Was in der Slowakei bei Massentests schiefläuft
Analyse. Premier Igor Matoviˇc musste die zweite Runde der Massentests verschieben. Es regiert das Chaos.
Bratislava. Wenn Österreichs Gesundheitsminister, Rudolf Anschober, die geplanten Massentests mit Blick auf noch viele offene Fragen als „Lernprojekt“bezeichnet, dann ist die Slowakei das naheliegendste „Lernobjekt“, aus dessen Erfolgen und Fehlern sich ableiten lässt, was in Österreich ähnlich oder ganz sicher nicht so gemacht werden sollte. Als überhaupt erster Staat führte die Slowakei am Allerheiligen-Wochenende CoronaMassentests durch. Formell war die Teilnahme zwar freiwillig, doch wer keinen negativen Test vorweisen konnte, durfte anschließend zwei Wochen nicht mehr zur Arbeit gehen. Deshalb unterzogen sich allein in der ersten von mehreren Testrunden 3,6 Millionen der 5,5 Millionen Einwohner einem Antigen-Schnelltest.
Doch nun rückt das Vorreiterland davon ab - weil abgesehen von Regierungschef Igor Matovic,ˇ der sich gern als „Erfinder“des Riesenexperiments sieht, kaum mehr jemand mitmachen will. Selbst in seiner eigenen Koalition bröckelt die Unterstützung für den in Meinungsumfragen abrutschenden Premier. Nach regierungsinternen Unstimmigkeiten kündigte Matovicˇ an, die für das erste Dezemberwochenende angesetzte zweite Runde der landesweiten Corona-Massentests auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Schuld daran sei Wirtschaftsminister Richard Sulik, erklärte der Regierungschef den Medien. Dieser habe es nicht geschafft, ausreichende Mengen an Schnelltests bis 2. Dezember zu organisieren.
Doch danach meldete sich der Bund der Städte und Gemeinden der Slowakei (ZMOS) zu Wort und verlangte, überhaupt keine solchen flächendeckenden Tests mehr durchzuführen. Stattdessen sollten sich künftige Testaktionen auf besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen konzentrieren.
Überforderte Gemeinden
Die Gemeinden sollten nach Regierungsplänen die Hauptverantwortung für weitere Testdurchgänge an zwei bis drei Wochenenden vor Weihnachten tragen, sie klagten aber über organisatorische und finanzielle Überforderung. Wenn sie sich nun sträuben und der von Matovicˇ kritisierte Minister Sulik ohnehin kein Hehl mehr daraus macht, dass er das Experiment für Geldverschwendung hält, werden auch die zahlreichen anderen Kritiker – speziell aus dem Gesundheitswesen – immer lauter.
Die würden die Kapazitäten des Gesundheitssystems zu stark belasten und hätten gemessen am Aufwand viel zu wenig Nutzen, lautete ihr Tenor. Die Corona-Statistiken der staatlichen Gesundheitsbehörden zeigten zudem in den vergangenen Tagen, dass die Neuinfektionen zuletzt trotz Massentests wieder leicht anstiegen.
Gegner der Massentests hatten schon davor gewarnt, kurzfristige Rückgänge der Neuinfektionen seien nicht den Testungen zu verdanken, sondern einem Teil-Lockdown im Oktober. Noch dazu ließen sich die Statistiken der vergangenen Wochen schwer vergleichen, weil die Massentests viele Menschen davon abbrachten, zu den PCR-Tests zu gehen, die vorher als einzige gezählt wurden.
Schwerer noch als die durcheinandergeratenen Statistiken wiegt der Expertenvorwurf, dass die Schnelltests überhaupt völlig inkompetent eingesetzt worden seien. Slowakische Mediziner kritisierten die improvisierte Durchführung, die zu unzuverlässigen
Ergebnissen geführt habe. Aus Mangel an qualifiziertem Personal seien die Tests oft unsachgemäß durchgeführt worden.
Unzuverlässige Tests
Von den über 50.000 positiv Getesteten könnte rund die Hälfte fälschlicherweise in Quarantäne geschickt, während anderseits Infizierte nicht entdeckt worden seien, hieß es in einer Strafanzeige eines Ärzteverbands. Eine weitere Strafanzeige droht dafür, dass der Auftrag zur Beschaffung von Millionen Tests ohne Ausschreibung an eine Firma aus der Heimatregion von Matovicˇ vergeben worden ist, die obendrein Steuerschulden gehabt hat – nach slowakischem Gesetz ein Ausschlussgrund von öffentlichen Aufträgen.
Fragt man nach den wichtigsten Gründen für die slowakische Testmüdigkeit, ist aber „Chaos“das treffendste Schlagwort. Regierung und mehrere Kommissionen und Krisenstäbe präsentieren täglich neue Pläne und Verordnungsentwürfe, die oft noch am selben Tag von einem anderen Gremium umgestoßen werden. Für die größte Verwirrung sorgt meist Matovicˇ selbst, wenn er unausgegorene Vorhaben verkündet.
Die Improvisation hat aber auch Vorteile: Der Slowakei ist gelungen, wovon man in anderen Ländern nur träumen kann: Ein Mega-Experiment konnte innerhalb von wenigen Tagen ablaufen. Irgendwie klappte es dann doch, indem man entweder Personal von einer zur anderen Teststation abzog oder Stationen zusammenlegte. Andererseits war der Mangel an Personal für die überdimensionierte Aktion aber auch der Grund dafür, dass es überhaupt keine Nachbereitung gab: weder eine Auswertung der Daten noch eine Kontaktverfolgung.