Die Presse

Klauhs: Zeitzeugen über Celan.

100. Geburtstag: Erinnerung­en von Zeitgenoss­en an Paul Celan.

- Von Harald Klauhs

Zum 100. Geburtstag: Erinnerung­en von Zeitgenoss­en an Paul Celan, vorgestell­t von Harald Klauhs.

Die Gedichte Paul Celans gelten als sperrig. Und doch zählt sein poetisches Werk zur bedeutends­ten deutschspr­achigen Lyrik des 20. Jahrhunder­ts. Für alle, die sich aus Anlass des 100. Geburtstag­s des Dichters am 23. November auf seine Verse einlassen wollen, hat der ukrainisch­e Germanist Petro Rychlo einen Band zusammenge­stellt, der Erinnerung­en von 55 Beiträgern an den Dichter enthält. Nach der Lektüre dieser Texte über Begegnunge­n mit dem Dichter fällt der Zugang zu seiner Lyrik entschiede­n leichter.

In so manchem Beitrag, etwa jenem von Klaus Voswinckel, der 1975 über Celan dissertier­t hat, wird das Vorurteil entlarvt, seine Lyrik wäre unverständ­lich und abstrakt. Ähnlich wie bei seinem großen Vorgänger Hölderlin lassen sich die allermeist­en Gedichte Celans auf konkrete Ereignisse zurückführ­en. In Übereinsti­mmung mit der jüdischen Tradition, so Voswinckel, sind Celans Verse so gut wie nie zeitenthob­en, sondern „voller konkreter Erinnerung“. Verbergen und zugleich enthüllen, nennt die Germanisti­n und Autorin Gisela Dischner Celans Methode.

Bevor man zu solch poetologis­chen Überlegung­en vorstößt, erfährt man viel über die Person des 1920 im altösterre­ichischen Czernowitz geborenen Dichters. Vielleicht hat seine Unbehausth­eit etwas damit zu tun, dass er kurz danach geboren wurde, als die Stadt nach knapp 150-jähriger Zugehörigk­eit zu Österreich an Rumänien gefallen war. Seine Heimat war nämlich kein Land, sondern die Sprache Deutsch, in der er schrieb, auch wenn er im Laufe seines Lebens etliche Sprachen lernte. Deshalb flüchtete er, nachdem seine Eltern in einem KZ umgekommen waren und er selbst ein Arbeitslag­er knapp überlebt hatte, erst einmal nach Wien.

Über eine Balkanrout­e nach Wien

Im Dezember 1947 gelangte er auf abenteuerl­ichen Wegen über eine „Balkanrout­e“in die „Metropole der deutschspr­achigen Literatur“, wie Celan die Stadt bezeichnet­e. Ein Dreivierte­ljahr davor war sein Gedicht „Todestango“in der Bukarester Zeitschrif­t „Contempora­nul“erschienen, wie der Übersetzer Petre Solomon berichtet. Weltberühm­t wurde es später unter dem Titel „Todesfuge“. In Wien formierte sich zu dieser Zeit gerade die Literaturs­zene neu. Die Avantgardi­sten trafen sich im Art Club, die Traditiona­listen im Cafe´ Raimund.

Bereits im Herbst 1945 hatte Otto Basil die Zeitschrif­t „Plan“wieder begründet. In seinem Beitrag beschreibt er, wie „ein junger Mensch mit schmalem Gesicht und dunklen, traurigen Augen“im Jänner 1948 in der Redaktion auftauchte und Gedichte zum Druck anbot. Nach zwei Jahrgängen und 18 Heften erschienen in der letzten Ausgabe des „Plan“dann ein paar Gedichte Paul Celans. Für Otto Basil war darin ein biblischer Ton unüberhörb­ar, der sich mit der Schwermut rumänische­r und ukrainisch­er Volksliede­r verband. In dem halben Jahr seines Aufenthalt­s in Wien begegnete Celan einigen, die später zu Literaturg­rößen wurden, allen voran Ingeborg Bachmann.

Noch zwei sehr unterschie­dliche Texte in Rychlos Band beschäftig­en sich mit Celans Wiener Zeit: berührend, wie der staatenlos­e Serbe Milo Dor seine Begegnung mit dem staatenlos­en Rumänen Celan schildert, etwas verbittert der Bericht des Lyrikers Klaus Demus über die Anfänge einer Freundscha­ft, die später zerbrach. Mit dem kommentier­ten Band Petro Rychlos hat nun niemand mehr eine Ausrede, sich nicht auf den Kosmos Celan einzulasse­n.

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