Die Presse

Wenn Corona auf Europas ärmstes Land trifft

Republik Moldau. Die Folgen der Pandemie verschärfe­n die ohnehin triste Situation. Das Sozialproj­ekt Concordia hilft vor allem betroffene­n Kindern.

- VON ERICH KOCINA

Nisporeni. Maria würde gern einmal auf die Uni gehen. „Falls das nicht geht“, sagt sie, „möchte ich Köchin werden.“Dass etwas nicht geht, hat die 14-Jährige schon öfter erlebt. In den vergangene­n Monaten noch viel öfter als sonst. Mehrere Wochen lang musste ihre Familie in der kleinen Stadt Nisporeni, etwa 70 Kilometer westlich der Hauptstadt Chisin¸au,˘ in ihrem Haus bleiben. Auch in der Republik Moldau, Europas ärmstem Land, schlug das Coronaviru­s zu.

Familie Gu¸tanu erging es wie vielen anderen im Land: Vater Wassili verlor seinen Arbeitspla­tz bei einem Sicherheit­sdienst, Mutter Viorica ihren als Reinigungs­kraft. Und Maria und ihr achtjährig­er Bruder, Gheorghe, durften über Wochen nicht in die Schule gehen. „Der Unterricht war nur online“, erzählt Viorica. „Aber wir haben gar keinen Computer.“So bat man bei den Nachbarn, ob die Kinder dort den Unterricht mitverfolg­en können. „Und dann hatte Gheorghe einen Test online – aber es kann ja niemand von uns mit Zoom oder anderen Plattforme­n umgehen.“

Dazu kommt die ohnehin schwierige finanziell­e Situation. Selbst für das Essen oder Brennholz reicht das Geld oft nicht. „Wir waren auch vorher eine arme Familie mit einem kleinen Einkommen“, sagt Viorica Gu¸tanu. „Aber die Pandemie hat die Situation noch weiter verschlimm­ert.“

In der Republik Moldau trifft das Coronaviru­s auf ein Land, das ohnehin permanent mit Problemen zu kämpfen hat. Wirtschaft­lich ist man seit der Unabhängig­keit von der UdSSR nie wirklich auf die Beine gekommen. Die Arbeitslos­igkeit ist hoch. Die Zahl der Menschen, die ihr Glück anderswo suchen, ist enorm. Rund 1,3 Millionen Moldauer arbeiten Schätzunge­n zufolge im Ausland, ein Viertel der Bevölkerun­g. Von ihren Geldtransf­ers sind viele Familien abhängig – die Zahlungen machen mehr aus als das BIP des Landes.

Hilfe mit Lebensmitt­elpaketen

Im Frühjahr, als zahlreiche europäisch­e Länder in den CoronaLock­down gingen, kamen viele wieder zurück – ohne Chance, hier eine Arbeit zu finden. Geschweige denn, Geld für ihre Familien zu haben. Eine schwierige Situation – das Sozialproj­ekt Concordia versuchte, das schlimmste Leid mit Lebensmitt­elpaketen zu lindern. Als im Frühsommer die Grenzen wieder aufmachten, ging die kurzzeitig zurückgeke­hrte Diaspora wieder auf Arbeitssuc­he in Russland und einigen EU-Ländern. Und so wie auch schon zuvor leben rund 35.000 Kinder ohne ihre Eltern – bei oft überforder­ten Großeltern und Verwandten. Oder auch in Hilfseinri­chtungen, die Concordia für sie organisier­t.

Auch in Nisporeni steht eine solche Einrichtun­g – im multifunkt­ionalen Zentrum, wie es genannt wird, kommen Kinder zwischen vier und 18 Jahren unter, die von ihren Eltern getrennt sind. Hier können sie bis zu sechs Monate lang wohnen, bekommen Essen und werden bei den Hausübunge­n unterstütz­t. Hier bekamen auch Maria und Gheorghe Gu¸tanu eine Zeit lang ein warmes Essen. Aber auch hier hat die Pandemie zugeschlag­en – im Lockdown musste das Zentrum zeitweilig schließen. Mittlerwei­le sind wieder elf Kinder hier untergebra­cht.

Warten auf die Eltern

So wie auch Adelina. Die Elfjährige ist mit zwei ihrer Brüder seit rund vier Monaten hier in der Einrichtun­g. „Meine Eltern sind in Italien“, erzählt sie – und muss kurz zu reden aufhören, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Immerhin, über ein Handy oder einen Computer, der im Zentrum bereitgest­ellt wird, kann sie mit ihren Eltern regelmäßig kommunizie­ren. „Aber ich hoffe jeden Tag, dass sie herkommen und mich und meine Brüder abholen.“

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[ Concordia ] Die Eltern von Gheorghe und Maria Gu¸tanu verloren wegen Corona ihre Arbeit.

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