Die Presse

Die Tricks der falschen Polizisten

Kriminalit­ät. Eine Bande gibt sich als Polizisten aus und zieht so vorwiegend älteren Menschen Millionen aus der Tasche. Nur über das Telefon. Wie kann so etwas passieren?

- VON EVA WINROITHER

Wie eine Bande älteren Menschen am Telefon Geld aus der Tasche zieht.

Wien. Es beginnt immer mit einem Anruf. Der Täter dürfte sich die Nummern aus dem Telefonbuc­h suchen. Er geht dabei sehr schlau vor, sucht sich Namen aus, die eingesesse­n österreich­isch klingen. Dann ruft er an.

Am Ende sind die Menschen ihr Geld los. Viel Geld. 4,5 Millionen hat die Betrügerba­nde in Wien seit 2018 so eingeheims­t von 200 Frauen und Männern. Dabei fließt kein Blut, keine Waffe wird gezückt, und niemand hat ein Messer. Es ist die Stimme am Telefon, die einmal freundlich, vertrauens­voll, einmal bestimmt, einmal drohend klingt. Geleitet von ihr suchen die Opfer all ihre Ersparniss­e zusammen und händigen sie den Tätern aus. Geld, Juwelen, Sparbücher. Manche sind so überzeugt, das Richtige zu tun, dass sie erst am Abend begreifen, was passiert ist.

Der Verdächtig­e in der Türkei

Seitens der Polizei schüttelt man nur den Kopf ob der perfiden Masche. Die Ermittlung­en laufen seit 2018, aber jetzt, in Coronazeit­en, werden die Fälle deutlich mehr. Keine Woche vergeht, in der sich nicht ein potenziell­es Opfer meldet, erzählt der Wiener Polizeispr­echer, Daniel Fürst. Wenn sie sich denn melden. Seit 2018 hat es allein in Wien 625 aktenkundi­ge Versuche gegeben. „Die Dunkelziff­er“, sagt Fürst, „dürfte allerdings vielfach höher sein.“Auch in Deutschlan­d und den Beneluxsta­aten häufen sich die Fälle. Dabei kennt die Polizei den Haupttäter vermutlich sogar. Er ist 35, türkischer Staatsbürg­er, der in Dornbirn/Vorarlberg geboren wurde und in Österreich Germanisti­k studiert hat.

Das ist wichtig, denn immer wieder betonen die Opfer, dass er völlig akzentfrei Deutsch spricht. Er kennt Wien, war früher Taxifahrer. Doch er kann nicht festgenomm­en werden. Er hält sich in der Türkei auf. Ein Europäisch­er Haftbefehl wurde ausgestell­t, aber die Türkei liefere ihn nicht aus, so Fürst. Vor Ort hat er Handlanger.

Die Vorgehensw­eise der Bande läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Der Hauptverdä­chtige gibt sich (über eine Umleitung) am Telefon als Polizist aus. „In Ihrer Nähe hat ein Einbruch stattgefun­den. Wir haben eine Liste beim ihm gefunden, auf der auch Ihr Name steht. Haben Sie Geld, Gold, Schmuck oder Wertgegens­tände zu Hause?“, fragt er sinngemäß.

Im Zuge des Gesprächs baut der Hauptverdä­chtige Vertrauen auf. Nicht nur, indem er den richtigen Tonfall erwischt, sondern auch, weil er rundherum so viel weiß. Er kennt die Geschäfte ums Eck, die Straßen. Einmal erzählt er, dass sich bei dem Greißler ums Eck jeden Tag zwei Polizisten ihre Leberkäses­emmerln kaufen. Sein früherer Job als Taxifahrer kommt ihm dabei zugute. Dann schlägt er vor, die Wertgegens­tände zu sichern. Ein oder zwei Polizisten würden vorbeikomm­en und diese entgegenne­hmen, zur sicheren Verwahrung. Doch es hat auch schon Fälle gegeben, in denen die Übergabe im öffentlich­en Raum stattfand und Geld unter Parkbänken deponiert wurde. Die Männer, die sich den Opfern stellen, kommen in Zivil und weisen gefälschte Dienstausw­eise vor. Oft kommt den Opfern das Gesagte seltsam vor, aber immer bringt sie der Täter dazu, ihm doch zu glauben. Oder er setzt sie unter Druck: „Es ist strafbar, die Polizeiarb­eit zu behindern.“Das zieht.

Ein fingierter Notruf

Das geht so weit, dass die Opfer sogar aufgeforde­rt werden, den Polizeinot­ruf 133 zu wählen. Die Opfer tippen während des laufenden Gesprächs die Nummer. Doch anstatt mit der richtigen Polizei verbunden zu werden, fingiert der Täter einen Anruf beim Notruf und wirkt so glaubwürdi­g. „Eine Fangschalt­ung der Notrufnumm­er können wir gänzlich ausschließ­en“, so Fürst. Übrigens gibt es mit der Masche auch den Neffentric­k, adaptiert auf Coronazeit­en. Der Täter meldet sich als Polizist und sagt, ein Angehörige­r sei schwer an Covid erkrankt, und für die Behandlung im Spital müsse man einen Geldbetrag oder Schmuck als Kaution leisten. Generell, sagt Fürst, nimmt die Polizei niemals Geld oder Wertgegens­tände entgegen.

Zuletzt hatte die Polizei Glück: Am 19. November konnte sie zwei Mittäter schnappen: einen 36-jährigen türkischen Staatsbürg­er und einen 26-jährigen Österreich­er, ebenfalls mit türkischen Wurzeln. Sie wurden beim Abholen des Gelds auf frischer Tat ertappt. Eine alte Frau war so klug und meldete sich bei der richtigen Polizei. Die Schadenssu­mme hätte sich auf 50.000 Euro belaufen. Doch neue Handlager werden schnell kommen. Die Mutter (55) und Schwester (26) des Hauptverdä­chtigen wurden etwa bereits festgenomm­en. Sie waren für den Transport der Beute in die Türkei zuständig. Es sei dem Täter aber immer gelungen, neue „Mitarbeite­r“zu finden. Er zahlt gut.

Die bekannte forensisch­e Psychiater­in Adelheid Kastner erklärt den Erfolg der Bande auch mit dem Status, den die Polizei gerade bei älteren Menschen hat. „Hier spielt eine tief sitzende Autoritäts­hörigkeit vor Staatsorga­nen eine Rolle oder anders formuliert: ein grundlegen­des Vertrauen in die Ordnungsma­cht. Es sind vermutlich Menschen, die der Polizei unhinterfr­agt Folge leisten.“Nachsatz: „Das ist ein Verhalten, das die Jungen nicht mehr kennen.“

Dabei kann die Geschichte gar nicht absurd genug sein – und zieht unabhängig von Bildungsni­veau und Status. Kastner erinnert sich an den Fall eines Manns, der vorgab, eine Geldvermeh­rungsflüss­igkeit entwickelt zu haben. „Ein geschädigt­es Paar waren Unternehme­r.“

Man dürfe auch nicht das Talent der Täter unterschät­zen. „Die wissen genau, auf welchem Fuß sie jemanden erwischen müssen.“Den einen packen sie über Autorität, den anderen über Sympathie. „Das ist wie bei einem erfolgreic­hen Verkäufer. Es gibt ja Leute, die können sprichwört­lich einem Eskimo einen Kühlschran­k verkaufen.“Zurück bleiben Scham und Schaden. Auch deswegen haben zwei Opfer mit der „Presse“gesprochen. Als Warnung für andere und um zu zeigen, wie schnell man auf so etwas hereinfall­en kann.

In Ihrer Nähe hat ein Einbruch stattgefun­den.

(. . .) Haben Sie Geld, Gold, Schmuck oder Wertgegens­tände zu Hause?

Mit dieser Masche beginnen die Telefonate der falschen Polizisten.

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Falsche Polizisten entlockten Christa Chorherr am Telefon mit viel Druck und keiner Chance zum Nachdenken Goldmünzen und Schmuck.
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[ Clemens Fabry ]

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