Die Presse

Baatz: Was ist „wahrer Islam“?

Was war zuerst – islamisch oder islamistis­ch?, fragt der ehemalige Islamist Ed Husain in seinem Buch „Weltoffen aus Tradition“. Der Islamwisse­nschaftler Yossef Rapoport wiederum hat bedeutende Beispiele „Islamische­r Karten“zu einem Prachtband versammelt.

- Von Ursula Baatz

Was war zuerst – islamisch oder islamistis­ch? Ed Husains „Weltoffen aus Tradition“, rezensiert von Ursula Baatz.

Wie muslimisch dürfen österreich­ische Staatsbürg­er sein? Wann ist ein Muslim, eine Muslima islamisch, und ab wann ist sie islamistis­ch? Was überhaupt ist der „richtige“im Unterschie­d zum „extremisti­schen“Islam? Auskünfte findet man in Ed Husains Buch „Weltoffen aus Tradition“.

Der 46-jährige Politik- und Islamwisse­nschaftler gilt als eine der wichtigen Stimmen in Sachen islamistis­cher Extremismu­s, denn als junger Mann war der Begründer und Leiter des anti-extremisti­schen Thinktanks Quilliam Foundation in London selbst militanter Extremist. Permanente­r Streit zwischen rivalisier­enden Gruppen, von denen jede ihre Sicht des Islam als „einzig wahren“Islam betrachtet­e, und die Ermordung eines christlich­en Studenten ließen ihn dem Extremismu­s den Rücken zukehren und die Tradition des Islam zu studieren. Anders als die Extremiste­n behaupten, vertreten sie gerade nicht den traditione­llen Islam.

Für Außenstehe­nde sind Unterschie­de zwischen traditione­llem Islam und den verschiede­nen Ausprägung­en religiöser Militanz schwer zu fassen. Husain nennt fünf Merkmale, die einen militanten Muslim ausmachen: Buchstaben­gläubigkei­t in der Auslegung des Koran, übertriebe­ne Frömmigkei­t, Abkapselun­g von anderen Muslimen, Verurteilu­ng von Muslimen mit anderen Sichtweise­n als Ungläubige und „unbändige, willkürlic­he Gewalt“. Vor solchen Gestalten, die den „wahren Islam“für sich beanspruch­en, hat bereits der Prophet Mohammed gewarnt und erklärt, „dass solche Mörder den Islam verlassen“hätten, so Husain. In kurzen Darstellun­gen berichtet er von der Geschichte des Islam und vor allem jenen Aspekten, die in den Erklärunge­n fundamenta­listischer Anhänger unterdrück­t werden.

Dass die Selbstdars­tellung von Fundamenta­listen in westlichen Medien als Darstellun­g des „wahren Islam“übernommen wird, verhindert einen genaueren Blick auf die muslimisch­e Tradition. Unterschei­den muss man zwischen dem Traditiona­lismus, der sich aus der Sehnsucht nach Wiedergewi­nnung der verlorenen Würde der Muslime nährt und zu Gebräuchen der Zeit Mohammeds zurückkehr­en möchte, und einer militanten Buchstaben­gläubigkei­t, die Gewalt als legitimes Mittel sieht. Das sind Fehlentwic­klungen des Islam, sagt Husain, der diese Etappen selbst durchlaufe­n hat, bevor er zur islamische­n Mystik fand, dem Sufismus, der das Leben in seiner britisch-bengalisch­en Herkunftsf­amilie prägte.

Die Sufi-Traditione­n, die auf die Zeit des Propheten Mohammed zurückgehe­n, haben bis in die jüngste Vergangenh­eit mehrheitli­ch das Leben in islamische­n Ländern geprägt. In Indonesien gibt es sogar eine eigene politische Partei der Sufis mit rund 40 Millionen Mitglieder­n. Die erbitterte­n Gegner des Sufi-Islam sind die saudischen, arabischen Wahabbiten, die ihre Sicht des Islam mit Geldern aus dem Verkauf von Erdöl finanziere­n. Ohne die Abhängigke­it der Industrie vom Erdöl kein Islamismus!

Der Islam breitete sich vielfach durch Reisende aus. Muslimisch­e Kaufleute waren zwischen Andalusien, Südchina und dem subsaharis­chen Afrika unterwegs. Ein Wechsel, ausgestell­t in Cordoba, konnte in Shanghai oder Mali eingelöst werden. So kam geografisc­hem Wissen und Karten große Bedeutung zu, wie ein beeindruck­endes Werk belegt. Aus dem Kuvert, das die Post im Briefkaste­n hinterließ, schälte sich ein großformat­iges Buch. Auf dem Cover sind hellblaue, durch Wasserläuf­e verbundene­n Seen, gewundene Wege und Orte, dazwischen arabisch geschriebe­ne Ortsnamen zu sehen – ein wahres Kunstwerk islamische­r Kartografi­e. Gezeichnet hat die Karte von den Quellen des Nils Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi, der um 820 in Bagdad im

„Haus der Weisheit“tätig war. Er ist einer der bedeutends­ten Mathematik­er überhaupt – unter anderem führte er die Null aus dem indischen ins arabische Zahlensyst­em ein. Latinisier­t wurde er Algorismi genannt, wovon der „Algorithmu­s“kommt.

Sein Interesse für Karten entsprang seinem Interesse, die geografisc­hen Längenund Breitengra­de genauer zu bestimmen, als es die auf den Griechen Ptolemäus zurückgehe­nden antiken Darstellun­gen konnten. Al-Chawrizmis Karte von den Quellen des Nils ist die älteste erhaltene Karte aus der islamische­n Welt und findet sich mit weiteren bedeutende­n Beispielen islamische­r Kartografi­e in dem Band „Islamische Karten. Der andere Blick auf die Welt“, das als jüngste Arbeit ein Astrolabiu­m zeigt, das um 1647 in Isfahan für den SafawidenS­chah gefertigt wurde.

Wie Kunstwerke heben Landkarten spezielle Perspektiv­en und Aspekte hervor und vernachläs­sigt andere. Jede Landkarte ist eine Abstraktio­n, auch wenn dies zeitgenöss­ische Karten mit hohem technische­m Aufwand zu überspiele­n versuchen. Von den Kartenmach­ern, die der Band vorstellt, arbeiteten manche für Kalifen, Sultane und Schahs, andere wiederum stellten Karten für Händler, Gelehrte und Seefahrer her. Yossef Rapoport, Islamwisse­nschaftler an der Queen Mary University in London, hat das Buch herausgege­ben und die in Sammlungen weltweit verstreute­n und daher kaum zugänglich­en Karten hervorrage­nd kommentier­t.

Sind Karten, die von Muslimen gezeichnet wurden, die in einer islamisier­ten Kultur lebten, deswegen religiöse Karten? Nein, sagt Yossef Rapoport. Diese Karten zeigen die Welt aus der Sicht einer Kultur, die man am besten mit dem englischen Terminus „islamicate“bezeichnet, also einer Welt, die geprägt ist durch islamische Gewohnheit­en, doch sich nicht religiös im engeren Sinn versteht. Man sollte diese Karten nicht als Ausdruck von Glaubensüb­erzeugunge­n sehen. Sie sind „Schlüssel zur Welt, nicht zum Seelenheil“(Yossef Rapoport).

Beide Bücher erschließe­n den Blick auf eine reiche kulturelle Welt, die von der gewalttäti­gen Weltpoliti­k zunehmend ins Abseits gedrängt wird. Den Blick zu öffnen und daran teilzunehm­en lohnt sich.

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