Vereinigung von Süd und Nord
Wien, 24. November 1870. Wir in Deutsch-Oesterreich haben die Erfolge der preußisch-deutschen Kriegsführung in dem von Frankreich mit Gewalt zum Ausbruche gebrachten Kriege mit unverhohlener Freude begrüßt. Die norddeutsche Presse hat die moralische Bedeutung dieser deutschen Sympathien in Oesterreich keineswegs verkannt. Sie hat im Verlaufe der Ereignisse wiederholt die Bedeutung derselben mit den Ausdrücken der größten Dankbarkeit hervorgehoben.
Aber es scheint, daß man diese Sympathien in Deutschland vielfach verkannt und daß man in Kundgebungen, welche der deutschen Sache galten, eine Hinneigung zu der specifisch preußischen Eroberungs-Politik und eine Huldigung, dargebracht den Bismarck’schen Grundsätzen, erblickt hat. Dies wäre aber ein schwerer Irrthum, und es ist Zeit, daß jene Organie in Deutschland, welche denselben etwa theilen, davon zurückkommen. Niemand in Oesterreich hat sich nach den ersten Erfolgen der preußisch-deutschen Waffen über die Consequenzen derselben einer Täuschung hingegeben.
Man hat sofort erkannt, daß aus den in Fluß gekommenen Ereignissen Preußen als die führende Macht in Deutschland hervorgehen werde. Man sah die Stipulationen des Prager Friedens, welche Deutschland durch den Main in zwei Theile zu zerschneiden bezweckten, durch die Wucht der Ereignisse hinfällig werden. Man sah erstehen, wovon die Schutz- und Trutzbündnisse von 1866 nur das Vorspiel waren: die Vereinigung von Süddeutschland mit dem norddeutschen Bunde. Oesterreich konnte den Gang der Ereignisse nicht zu beirren beabsichtigen, es kann sich also füglich auch den mit Naturnothwendigkeiten eingetretenen Consequenzen derselben nicht entgegenstemmen.