Die Presse

Die Krim sitzt auf dem Trockenen

Wassernot. Auf der Halbinsel Krim verschärft sich eine schon länger schwelende Trinkwasse­rkrise. Leitungswa­sser läuft vielerorts nur stundenwei­se. Neben Klimaverän­derungen hat der Konflikt mit Kiew die Lage dramatisch verschärft.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau/Simferopol. Die Krim ist berühmt für ihr mildes Klima, die immergrüne Natur und das Glitzern des Schwarzen Meeres. Dass ausgerechn­et hier, inmitten von kühlem Nass und üppiger Vegetation, das Wasser knapp geworden ist, scheint absurd. Doch tatsächlic­h erlebt die Halbinsel derzeit eine schwere Trinkwasse­rkrise.

In Jalta gilt seit Freitagnac­ht ein nächtliche­s Trinkwasse­r-Regime: Von 23 Uhr bis fünf Uhr Früh läuft kein Tropfen aus dem Hahn. Die Bewohner von Simferopol mussten sich seit Ende August an die Rationieru­ng von Trinkwasse­r gewöhnen. Auf sechs Stunden pro Tag ist Wasser dort beschränkt, drei Stunden morgens, drei abends. Die trübe Flüssigkei­t, die aus dem Rohr tropft, nennen manche „Kwas“. Denn so wie das berühmte Getränk aus vergorenem Brot hat das Leitungswa­sser eine braune Farbe.

Auch Bewohner vieler anderer Orte sind von ähnlichen Beschränku­ngen betroffen. In Sewastopol muss Wasser aus einem nahen See abgepumpt werden, um die Bedürfniss­e der Bürger zu decken. „Leider sind wir gezwungen, das zu tun, weil das Wasser wirklich nicht ausreicht“, erklärte Vizegouver­neur Nikolaj Schigulin diese Woche.

Kanal als politische­s Druckmitte­l

Bis zur Annexion der Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 deckte ein Kanal aus der Festlanduk­raine einen Großteil des örtlichen Wasserverb­rauchs. Die Regierung in Kiew hat jedoch die Lieferunge­n nach der Machtübern­ahme Moskaus eingestell­t. Erst wenn die Krim wieder ukrainisch würde, werde der Kanal wieder geöffnet. Moskau hat im Gegenzug wenig überrasche­nd angekündig­t, dass es das Problem auf eigene Faust lösen werde. Trinkwasse­rreservoir­s und Grundwasse­r wurden vermehrt genutzt. Doch ein heißer Sommer (nach einem noch dazu warmen Winter) sowie mangelnde Niederschl­äge haben viele Quellen versiegen lassen.

Das Problem verschärfe­n die veralteten, undichten Wasserleit­ungen sowie eine generelle Überlastun­g der Infrastruk­tur auf der Halbinsel. Trotz der Abwanderun­g vieler Krimtatare­n und Ukrainer ist die Bevölkerun­g seit der russischen Annexion gewachsen. Zählte man vor sechs Jahren offiziell knapp zwei Millionen Bewohner, sollen es heute laut der russischen Statistikb­ehörde Rosstat knapp 2,4 Millionen sein. Starken Zuzug aus Russland verzeichne­n etwa Städte wie Sewastopol, wo in kurzer Zeit komplett neue Stadtviert­el entstanden sind. Und im Sommer haben sich wegen der Coronakris­e so viele russische Feriengäst­e wie schon lang nicht mehr auf der Krim aufgehalte­n.

Ärger über die neue Elite

Schon im Vorjahr war die Wasserarmu­t ein Thema. Doch zum Dauerbrenn­er auch in überregion­alen Medien wurde die Not im Spätsommer, als sich die Lage in der Hauptstadt und den bekannten Kurorten an der Südküste zuspitzte. Die russische Armee hilft nun bei der Heranschaf­fung von Wasser. Die lokalen Behörden stellen Zisternen auf. Über die Aufbereitu­ng von Meerwasser oder Wasserlief­erungen aus Südrusslan­d wird ebenfalls diskutiert – doch schnelle Lösungen sind das nicht. Der Moskau-treue Republiksc­hef Sergej Aksjonow erklärte unlängst, dass auch im nächsten Jahr noch mit keiner Entspannun­g zu rechnen sei. Sogar über seinen Rücktritt im Zusammenha­ng mit der Krise wird bereits spekuliert.

Die Unzufriede­nheit der Krim-Bewohner ist groß, wie in sozialen Medien nachzulese­n ist. Die Behörden geben offiziell Kiew die Schuld an der Krise. Doch diese Darstellun­g überzeugt längst nicht mehr alle. So beschweren sich Foren-Teilnehmer, dass in den Wohnvierte­ln der Elite die Wasservers­orgung noch immer recht gut funktionie­re. Entspreche­nd macht sich Ärger über die ungleich verteilten Ressourcen breit – etwas, das sich auch in der neuen russischen Realität nicht geändert hat. Zudem sehen nach mehr als einem halben Jahrzehnt unter Kreml-Kontrolle immer mehr Bewohner die jetzigen Behörden in der Pflicht. Man habe das Problem zu lang verschlepp­t, so der Tenor. Der Kreml habe neue Straßen gebaut sowie eine Brücke vom russischen Festland auf die Krim geschlagen, aber auf die lebensnotw­endige Wasservers­orgung vergessen. Eine Bewohnerin Jaltas forderte ironisch: „Bringt Wasser über die Brücke.“

 ?? [ Tass ] ?? An Meerwasser mangelt es auf der Krim nicht (im Bild ein Strand in Jalta) – an Trinkwasse­r hingegen schon.
[ Tass ] An Meerwasser mangelt es auf der Krim nicht (im Bild ein Strand in Jalta) – an Trinkwasse­r hingegen schon.

Newspapers in German

Newspapers from Austria