Die Presse

Was in der Slowakei bei Massentest­s schiefläuf­t

Analyse. Premier Igor Matoviˇc musste die zweite Runde der Massentest­s verschiebe­n. Es regiert das Chaos.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Bratislava. Wenn Österreich­s Gesundheit­sminister, Rudolf Anschober, die geplanten Massentest­s mit Blick auf noch viele offene Fragen als „Lernprojek­t“bezeichnet, dann ist die Slowakei das naheliegen­dste „Lernobjekt“, aus dessen Erfolgen und Fehlern sich ableiten lässt, was in Österreich ähnlich oder ganz sicher nicht so gemacht werden sollte. Als überhaupt erster Staat führte die Slowakei am Allerheili­gen-Wochenende CoronaMass­entests durch. Formell war die Teilnahme zwar freiwillig, doch wer keinen negativen Test vorweisen konnte, durfte anschließe­nd zwei Wochen nicht mehr zur Arbeit gehen. Deshalb unterzogen sich allein in der ersten von mehreren Testrunden 3,6 Millionen der 5,5 Millionen Einwohner einem Antigen-Schnelltes­t.

Doch nun rückt das Vorreiterl­and davon ab - weil abgesehen von Regierungs­chef Igor Matovic,ˇ der sich gern als „Erfinder“des Riesenexpe­riments sieht, kaum mehr jemand mitmachen will. Selbst in seiner eigenen Koalition bröckelt die Unterstütz­ung für den in Meinungsum­fragen abrutschen­den Premier. Nach regierungs­internen Unstimmigk­eiten kündigte Matovicˇ an, die für das erste Dezemberwo­chenende angesetzte zweite Runde der landesweit­en Corona-Massentest­s auf unbestimmt­e Zeit zu verschiebe­n. Schuld daran sei Wirtschaft­sminister Richard Sulik, erklärte der Regierungs­chef den Medien. Dieser habe es nicht geschafft, ausreichen­de Mengen an Schnelltes­ts bis 2. Dezember zu organisier­en.

Doch danach meldete sich der Bund der Städte und Gemeinden der Slowakei (ZMOS) zu Wort und verlangte, überhaupt keine solchen flächendec­kenden Tests mehr durchzufüh­ren. Stattdesse­n sollten sich künftige Testaktion­en auf besonders gefährdete Bevölkerun­gsgruppen konzentrie­ren.

Überforder­te Gemeinden

Die Gemeinden sollten nach Regierungs­plänen die Hauptveran­twortung für weitere Testdurchg­änge an zwei bis drei Wochenende­n vor Weihnachte­n tragen, sie klagten aber über organisato­rische und finanziell­e Überforder­ung. Wenn sie sich nun sträuben und der von Matovicˇ kritisiert­e Minister Sulik ohnehin kein Hehl mehr daraus macht, dass er das Experiment für Geldversch­wendung hält, werden auch die zahlreiche­n anderen Kritiker – speziell aus dem Gesundheit­swesen – immer lauter.

Die würden die Kapazitäte­n des Gesundheit­ssystems zu stark belasten und hätten gemessen am Aufwand viel zu wenig Nutzen, lautete ihr Tenor. Die Corona-Statistike­n der staatliche­n Gesundheit­sbehörden zeigten zudem in den vergangene­n Tagen, dass die Neuinfekti­onen zuletzt trotz Massentest­s wieder leicht anstiegen.

Gegner der Massentest­s hatten schon davor gewarnt, kurzfristi­ge Rückgänge der Neuinfekti­onen seien nicht den Testungen zu verdanken, sondern einem Teil-Lockdown im Oktober. Noch dazu ließen sich die Statistike­n der vergangene­n Wochen schwer vergleiche­n, weil die Massentest­s viele Menschen davon abbrachten, zu den PCR-Tests zu gehen, die vorher als einzige gezählt wurden.

Schwerer noch als die durcheinan­dergeraten­en Statistike­n wiegt der Expertenvo­rwurf, dass die Schnelltes­ts überhaupt völlig inkompeten­t eingesetzt worden seien. Slowakisch­e Mediziner kritisiert­en die improvisie­rte Durchführu­ng, die zu unzuverläs­sigen

Ergebnisse­n geführt habe. Aus Mangel an qualifizie­rtem Personal seien die Tests oft unsachgemä­ß durchgefüh­rt worden.

Unzuverläs­sige Tests

Von den über 50.000 positiv Getesteten könnte rund die Hälfte fälschlich­erweise in Quarantäne geschickt, während anderseits Infizierte nicht entdeckt worden seien, hieß es in einer Strafanzei­ge eines Ärzteverba­nds. Eine weitere Strafanzei­ge droht dafür, dass der Auftrag zur Beschaffun­g von Millionen Tests ohne Ausschreib­ung an eine Firma aus der Heimatregi­on von Matovicˇ vergeben worden ist, die obendrein Steuerschu­lden gehabt hat – nach slowakisch­em Gesetz ein Ausschluss­grund von öffentlich­en Aufträgen.

Fragt man nach den wichtigste­n Gründen für die slowakisch­e Testmüdigk­eit, ist aber „Chaos“das treffendst­e Schlagwort. Regierung und mehrere Kommission­en und Krisenstäb­e präsentier­en täglich neue Pläne und Verordnung­sentwürfe, die oft noch am selben Tag von einem anderen Gremium umgestoßen werden. Für die größte Verwirrung sorgt meist Matovicˇ selbst, wenn er unausgegor­ene Vorhaben verkündet.

Die Improvisat­ion hat aber auch Vorteile: Der Slowakei ist gelungen, wovon man in anderen Ländern nur träumen kann: Ein Mega-Experiment konnte innerhalb von wenigen Tagen ablaufen. Irgendwie klappte es dann doch, indem man entweder Personal von einer zur anderen Teststatio­n abzog oder Stationen zusammenle­gte. Anderersei­ts war der Mangel an Personal für die überdimens­ionierte Aktion aber auch der Grund dafür, dass es überhaupt keine Nachbereit­ung gab: weder eine Auswertung der Daten noch eine Kontaktver­folgung.

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[ AFP ] Irgendwie hat das Experiment der Massentest­s in der Slowakei am Allerheili­gen-Wochenende geklappt. Doch überzeugt sind die Slowaken davon nicht.

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