„Sie lassen einem einfach keine Zeit zum Nachdenken“
Opferbericht. Im Nachhinein weiß Christa Chorherr, wie sie hätte reagieren müssen. Doch die Täter setzten auf Druck und Überforderung.
Wien. „Ich denke viel darüber nach“, sagt Christa Chorherr. Und im Nachhinein sei ihr einiges klar geworden. Was da eigentlich passiert ist, an diesem Tag Ende September. Wie sie eigentlich hätte reagieren können, sollen, müssen. Und wie die Geschichte dann doch den Verlauf nahm, von dem sie heute sagt, dass sie dadurch nicht im besten Licht erscheint. Aber dass sie dennoch darüber sprechen möchte, damit es anderen nicht auch so ergeht wie ihr.
Am Anfang stand ein Anruf, den die Buchautorin und Witwe des früheren „Presse“-Chefredakteurs und Herausgebers Thomas Chorherr, die unter christachorherr.wordpress.com auch einen Blog betreibt, entgegennahm. „Die Polizei“war dran, konkret, ein Mann, der ihr erzählte, dass in der Umgebung ihrer Wohnung ein Einbruch stattgefunden habe, zwei der Täter bereits gefasst worden, aber drei noch auf der Flucht seien. Und noch dazu habe man bei den Festgenommenen einen Zettel gefunden, auf dem ihr Name stehe – inklusive der Information, dass sie allein wohne und Bargeld und Schmuck in ihrer Wohnung habe.
„Sie machen sich strafbar“
Ob sie verdächtige Personen bemerkt hat? Ob vor ihrem Haus öfter Autos mit ausländischen Nummern parkten? Routinefragen, wie man sie bei einem Gespräch mit der Polizei wohl nicht verdächtig findet. Als sie gefragt wurde, ob sie mit dem Telefon auch durch die Wohnung gehen könnte, gab sie ihre Handynummer preis – ab nun telefonierte sie per Mobiltelefon. Schließlich meinte der Mann am anderen Ende der Leitung, dass sie gefährdet sei und nun die Polizei unterstützen müsse. Ein erstes Mal Misstrauen – warum der Mann denn nicht mit einem wienerischen Akzent spreche? Nun, er sei aus München und arbeite bei der Europol mit den österreichischen Behörden zusammen.
Soll so sein. Doch die Stimme wurde schließlich fordernder. Sie müsse das Gold und den Schmuck abwiegen. Und wieder die Nachfrage, was das soll. Sie müsse das ernst nehmen, sagte der Mann am Telefon, sonst würde sie sich strafbar machen. Strafbar? Schließlich verband er sie mit einem anderen Mann – die „Staatsanwaltschaft“, wie er sagte. Der redete in ähnlicher Weise auf sie ein. Und schließlich meinte er, wenn sie Zweifel habe, sollte sie doch einfach die Polizei unter 133 anrufen. Das machte sie auch – und landete wieder beim ersten Anrufer.
„Sie lassen einem einfach keine Zeit zum Nachdenken“, erzählt Chorherr. So sei es überhaupt möglich, dass dieser Trick klappen konnte, „denn ich habe am Handy nicht aufgelegt, sondern nur zum Wählen umgeschaltet und dort 133 getippt.“Hätte sie aufgelegt oder vom Festnetz aus den Notruf gewählt, wäre die Sache vorbei gewesen, meint sie. Doch so hatte die Stimme sie weiter im Griff. Und baute zunehmend Druck auf. Sie müsse die Wertsachen zusammenpacken – es würde gleich jemand vorbeikommen, um sie zu fotografieren. Ein verdeckter Ermittler. Und ja, sie ließ ihn in die Wohnung – er fotografierte alles und ging.
Dann die nächste Stufe – die Verbrecher seien wieder unterwegs und hätten es auf sie abgesehen. Sie soll schnell die Sachen in eine Tasche packen und damit auf die Straße gehen, damit sie geschützt werden könne. „Im Hinterkopf habe ich gedacht: Christa, was machst du da? Und in einer gewissen Art war mir klar, dass ich das nicht machen soll.“Aber das Gegenüber habe eine so überzeugende Überredungskunst gehabt. Erst freundlich und bestimmt, mit der Zeit zunehmend brutaler. Und vor allem – er ließ ihr keine Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen.
Knapp mehr als zwei Stunden telefonierten die beiden miteinander. Mehrmals legte sie dann doch auf, weil sie misstrauisch wurde. Und sofort rief der Mann wieder an. „Es waren 13 Anrufe, die ich in dieser Zeit geführt habe.“Der Druck, die Angst, die Überforderung – und das ganz allein. „Wenn ich nicht allein gewesen wäre, wäre es nicht passiert“, meint Chorherr. Sie hätte sonst einen ihrer Enkel gerufen, die bei ihr wohnen, die zu diesem Zeitpunkt aber gerade nicht zu Hause waren.
„Es ist fast, wie wenn man in einer Trance wäre“, erzählt sie. „Das ist auch für mich erschreckend, dass das möglich ist.“Möglich war in diesem Fall, dass sie tatsächlich die Wertsachen in ihre Handtasche steckte und damit vor das Haus ging. Ein unlogischer Schritt, denn wie viel sicherer wäre man, wenn man einfach daheim bliebe. Aber in diesem Moment schien die Logik wie ausgeschaltet.
„Achtung, Sie werden verfolgt“
Per Telefon kam die Anweisung, einen bestimmten Weg zu gehen. Dann plötzlich: „Achtung, Sie werden verfolgt!“Sie solle schnell in eine Gasse einbiegen – dort würde ein Beschützer warten. Es war der Mann, der vorher in der Wohnung die Fotos gemacht hatte. Sie solle ihm nun die Tasche geben. Nein, das mache sie nicht, der Mann könne ja neben ihr gehen. Und wieder der Druck, sie müsse den Anweisungen folgen. Wenn sie die Tasche halte, würden die Verbrecher womöglich auf sie schießen.
Dann plötzlich wieder ein Anruf, der Schrei „Notlage“– und der Mann riss ihr die Tasche aus der Hand und lief zu einem Auto. „Ich bin schon noch agil, aber einem jungen Mann kann ich nicht mehr nachrennen.“Und der Mann am Telefon beruhigte sie – sie solle einfach langsam nach Hause gehen, der Mann würde die Tasche gleich vorbeibringen.
Spätestens jetzt wusste Christa Chorherr, dass sie einem Betrug aufgesessen war. Sie ging zur Polizei, erzählte ihre Geschichte. Die erste Reaktion: „Ach so, Sie auch!“Vielen anderen war es schon ähnlich ergangen. Sie war nicht die Einzige, die sich hatte täuschen lassen. Durch psychologische Tricks. Und Druck, der auf sie ausgeübt wurde. Jetzt, im Nachhinein, da der Druck weg sei und sie wieder Zeit zum Denken habe, meint sie, wisse sie, was zu tun gewesen wäre. Zu spät. Und genau darauf hätten die Betrüger auch gesetzt.
Es ist fast, wie wenn man in einer Trance wäre. Das ist auch für mich erschreckend, dass das möglich ist.
Christa Chorherr, Buchautorin und Bloggerin