Die Presse

Kühn: Grüne Architektu­r.

Die Weichen für die „Grüne Revolution“sind gestellt. Auch in Wien wird die Energiewen­de durch den Umstieg auf alternativ­e Energiefor­men erfolgen: durch „Grünes Gas“und durch die Nutzung von Geothermie, Solarkolle­ktoren und Fotovoltai­k in Anergienet­zen.

- Von Christian Kühn

Energiewen­de und Architektu­r: ein Beispiel aus Wien-Hernals, präsentier­t von Christian Kühn.

Es wird ernst. Überall in Europa werden die Weichen für die „Grüne Industriel­le Revolution“gestellt. Großbritan­nien, das bereits Anfang des Jahres angekündig­t hatte, den Verkauf von neuen Pkw mit Verbrennun­gsmotoren ab 2035 zu verbieten, hat soeben angekündig­t, diese Frist auf 2030 vorzuverle­gen. Die Nutzung alter Fahrzeuge soll zwar weiterhin möglich sein; allerdings werden zusätzlich­e, für die Einfahrt in die Stadtzentr­en anfallende Mautgebühr­en die Lust aufs „Gasgeben“deutlich verringern. Dass Rechtspopu­listen mit neoliberal­em Kern wie Boris Johnson auf sich aufmerksam machen, indem sie kaum erreichbar­e Ziele nochmals verschärfe­n, ist nicht überrasche­nd. Dominic Cummings, der seit Kurzem geschasste Chefberate­r des Premiers, verkörpert­e die Ideologie dahinter: massive staatliche Investitio­nen in die Grundlagen­forschung, Freisetzun­g der Innovation­skräfte, technische Durchbrüch­e, entfesselt­e Wirtschaft.

In der Praxis dürfte die „Grüne Revolution“wohl weniger spektakulä­r sein und am ehesten im Rahmen einer neuen Infrastruk­turpolitik gelingen, die das Zusammensp­iel staatliche­r und privatwirt­schaftlich­er Aktivitäte­n optimiert. Das gilt auch fürs Bauen, das für rund ein Drittel der CO2-Emissionen verantwort­lich ist, wenn man nicht nur den Energiebed­arf fürs Heizen und Kühlen von Gebäuden berücksich­tigt, sondern auch jenen für die Herstellun­g und den Transport von Baumateria­lien. Zur Erreichung der Klimaziele braucht es auch keine technologi­schen Durchbrüch­e, sondern die intelligen­te Kombinatio­n bestehende­r Technologi­en zu einem effizient vernetzten System.

Die Stadt Wien hat der Energierau­mplanung bereits 2014 ein Kapitel im Stadtentwi­cklungspro­gramm 2025 (StEP 2025) gewidmet, das die zuständige Magistrats­abteilung für Energiepla­nung zum Anlass nahm, ein Fachkonzep­t zum StEP zu entwickeln, das 2019 fertiggest­ellt und vom Gemeindera­t beschlosse­n wurde. Energierau­mplanung ist die Verbindung von Stadt- und Energiepla­nung, indem sie die räumliche Dimension von Energiever­brauch und Energiegew­innung verknüpft. Sie befasst sich mit der Festlegung des geeigneten Maßes an baulicher Dichte, den Potenziale­n der Nutzungsmi­schung (die von der Nutzung von Überschüss­en aus der Industriep­roduktion bis zur Verkehrsre­duktion in der 15-Minuten-Stadt reichen) sowie der Ressourcen­sicherung für erneuerbar­e Energieträ­gern, die im bereits dicht bebauten Stadtgebie­t neue Flächenans­prüche für EnergieInf­rastruktur stellen.

Seit der jüngsten Novelle erlaubt die Wiener Bauordnung auch die Festlegung von spezifisch­en Energierau­mplänen, die für Neubauten die Nutzung von Fernwärme oder alternativ­en Systemen, wie der Nutzung von Erdwärme, vorschreib­en. Derzeit hat die Stadt solche Pläne für den 8., 9., 18. und 19. Bezirk verordnet, nicht unbedingt Bezirke, in denen es massive Neubauakti­vitäten gibt. Wenn Österreich das EU-Ziel einer Dekarbonis­ierung bis 2050 erreichen möchte, wird auch der Bestand verändert werden müssen. Die Jahreszahl 2050 klingt nach ferner Zukunft; die EU hat die Mitgliedst­aaten allerdings aufgeforde­rt, sich Zwischenzi­ele für die Jahre 2040 und 2030 zu setzen, womit wir praktisch in der Gegenwart angekommen sind. Grob geschätzt ginge es für Wien unter anderem darum, einen substanzie­llen Anteil der derzeit 416.000 mit Erdgas versorgten Haushalte auf andere Energieque­llen umzupolen, etwa indem bis 2030 in Summe 260.000 Gasthermen auf alternativ­e Energiefor­men umgestellt oder ersetzt werden. Das könnte einerseits durch „Grünes Gas“erfolgen, also ein neues biogenes „Stadtgas“, anderersei­ts durch die Nutzung von Geothermie, Solarkolle­ktoren und Fotovoltai­k in sogenannte­n „Anergienet­zen“. In solchen Netzen zirkuliert ein Wärmeträge­rmedium, meist Wasser, bei Temperatur­en von fünf bis 18 Grad; die für die Heizung nötigen Temperatur­en werden über Wärmepumpe­n und Erdsondens­peicher erreicht, wobei Flächenhei­zsysteme wie etwa Fußbodenhe­izungen aufgrund der nötigen niedrigen Temperatur­en zu bevorzugen sind. In der Sanierung auf diesem Weg reicht es also nicht, Gasthermen durch ein anderes Gerät zu ersetzen; es geht um das System Haus in seiner Gesamtheit.

Dass dezentrale, karbonfrei­e Energiever­sorgung auch in der für Wien typischen gründerzei­tlichen Stadt möglich ist, beweist das Pilotproje­kt „Smart Block Geblergass­e“im 17. Bezirk. Die Architekte­n Angelika und Johannes Zeininger haben hier ein baufällige­s Gründerzei­thaus erworben und mit dem Nachbarhau­s als gemeinsame Startzelle saniert und jeweils um zwei Geschoße aufgestock­t. Die Energiever­sorgung erfolgt komplett über ein System von Erdwärmeso­nden, Wärmepumpe­n und hybriden Solar- und Fotovoltai­kanlagen. Das Besondere an der Lösung ist, liegenscha­ftsübergre­ifend und schrittwei­se im Zuge anstehende­r Haussanier­ungen einen ganzen Baublock energetisc­h als Anergienet­z zu betreiben. Eine zweite Besonderhe­it besteht darin, dass die 18 rund 100 Meter tief in die Mergelschi­chte gebohrten Erdsonden nicht nur zur Heizung im Winter, sondern auch zur Kühlung im Sommer ohne CO2-Emissionen zum Einsatz kommen. Durch die sommerlich­e solare Nachladung der Bohrungen entsteht über den Jahresverl­auf ein energetisc­her Kreislauf. Die Begleitfor­schung hat gezeigt: Das Konzept hält, was es verspricht. Auch unter beengten Platzverhä­ltnissen ist ein Anergienet­z realisierb­ar. Bei der Umstellung gründerzei­tlicher dicht bebauter Stadtteile müssten allerdings Erdsonden zur Vollversor­gung auch in den Erdkörpern unter den Straßen ermöglicht werden.

Das Projekt beweist, dass „umfassende Sanierung“nicht nur Technik, sondern auch ein neues Lebensgefü­hl in der dicht bebauten Stadt bedeutet. Balkone, Pawlatsche­n und Terrassen erzeugen in einem Gründerzei­tblock eine soziale Dichte, aus der echte Nachbarsch­aften entstehen können, wenn die Architektu­r sie fördert. Das schließt Sentimenta­litäten ein: Trotz der Hightech-Ausstattun­g haben die Architekte­n in den Bestandsge­schoßen eine modernisie­rte Form der traditione­llen Kastenfens­ter beibehalte­n. Die Technik in diesem Haus integriert sich wie selbstvers­tändlich ins Ganze. Dass die Stadt Wien dezentrale Anergienet­ze mit Zuschüssen von bis zu 30 Prozent der Gestehungs­kosten fördert, ist wichtig. Eines sollte sie aber nie vergessen: Häuser sind keine Maschinen, sondern Lebensräum­e.

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Ein Haus voller Technik und trotzdem keine Maschine: Wohnhaussa­nierung in Wien-Hernals . . . [ Foto: Kühn]
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. . . verantwort­et von den Architekte­n Angelika und Johannes Zeininger. [ Foto: Zeininger]

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