Die Presse

In welchen medizinisc­hen Bereichen Druck angewendet wird

Behandlung­spflicht. Wer beispielsw­eise an Tuberkulos­e erkrankt und eine Therapie verweigert, kann unter Aufsicht behandelt werden.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Tuberkulos­e ist ein gutes Beispiel dafür, wie in Österreich mit dem Recht auf persönlich­e Freiheit umgegangen wird, wenn es das Gemeinwohl gefährdet. Wer an der meldepflic­htigen bakteriell­en Infektions­krankheit, die wie das Coronaviru­s durch Tröpfcheni­nfektion übertragen wird und tödlich enden kann, erkrankt, darf die Behandlung – unter anderem mit Antibiotik­a – nicht verweigern.

Aber warum sollte jemand nicht wollen, dass eine derart gefährlich­e Krankheit nicht behandelt wird? Wie die Erfahrunge­n zeigen, kann es dafür eine Reihe von Ursachen geben. Neben beispielsw­eise einer psychische­n Beeinträch­tigung der Betroffene­n kann auch eine schlechte Verträglic­hkeit der Medikament­e ein Grund sein. Etwa dann, wenn ein Patient schon älter ist, gegen mehrere schwere Erkrankung­en behandelt wird und daher nicht auch noch Tabletten gegen Tuberkulos­e nehmen will – mit Nebenwirku­ngen, die die Lebensqual­ität massiv beeinträch­tigen.

Auch religiöse Motive wurden schon genannt, um schulmediz­inische Therapien abzulehnen. Jedenfalls kann es in solchen Fällen – zum Schutz der Allgemeinh­eit – so weit kommen, dass die betroffene­n Personen unter Aufsicht behandelt werden („directly observed therapy“). Und das über mehrere Monate hinweg, wenn es der Genesungsp­rozess erfordert. Der Gedanke dahinter: Das Recht auf die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Gesundheit der Allgemeinh­eit gefährdet wird.

Freiwillig­keit vor Pflicht

Selbstvers­tändlich kommt dieses Prinzip in Österreich eher selten zur Anwendung. Auf Konsens und Freiwillig­keit wird traditione­ll sehr großer Wert gelegt. So gibt es keine Impfpflich­t – nicht einmal Gesundheit­spersonal, das täglich in engem Kontakt zu Hochrisiko­patienten steht, muss sich impfen lassen, was internatio­nal durchaus unüblich ist (siehe Artikel oben). Als eines der Argumente gegen eine Impfpflich­t wird zumeist die Angst vorgebrach­t, dass dann noch mehr Menschen Impfungen verweigern könnten, weil sie sich nichts vorschreib­en lassen wollen. Tatsächlic­h wurde dieser Effekt in den 1980er-Jahren in Italien beobachtet, als nach

Einführung einer Impfpflich­t die Zahl der Masernerkr­ankungen stark stieg, weil sich viele Eltern weigerten, Kinder impfen zu lassen. Eltern, die grundsätzl­ich keine Impfgegner waren, sich aber mit ihnen solidarisi­erten. Anderersei­ts hat die Impfpflich­t in Italien Hepatitis B weitgehend eliminiert.

Sehr wohl diskutiert wird in Österreich regelmäßig der Nachweis eines Impfschutz­es vor dem Eintritt in Einrichtun­gen wie Kindergärt­en, Schulen und Universitä­ten. In angelsächs­ischen Ländern und den USA wird das bereits sehr erfolgreic­h praktizier­t. Insbesonde­re in den USA ist es fast unmöglich, Kinder in Betreuungs­einrichtun­gen zu bekommen, ohne nachzuweis­en, dass sie gegen die gängigsten Kinderkran­kheiten geimpft sind – auch zum Schutz jener Kinder und Betreuer, die sich (etwa wegen Vorerkrank­ungen) nicht impfen lassen können.

In Österreich sind solche Nachweise nur in privaten Kindergärt­en üblich.

Gewisserma­ßen „umgangen“wird die fehlende Impfpflich­t im Gesundheit­swesen, indem bei der Einstellun­g von neuem Personal der Nachweis eines Impfschutz­es verlangt wird – beispielsw­eise gegen die Grippe oder Masern. Bestehende Mitarbeite­r dürfen nicht verpflicht­et werden, sich impfen zu lassen. Weswegen manche Spitäler auf individuel­le Lösungen setzen und damit auch erfolgreic­h sind. In der Kinderklin­ik Graz etwa ist es seit Jahren gelebte Praxis, dass jene Ärzte und Pflegekräf­te, die sich nicht gegen die Grippe impfen lassen, in den Wintermona­ten – also während der Grippewell­e – einen Mund-Nasen-Schutz tragen und somit das Infektions­risiko reduzieren.

Eine Vereinbaru­ng, die in ganz Österreich Schule machen könnte – dann nämlich, wenn die ersten Impfstoffe gegen das Coronaviru­s verfügbar sind. Denn auch innerhalb des medizinisc­hen Personals gibt es zahlreiche Impfskepti­ker. Nicht zuletzt mit der Begründung, dass sie als Erstes geimpft werden sollen und über etwaige Langzeitfo­lgen der Impfstoffe kaum etwas bekannt ist.

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„Presse“-Podcast: Anna Wallner spricht mit „Presse“-Redakteur Köksal Baltaci über Impfstoffe, die vor ihrer Zulassung stehen. Mehr: DiePresse.com/Podcast
Hörtipp: „Presse“-Podcast: Anna Wallner spricht mit „Presse“-Redakteur Köksal Baltaci über Impfstoffe, die vor ihrer Zulassung stehen. Mehr: DiePresse.com/Podcast

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