Vom Impfen, Testen und Sterben
Auf Intensivstationen sterben auch dieses Wochenende Menschen, die nicht hätten sterben müssen. Das muss sich ändern. Das müssen wir ändern.
Zu den sonderbarsten, weil journalistisch überflüssigsten Genres unseres Berufs gehört die sogenannte Straßenbefragung. Egal, ob Tageszeitung oder TVSender, Reporter fragen mehr oder weniger wahllos Passanten zu einem Thema. Diese zufällig ausgewählten Aussagen werden dann veröffentlicht und ergeben womöglich ein Stimmungsbild, gegen das jede einigermaßen repräsentativ durchgeführte Meinungsumfrage im Vergleich eine geradezu wissenschaftlich fundierte Langzeituntersuchung darstellt. In den vergangenen Tagen war so in Sendern zu verfolgen, dass sich so mancher (?) nicht impfen lassen will.
Dennoch erscheint mir eine Aussage dieser eingefangenen vox populi diskussionswürdig, da ich sie auch im privaten Umfeld – ebenfalls nur eine Stichprobe und nicht repräsentativ – schon mehrfach gehört habe: Bei den Impfungen gegen das Covid-19-Virus werde man erst einmal andere vorlassen, quasi um zu schauen, was passiert. Das ist eine interessante neue Variante des alten Monarchenvorkosters. Wenn der nicht stirbt oder grün anläuft, können Königin und König zulangen. Im konkreten Fall warten die vermeintlich Schlauen also ein paar Monate und beobachten, ob der Impfstoff nicht vielleicht doch riskanter als die eigentliche Krankheit ist. Nein, auch wenn der Zulassungsprozess stark verkürzt ist, darf man davon ausgehen, dass das Risiko überschaubar ist.
Warum? Weil noch nie zuvor so viele Pharmazeuten und Spezialisten aus unterschiedlichsten Konzernen so eng abgestimmt zusammengearbeitet haben. Anders formuliert: Würde bei jedem Impfstoff und jeder Arznei trotz Konkurrenz der Pharmaunternehmen auf eine solche Art kooperiert, die Welt stünde bald viel besser da. Natürlich bleibt ein minimales Restrisiko mit Nebenwirkungen – wie bei fast allem im Leben. (Übrigens gibt es da noch ein weiteres gesellschaftspolitisch interessantes Phänomen: Wie bei so vielen polarisierenden Themen argumentieren viele Impfgegner derart aggressiv, emotional und mittels Verschwörungstheorien entrückt, dass sie ihrem Anliegen nur schaden.)
Egal, wie wichtig eine Impfung für unsere Volksgesundheit und -wirtschaft aber auch sein mag, wäre eine Verpflichtung, sich gegen Corona impfen zu lassen, kontraproduktiv und gegen die Grundsätze einer freien Demokratie, die sich dieser Tage ohnehin wegen der wohl notwendigen Zwangsmaßnahmen nicht so anfühlt. Jeder darf entscheiden, wie er mit seiner Gesundheit umgeht. Freilich wäre im Gegenzug etwa die Einführung von höhen Selbstbehalten bei Ablehnung einer Impfung im Fall der Erkrankung ebenso diskussionswürdig wie etwa bei Rauchern, die mit Lungenkrebs im Spital landen.
Ebenso freiwillig müssen natürlich auch die Massentests in den kommenden Wochen sein, die nach der üblichen Streitsekunde zwischen dem Bund und den Ländern nun erstaunlich schnell organisiert werden sollen. Sich testen zu lassen ist ein Gebot der Vernunft, um asymptomatisch Infizierte zu entdecken. Das Gebot „Testen, testen, testen!“war von Anfang an die beste Strategie, die allerdings aufgrund fehlender Kapazitäten leider nicht voll umgesetzt werden konnte. Allerdings gilt für den Test – ich schreibe das jetzt subjektiv aus vielfach gemachter eigener Erfahrung –, nach dem Test ist vor dem Test, er ist eine wichtige Momentaufnahme. Mehr nicht.
Das viel zitierte Licht am Ende des Tunnels mag nun schon zu erkennen sein, aber oft sind gerade die letzten Kilometer die schwierigsten: Einige Wochen und Monate leben wir also sicher noch mit Virus und Einschränkungen. Alles, was hilft, diese Zeit erträglicher zu gestalten, sollten wir tun. Augenmaß, kühle Vernunft und Disziplin, wo sie notwendig sind, sollten uns dabei helfen. Denn auch an diesem Wochenende sterben Menschen auf unseren Intensivstationen, die nicht hätten sterben müssen. Gerade in der Vorweihnachtszeit ist das der vielleicht wichtigste Gedanke. Das muss sich wieder ändern. Das müssen wir ändern. Freiwillig.