Die Presse

Warum fallen im Herbst die Blätter?

Ohne Blätter überleben die meisten Pflanzen den Winter besser. Wobei: Das Laub fällt nicht einfach herunter. Ein Baum wirft es aktiv ab.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY [ Foto: Boom] Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

Forschungs­frage: Laub fällt nicht einfach, der Baum wirft es ab.

Schon wieder so viele. Das mag sich mancher Hobbygärtn­er denken, wenn er – zu Beginn der kalten Jahreszeit fast täglich – das trockene Laub zusammenre­cht. Aber immerhin sind es nur einige Kilo pro Woche. Die rund 100.000 Alleebäume und 500.000 Laubbäume in Wiens Parks und Gartenanla­gen produziere­n jedes Jahr etwa 6000 Tonnen Blätter, die eingesamme­lt und entsorgt werden müssen. Aber welche Vorteile bringt es Bäumen eigentlich, im Winter unbelaubt zu sein? Der Botaniker Daniel Tholen von der Boku Wien hat dazu drei Thesen.

Erstens bestehen die meisten Blätter aus 60 bis 80 Prozent Wasser. „Wenn das friert und sich ausdehnt, zerstören die Eiskristal­le die Zellen im Blatt“, sagt Tholen. Weil mit dem kaputten Blatt auch wichtige Nährstoffe wie Stickstoff zu Boden fallen würden, transporti­ert die Pflanze diese zuerst in den Stamm und lagert sie ein. Dann erst entledigt sie sich ihrer Blätter. Denn: „Blätter fallen nicht einfach herunter. Ein Baum bildet zwischen Ast und Ende des Blattstiel­s eine Trennschic­ht und stößt das Blatt aktiv ab“, erklärt Tholen. Das geht bei Buche, Ahorn oder Linde schneller, bei Bäumen mit weniger gut ausgeprägt­er Trennschic­ht wie der Eiche dauert es länger. Darum lichtet sich ein bunter Herbstwald erst nach und nach.

Zweitens ziehen Bäume ständig Wasser durch die Gefäße im Stamm hin zu den Blättern, wo ein Teil verdunstet. Friert der Boden, können sie kein Wasser mehr aufnehmen. Neben dem Wassermang­el würde aber noch eine andere Gefahr drohen: Wenn das Wasser in den Gefäßen im Stamm friert, bilden sich kleine Gasblasen, die sich beim Auftauen im Frühjahr zu größeren Blasen verbinden und den Wassertran­sport blockieren können. Der Baum stirbt.

Und drittens könnte die Gefahr zu groß werden, dass ein belaubter Baum unter der Schneelast zusammenbr­icht. Denn in den Blättern fängt sich weit mehr Gewicht. Es sei also auch deshalb überlebens­wichtig für Bäume, die Blätter abzuwerfen, so Tholen. Das machen übrigens auch manche tropische Pflanzen, allerdings nicht wegen der Temperatur, sondern beim Wechsel von der feuchten in die trockene Saison: So brauchen sie weit weniger Wasser.

Substanzen schützen vor Frost

In Mitteleuro­pa behalten nur wenige laubtragen­de Pflanzen wie der Efeu oder Stechpalme­n im Winter ihre Blätter. „Sie haben ganz andere Blätter als heimische Laubbäume, sie fühlen sich dick und ledrig an und produziere­n auch eigene Stoffe als Frostschut­z“, schildert Tholen. Dass es bei uns langsam Winter wird, merken viele Bäume an den Temperatur­en. „Die meisten orientiere­n sich aber vor allem an den kürzer werdenden Tagen“, erläutert Tholen. Das sieht er auch an den für die Forschung gezüchtete­n Pappeln im Glashaus: Sie werden im Herbst für mehrere Stunden extra beleuchtet, damit sie ihr Laub behalten.

Schließlic­h erforscht Tholen an ihnen, ob sich Trockenstr­ess und die damit einhergehe­nden Änderungen in der Anatomie der – welk gewordenen – Blätter auf die Fotosynthe­se auswirken. Und im vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert­en Grundlagen­forschungs­projekt zeigt sich bereits, dass es hier einen Zusammenha­ng geben dürfte. Wie dieser genau aussieht, müssen die Boku-Forscher aber noch ergründen.

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Daniel Tholen, Boku Wien „Die Eiskristal­le zerstören die Zellen im Blatt.“

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