Die Presse

Das Virus und der Staat: Wann der Bürger (nicht) gehorchen muss

Grundrecht­e. Freiheitsb­eschränkun­gen sind zwar möglich, müssen aber gut begründet sein. Impfpflich­t wäre denkbar.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Im Zusammenha­ng mit der Pandemie passieren Dinge, die davor in westlichen Demokratie kaum vorstellba­r waren. Grundrecht­e werden eingeschrä­nkt, der Staat schnüffelt in das Privatlebe­n hinein, manche Länder verordnen einen Zwang zu Massentest­s und auch verpflicht­ende Impfungen werden diskutiert. Aber wo verläuft hier die Grenze zum rechtlich Verbotenen?

Freiheitsr­echte

Menschen haben laut der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion ( EMRK) viele Grundrecht­e, zum Beispiel eines auf Privatlebe­n oder Versammlun­gen. Doch zum einen dürfen diese Grundrecht­e laut der EMRK zum Schutz der Gesundheit eingeschrä­nkt werden. Zum anderen steht in der Konvention auch das Grundrecht jedes Menschen auf Leben, weswegen der Staat sogar verpflicht­et sein kann, Restriktio­nen in einer Pandemie vorzunehme­n.

Übrig bleibt eine Interessen­abwägung. Je schlimmer die Krankheit, umso stärker sind die möglichen Eingriffe des Staates. Sogar komplette Ausgangssp­erren (momentan sind es nur Beschränku­ngen) wären grundrecht­lich möglich. Aber es ist auch eine Frage der Verhältnis­mäßigkeit. Je sinnvoller der Eingriff, umso eher ist eine Zwangsmaßn­ahme gerechtfer­tigt. Dass das Gesundheit­sministeri­um seine Verordnung­en aus dem Frühjahr gleich gar nicht begründete, war daher besonders problemati­sch. Der Verfassung­sgerichtsh­of kippte deswegen viele davon schon allein deswegen. Inzwischen achtet man im Ministeriu­m auf Begründung­en.

Man muss überdies immer schauen, ob es mildere Eingriffsm­öglichkeit­en gibt: etwa Maskenpfli­cht und Abstandhal­ten statt Demonstrat­ionsverbot. Und es braucht zeitliche Begrenzung­en. Wenn man Menschen das Privatlebe­n ganz nimmt (wer allein wohnt und vor dem Lockdown nicht mehrfach wöchentlic­h mit jemandem physischen Kontakt hatte, darf laut Verordnung niemanden treffen) ist das längerfris­tig problemati­sch. Ebenso wie der Umstand, dass Opa und Oma ihre Enkel trotz familiärer Rechte laut Ministeriu­m nun nicht mehr sehen können. Außer, man sah sich schon bisher mehrfach wöchentlic­h oder hat Aufsichtsp­flichten.

Massentest

„Kranke, Krankheits­verdächtig­e und Ansteckung­sverdächti­ge“, so sagt es das Epidemiege­setz, müssen zum Test. Alle anderen können nicht gezwungen werden und selbst eine Pandemie macht noch nicht jeden zum Krankheits­verdächtig­en. Nun könnte man das Epidemiege­setz ändern, dann blieben noch grundrecht­liche Schranken (Recht auf Privatlebe­n oder Unversehrt­heit). Und nun gilt das zuvor zu den Grundrecht­en Gesagte. Wenn die Maßnahme im Kampf gegen die Pandemie sehr wichtig wäre, könnte man Leute zum Test zwingen. Nur ist es höchst umstritten, ob Massentest­s überhaupt sinnvoll sind. Daher ist bereits deswegen ein Zwang zum Massentest nicht möglich.

Impfung

Auch, wenn die Regierung Freiwillig­keit verspricht: Ein Zwang zur Corona-Impfung wäre rechtlich möglich. So gab es in Österreich einst schon eine Pflicht, sich gegen Pocken impfen zu lassen. Und in anderen europäisch­en Staaten sind Impfpflich­ten auch heute nichts Ungewöhnli­ches. Rechtlich spielt dabei eine große Rolle, dass Impfungen im Gegensatz zu bloßen Tests ein bewährtes Mittel im Kampf gegen Krankheite­n sind. Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte, der über die EMRK wacht, erlaubt Impfpflich­ten.

Nun könnte man auch Leute indirekt zu Impfungen zwingen, indem sie sonst bestimmte Dienstleis­tungen nicht mehr in Anspruch nehmen können. Der Staat würde sich aus gleichheit­srechtlich­en Gründen aber schwer tun, etwa ein Lokalverbo­t für Ungeimpfte vorzuschre­iben. Zunächst würde das unsachlich jene beteiligen, die noch keine Chance auf die Impfung hatten. Und, wenn die Pandemie später im Griff sein sollte, gäbe es für solche Verbote keinen Grund.

Unternehme­n aber dürfen grundsätzl­ich Kunden ablehnen, wenn sie nicht geimpft sind. Rechtlich schwierig wird das hingegen, wenn das Unternehme­n eine Monopolste­llung hat und der Kunde die Dienstleis­tung nicht so leicht woanders herbekommt. Erlaubt ist es wiederum, dass Staaten die Einreise an bestimmte Impfungen knüpfen.

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