Das Virus und der Staat: Wann der Bürger (nicht) gehorchen muss
Grundrechte. Freiheitsbeschränkungen sind zwar möglich, müssen aber gut begründet sein. Impfpflicht wäre denkbar.
Wien. Im Zusammenhang mit der Pandemie passieren Dinge, die davor in westlichen Demokratie kaum vorstellbar waren. Grundrechte werden eingeschränkt, der Staat schnüffelt in das Privatleben hinein, manche Länder verordnen einen Zwang zu Massentests und auch verpflichtende Impfungen werden diskutiert. Aber wo verläuft hier die Grenze zum rechtlich Verbotenen?
Freiheitsrechte
Menschen haben laut der Europäischen Menschenrechtskonvention ( EMRK) viele Grundrechte, zum Beispiel eines auf Privatleben oder Versammlungen. Doch zum einen dürfen diese Grundrechte laut der EMRK zum Schutz der Gesundheit eingeschränkt werden. Zum anderen steht in der Konvention auch das Grundrecht jedes Menschen auf Leben, weswegen der Staat sogar verpflichtet sein kann, Restriktionen in einer Pandemie vorzunehmen.
Übrig bleibt eine Interessenabwägung. Je schlimmer die Krankheit, umso stärker sind die möglichen Eingriffe des Staates. Sogar komplette Ausgangssperren (momentan sind es nur Beschränkungen) wären grundrechtlich möglich. Aber es ist auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Je sinnvoller der Eingriff, umso eher ist eine Zwangsmaßnahme gerechtfertigt. Dass das Gesundheitsministerium seine Verordnungen aus dem Frühjahr gleich gar nicht begründete, war daher besonders problematisch. Der Verfassungsgerichtshof kippte deswegen viele davon schon allein deswegen. Inzwischen achtet man im Ministerium auf Begründungen.
Man muss überdies immer schauen, ob es mildere Eingriffsmöglichkeiten gibt: etwa Maskenpflicht und Abstandhalten statt Demonstrationsverbot. Und es braucht zeitliche Begrenzungen. Wenn man Menschen das Privatleben ganz nimmt (wer allein wohnt und vor dem Lockdown nicht mehrfach wöchentlich mit jemandem physischen Kontakt hatte, darf laut Verordnung niemanden treffen) ist das längerfristig problematisch. Ebenso wie der Umstand, dass Opa und Oma ihre Enkel trotz familiärer Rechte laut Ministerium nun nicht mehr sehen können. Außer, man sah sich schon bisher mehrfach wöchentlich oder hat Aufsichtspflichten.
Massentest
„Kranke, Krankheitsverdächtige und Ansteckungsverdächtige“, so sagt es das Epidemiegesetz, müssen zum Test. Alle anderen können nicht gezwungen werden und selbst eine Pandemie macht noch nicht jeden zum Krankheitsverdächtigen. Nun könnte man das Epidemiegesetz ändern, dann blieben noch grundrechtliche Schranken (Recht auf Privatleben oder Unversehrtheit). Und nun gilt das zuvor zu den Grundrechten Gesagte. Wenn die Maßnahme im Kampf gegen die Pandemie sehr wichtig wäre, könnte man Leute zum Test zwingen. Nur ist es höchst umstritten, ob Massentests überhaupt sinnvoll sind. Daher ist bereits deswegen ein Zwang zum Massentest nicht möglich.
Impfung
Auch, wenn die Regierung Freiwilligkeit verspricht: Ein Zwang zur Corona-Impfung wäre rechtlich möglich. So gab es in Österreich einst schon eine Pflicht, sich gegen Pocken impfen zu lassen. Und in anderen europäischen Staaten sind Impfpflichten auch heute nichts Ungewöhnliches. Rechtlich spielt dabei eine große Rolle, dass Impfungen im Gegensatz zu bloßen Tests ein bewährtes Mittel im Kampf gegen Krankheiten sind. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der über die EMRK wacht, erlaubt Impfpflichten.
Nun könnte man auch Leute indirekt zu Impfungen zwingen, indem sie sonst bestimmte Dienstleistungen nicht mehr in Anspruch nehmen können. Der Staat würde sich aus gleichheitsrechtlichen Gründen aber schwer tun, etwa ein Lokalverbot für Ungeimpfte vorzuschreiben. Zunächst würde das unsachlich jene beteiligen, die noch keine Chance auf die Impfung hatten. Und, wenn die Pandemie später im Griff sein sollte, gäbe es für solche Verbote keinen Grund.
Unternehmen aber dürfen grundsätzlich Kunden ablehnen, wenn sie nicht geimpft sind. Rechtlich schwierig wird das hingegen, wenn das Unternehmen eine Monopolstellung hat und der Kunde die Dienstleistung nicht so leicht woanders herbekommt. Erlaubt ist es wiederum, dass Staaten die Einreise an bestimmte Impfungen knüpfen.