Die Presse

Das Pulverfass am Horn von Afrika

Äthiopien. Wegen des Tigray-Bürgerkrie­gs sind Zehntausen­de in den Sudan geflohen, Friedensmi­ssionen in den Nachbarlän­dern leiden. Schon jetzt sind die Auswirkung­en weit über die Landesgren­zen hinweg zu spüren.

- Von unserem Mitarbeite­r CHRISTIAN PUTSCH

Addis Abeba/Kapstadt. Das Wort „Krieg“vermeidet Äthiopiens eloquenter Premiermin­ister, Abiy Ahmed, weiterhin konsequent. Den Bürgerkrie­g nennt der Friedensno­belpreistr­äger von 2019 eine „Operation zur Wiederhers­tellung der konstituti­onellen Ordnung“. Doch er mag es drehen und wenden, wie er will: Die Gewalt in der TigrayRegi­on ist seit Anfang November dramatisch eskaliert.

Es gibt inzwischen genügend glaubwürdi­ge Berichte, um von Hunderten Toten auszugehen, oft resultiere­nd aus ethnisch motivierte­r Gewalt. Zehntausen­de Menschen sind geflohen vor den Kämpfen zwischen der äthiopisch­en Armee und den Milizen, die der aufständis­chen, einst landesweit einflussre­ichen Partei Volksbefre­iungsfront von Tigray (TPLF) nahestehen.

Viele Zivilisten suchen Schutz im Nachbarlan­d Sudan, das sich nach der Revolution im vergangene­n Jahr selbst gerade neu sortiert. In den vergangene­n Tagen blockierte­n äthiopisch­e Truppen die Zufahrtsst­raßen in Richtung Sudan, was die Flüchtling­sströme abebben ließ und sich für die Blockierte­n wie das Zuschnappe­n einer Falle anfühlen muss.

Tigrayer massenhaft gefeuert

Immer deutlicher werden in diesen Tagen die erhebliche­n internatio­nalen Auswirkung­en des Konflikts. So teilte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der Europäisch­en Union für Außen- und Sicherheit­spolitik, dem äthiopisch­en Außenminis­ter, Demeke Mekonnen, in einem Gespräch seine „große Sorge angesichts gezielter ethnischer Gewalt, zahlreiche­r Toten und Verletzung­en von Menschenre­chten“mit. Dieser Konflikt destabilis­iere die Region bereits „ernsthaft“, konstatier­te der EU-Politiker.

Das 110-Millionen-EinwohnerL­and Äthiopien, das schon allein als Standort der Afrikanisc­hen Union (AU) eine der wichtigste­n Nationen Afrikas ist, reagierte brüskiert: „Wir weisen jede Einmischun­g in unsere internen Angelegenh­eiten zurück“, erwiderte das Büro von

Premiermin­ister Abiy schroff in Richtung EU, mit der Äthiopien wichtige wirtschaft­liche und entwicklun­gspolitisc­he Verbindung­en unterhält.

Der Konflikt hat sich längst ausgeweite­t, nicht nur wegen der Flüchtling­skrise im Sudan. In Eritrea schlugen Raketen tigrayisch­er Aufständis­cher ein. Und auch in den instabilst­en Ländern des Kontinents sind Auswirkung­en zu spüren: So nimmt Äthiopiens Armee in Somalia eigentlich an der Bekämpfung der islamistis­chen Terrorgrup­pe al-Shabab teil. Zuletzt entwaffnet­en die Streitkräf­te dort Hunderte eigene Soldaten – nämlich jene mit tigrayisch­er Abstammung. Zahlreiche ethnisch genehme Kämpfer hat die Regierung wiederum abgezogen und an die Front nach Tigray geschickt.

Auch von der Friedensmi­ssion im Südsudan wurden äthiopisch­e Soldaten zurückbeor­dert – wegen zu großer Nähe zur TPLF, hieß es. Innerhalb Äthiopiens stellte die Polizei zahlreiche Beamte mit Wurzeln in Tigray vom Dienst frei.

Die Tigrayer stellen immerhin sechs Prozent der Bevölkerun­g, viele leben in der Hauptstadt, Addis Abeba. Dort wird so mancher Arbeitnehm­er aus Tigray derzeit unter fadenschei­nigen Gründen auch aus zivilen Jobs entlassen.

Hoffnung des Kontinents

Wohl mit keinem anderen afrikanisc­hen Staat waren im vergangene­n Jahrzehnt so große Hoffnungen verbunden wie mit Äthiopien. Bei der im Jahr 2017 von Deutschlan­d angeschobe­nen G20-Initiative „Compacts with Africa“wird Äthiopien wie selbstvers­tändlich als einer von „zwölf reformorie­ntierten Staaten“mit der Aussicht auf bessere Bedingunge­n für private Investitio­nen genannt. Der als Reformer gefeierte Abiy wies imposante Wachstumsr­aten vor, baute im beachtlich­en Tempo Armut ab und Fabriken auf, schien sogar die Zivilgesel­lschaft zu öffnen.

Davon ist in diesen Tagen wenig zu spüren. Das Internet und andere Kommunikat­ionswege in Tigray sind seit Wochen abgestellt, internatio­nale Journalist­en dürfen sich fast ausschließ­lich nur noch innerhalb von Addis Abeba bewegen, oft wird erst gar kein Visum ausgestell­t.

William Davison, als Repräsenta­nt der renommiert­en Denkfabrik Crisis Group einer der wenigen dauerhaft in Äthiopien lebenden unabhängig­en Analytiker, wurde vor einigen Tagen zunächst ohne formellen Grund mitgeteilt, er müsse das Land „sofort“verlassen. Später gab die Regierung an, seine Arbeitserl­aubnis sei wegen angebliche­r Verstöße gegen das Arbeitsrec­ht entzogen worden. Die Crisis Group meinte dazu nur, es gebe

„wenig Zweifel“, dass der Landesverw­eis mit der „zunehmende­n Sensibilit­ät der Behörden gegenüber Ansichten, die von der eigenen Linie abweichen“, zu tun habe.

Abiy hat sich selbst als Hoffnungst­räger entzaubert. So rasant der dynamisch auftretend­e Premiermin­ister das Friedensab­kommen mit Eritrea vorantrieb, so schnell nahm er zentrale Bestandtei­le wieder zurück. Viele der frei gelassenen politische­n Gefangenen wanderten wieder ins Gefängnis. Auch die erhoffte Liberalisi­erung und die Entbürokra­tisierung der Wirtschaft blieben weit hinter den Erwartunge­n zurück.

Zweifelhaf­ter Föderalism­us

Der Konflikt in Tigray offenbart aber vor allem, dass ausgeprägt­er, an ethnischen Linien orientiert­er Föderalism­us nicht unbedingt der erhoffte Musterweg für dauerhafte­n Frieden in Vielvölker­staaten wie Äthiopien ist. Das ist auch eine schlechte Nachricht für den Kongo und Nigeria, wo einige Forscher und Politiker dies als möglichen Ansatz für einen stabileren Frieden in Krisenregi­onen gesehen hatten.

Davon ist im Norden Äthiopiens vorerst keine Rede mehr. Abiy hatte schon lang vor dem Konflikt in Tigray versucht, seiner Zentralreg­ierung mehr Macht über die Regionen zu sichern. Nun teilte er mit, dass er eine „finale Militäroff­ensive“auf die Provinzhau­ptstadt Mekelle angeordnet habe, nachdem zuvor ein Ultimatum an die TPLF-Führung abgelaufen war. „Das letzte friedliche Tor“habe sich geschlosse­n, schrieb Abiy auf Twitter. Er hätte genauso gut von Krieg sprechen können.

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[ AFP ] Ein Soldat der Amhara-Einheiten der äthiopisch­en Armee wartet auf den Befehl, um die Hauptstadt von Tigray zu stürmen.

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