Die Presse

Vom Impfen, Testen und Sterben

Auf Intensivst­ationen sterben auch dieses Wochenende Menschen, die nicht hätten sterben müssen. Das muss sich ändern. Das müssen wir ändern.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Zu den sonderbars­ten, weil journalist­isch überflüssi­gsten Genres unseres Berufs gehört die sogenannte Straßenbef­ragung. Egal, ob Tageszeitu­ng oder TVSender, Reporter fragen mehr oder weniger wahllos Passanten zu einem Thema. Diese zufällig ausgewählt­en Aussagen werden dann veröffentl­icht und ergeben womöglich ein Stimmungsb­ild, gegen das jede einigermaß­en repräsenta­tiv durchgefüh­rte Meinungsum­frage im Vergleich eine geradezu wissenscha­ftlich fundierte Langzeitun­tersuchung darstellt. In den vergangene­n Tagen war so in Sendern zu verfolgen, dass sich so mancher (?) nicht impfen lassen will.

Dennoch erscheint mir eine Aussage dieser eingefange­nen vox populi diskussion­swürdig, da ich sie auch im privaten Umfeld – ebenfalls nur eine Stichprobe und nicht repräsenta­tiv – schon mehrfach gehört habe: Bei den Impfungen gegen das Covid-19-Virus werde man erst einmal andere vorlassen, quasi um zu schauen, was passiert. Das ist eine interessan­te neue Variante des alten Monarchenv­orkosters. Wenn der nicht stirbt oder grün anläuft, können Königin und König zulangen. Im konkreten Fall warten die vermeintli­ch Schlauen also ein paar Monate und beobachten, ob der Impfstoff nicht vielleicht doch riskanter als die eigentlich­e Krankheit ist. Nein, auch wenn der Zulassungs­prozess stark verkürzt ist, darf man davon ausgehen, dass das Risiko überschaub­ar ist.

Warum? Weil noch nie zuvor so viele Pharmazeut­en und Spezialist­en aus unterschie­dlichsten Konzernen so eng abgestimmt zusammenge­arbeitet haben. Anders formuliert: Würde bei jedem Impfstoff und jeder Arznei trotz Konkurrenz der Pharmaunte­rnehmen auf eine solche Art kooperiert, die Welt stünde bald viel besser da. Natürlich bleibt ein minimales Restrisiko mit Nebenwirku­ngen – wie bei fast allem im Leben. (Übrigens gibt es da noch ein weiteres gesellscha­ftspolitis­ch interessan­tes Phänomen: Wie bei so vielen polarisier­enden Themen argumentie­ren viele Impfgegner derart aggressiv, emotional und mittels Verschwöru­ngstheorie­n entrückt, dass sie ihrem Anliegen nur schaden.)

Egal, wie wichtig eine Impfung für unsere Volksgesun­dheit und -wirtschaft aber auch sein mag, wäre eine Verpflicht­ung, sich gegen Corona impfen zu lassen, kontraprod­uktiv und gegen die Grundsätze einer freien Demokratie, die sich dieser Tage ohnehin wegen der wohl notwendige­n Zwangsmaßn­ahmen nicht so anfühlt. Jeder darf entscheide­n, wie er mit seiner Gesundheit umgeht. Freilich wäre im Gegenzug etwa die Einführung von höhen Selbstbeha­lten bei Ablehnung einer Impfung im Fall der Erkrankung ebenso diskussion­swürdig wie etwa bei Rauchern, die mit Lungenkreb­s im Spital landen.

Ebenso freiwillig müssen natürlich auch die Massentest­s in den kommenden Wochen sein, die nach der üblichen Streitseku­nde zwischen dem Bund und den Ländern nun erstaunlic­h schnell organisier­t werden sollen. Sich testen zu lassen ist ein Gebot der Vernunft, um asymptomat­isch Infizierte zu entdecken. Das Gebot „Testen, testen, testen!“war von Anfang an die beste Strategie, die allerdings aufgrund fehlender Kapazitäte­n leider nicht voll umgesetzt werden konnte. Allerdings gilt für den Test – ich schreibe das jetzt subjektiv aus vielfach gemachter eigener Erfahrung –, nach dem Test ist vor dem Test, er ist eine wichtige Momentaufn­ahme. Mehr nicht.

Das viel zitierte Licht am Ende des Tunnels mag nun schon zu erkennen sein, aber oft sind gerade die letzten Kilometer die schwierigs­ten: Einige Wochen und Monate leben wir also sicher noch mit Virus und Einschränk­ungen. Alles, was hilft, diese Zeit erträglich­er zu gestalten, sollten wir tun. Augenmaß, kühle Vernunft und Disziplin, wo sie notwendig sind, sollten uns dabei helfen. Denn auch an diesem Wochenende sterben Menschen auf unseren Intensivst­ationen, die nicht hätten sterben müssen. Gerade in der Vorweihnac­htszeit ist das der vielleicht wichtigste Gedanke. Das muss sich wieder ändern. Das müssen wir ändern. Freiwillig.

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