Was ich lese
Amos Oz’ 2013 erschienener Roman
Unter Freunden (Suhrkamp Verlag) ist ein liebevoller Abgesang auf das beengte Leben in den noch jungen Kibbuzim mit ihren moralischen Ansprüchen an den Einzelnen in den Gründerjahren des Staates Israels.
Aber dies beschreibt Oz nicht soziologisch, sondern mit empathischen Augen, die mich eher an Dostojewski erinnern: Die Protagonisten der im losen Verbund stehenden Kurzgeschichten suchen verzweifelt nach Nischen oder führen zu kleinen Verlogenheiten, um dem gesellschaftlichen Druck zu entgehen: Abwegig, unfreiwillig komisch, immer berührend!
Obwohl man froh ist, dieser Zeit entronnen zu sein, oder sich der Gnade erfreut, später geboren zu sein, lernt man aus heutiger Sicht den damaligen Idealismus, der inzwischen dem ausschließlichen Wunsch nach ultimativer Verbesserung des materiellen Lebensstandards gewichen ist, zu schätzen.
Es ist ein kleines Buch über die Erotik des Scheiterns. Als Jugendlicher war ich bei meinen Besuchen im Kibbuz meines Onkels von dessen Zusammenhalt zwar angetan, spürte aber schon, dass die gewaltigen gesellschaftlichen Ambitionen der persönlichen Entfaltung des Einzelnen entgegenstehen. Es hatte trotz sommerlicher Temperaturen etwas Morbides, Trauriges.
Amos Oz beschönigt nichts. Ein nostalgischer Blick entsteht nicht. Und doch erfreut man sich an etwas, was auch unserer Corona-Zeit 2020 gut zu Gesicht stehen würde: ein Gemeinschaftssinn, anmaßend, aber nicht unsexy!