfreiwilliger Schicksalsgemeinschaft in Los Angeles wieder zusammenführte. Q
Julius Korngolds „Atonale Götzendämmerung“(454 S., geb., € 44,80) ist bei Königshausen & Neumann, Würzburg, erschienen.