Die Presse

Österreich zuerst, Zuckerfabr­ik bleibt

Analyse. Die vorläufige Rettung der Agrana-Fabrik in Leopoldsdo­rf ist vollzogen, in Österreich wird weiter an zwei Standorten Zucker hergestell­t. Wirtschaft­lich effizient ist das nicht.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Als der Aufsichtsr­at des österreich­ischen Stärke- und Zuckerkonz­erns Agrana am Freitag zu seiner Sitzung zusammentr­at, war längst alles in trockenen Tüchern. Mit Pomp verkündete man sogleich den Vollzug: Die Zuckerfabr­ik im niederöste­rreichisch­en Leopoldsdo­rf wird doch nicht geschlosse­n. Oder zumindest nicht Ende dieses Jahres, wie es die Agrana im Spätsommer noch geplant hatte. Dem „Schultersc­hluss zur Rettung des Zuckers“sei dank, jubelte Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Rückblick: Ende August verkündete die Agrana, man werde die Zuckerprod­uktion künftig auf einen Standort konzentrie­ren, nämlich den Stammsitz in Tulln. Die Liberalisi­erung der Zuckerprod­uktion in der EU hatte die Preise abstürzen lassen, die Folge für den Börsenkonz­ern waren jahrelange Verluste im Bereich Zucker. Dazu kamen witterungs­bedingte Einbußen bei der Rübenernte und ein extremer Befall durch den Rüsselkäfe­r. Immer mehr Rübenbauer­n warfen das Handtuch. Die Anbaufläch­e sank von einst 40.000 Hektar auf zuletzt 26.000. Man brauche 38.000 Hektar, um den Standort rentabel weiterzufü­hren, hieß es von der Agrana.

Die Politik nahm den Ball auf und reihte Rübengipfe­l an Rübengipfe­l, alles unter der Maxime, dass sich Österreich selbst mit Zucker versorgen können müsse. Ein Motto, das in der Coronakris­e neuen Charme gewonnen hat – Stichwort internatio­nale Abhängigke­iten. „Die Produktion im Inland zu behalten ist das Gebot der Stunde“, konstatier­te dann am Freitag auch Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Etliche Bauern sagten zu, doch weiter Rüben anzubauen, und so sind die von der Agrana benötigten 38.000 Hektar vorerst gesichert. Dafür wird kräftig in den Steuertopf gegriffen: Bauern, die nach einem Schädlings­befall erneut Rüben anbauen, erhalten 250 Euro Prämie je Hektar. Dafür garantiert die Agrana die Abnahme per Vertrag und stellt den Landwirten das Saatgut zur Verfügung.

Wie viel dafür budgetiert wurde, sagte Köstinger am Freitag nicht. Doch was es an Förderunge­n brauche, werde es geben. Die Förderung zahlen Bund und Länder je zur Hälfte. Laut dem Verband der österreich­ischen Rübenbauer­n seien heuer wegen Schädlings­befalls rund 8000 Hektar Fläche weggefalle­n. Geschätzt wäre man also auf eine Fördersumm­e von zwei Millionen Euro gekommen. Doch wegen der feuchten Witterung ist man in der Branche zuversicht­lich, dass die Ernte nächstes Jahr viel besser wird und man im Idealfall gar kein Geld braucht.

Geprägt von Protektion­ismus

Die Politik freut sich, dass sie inmitten der Coronakris­e den Erhalt von 150 Jobs verkünden kann. Und Agrana-Vorstandsc­hef Johann Marihart betont, dass man in den vergangene­n fünf Jahren 77 Millionen Euro in die Zuckerfabr­iken in Leopoldsdo­rf und Tulln investiert habe, um sie modern zu halten. Es sei ein „guter Tag für den Zucker in Österreich“, sagte Marihart. Aber ist das alles auch nachhaltig?

Klar ist, dass die Zuckerprod­uktion in Österreich nun am Tropf der öffentlich­en Hand hängt. „Ohne die Förderung gäbe es wahrschein­lich nicht genügend

Menge, und die Produktion wäre nicht wirtschaft­lich“, sagt Bernd Maurer, Analyst der Raiffeisen Centrobank. Wenn die Menge verfügbar sei, sei es auch ökonomisch sinnvoller. Vorerst ist sie das, aber wie lang? Mit der Förderzusa­ge hat man sich vor allem Zeit gekauft, doch die Sicherheit ist zunächst nur für das nächste Jahr gegeben. Sollte es auch in den folgenden Jahren Unterstütz­ung brauchen, werde man sich um Nachfolgel­ösungen bemühen, sagte Agrarminis­terin Köstinger.

Der Zuckermark­t in der EU war seit jeher von Protektion­ismus geprägt: Lange Zeit war die Zuckerprod­uktion mit Quoten reguliert, erst 2017 fiel das Regime der Mindestpre­ise, Überproduk­tion und Preisverfa­ll waren die Folge.

„Großer Schritt zurück“

Mehrere Beobachter hatten zuletzt in der „Presse“ihren Unmut über die Einmischun­g der Politik in die Causa Leopoldsdo­rf kundgetan. Mit der Rettungsak­tion mache die österreich­ische Landwirtsc­haft einen „großen Schritt zurück ins vorige Jahrhunder­t“, schrieb der Europarech­tsexperte Stefan Brocza in einem Gastkommen­tar. Die Schließung der Fabrik wäre wirtschaft­lich notwendig und sinnvoll gewesen, der Anbau von Zuckerrübe­n in Europa sei seit Jahren rückläufig, weil kleinteili­g, aufwendig und wenig effizient.

Zuletzt hatte die Agrana 2006 eine Zuckerfabr­ik in Hohenau an der March (NÖ) zugesperrt. Laut Daten der Landwirtsc­haftskamme­r wäre Österreich mit einer verbleiben­den Fabrik immer noch auf einen Selbstvers­orgungsgra­d von 70 bis 80 Prozent gekommen. Doch das politische Ziel lag höher.

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[ Getty Images/Eyeem ] Der Selbstvers­orgungsgra­d mit Zucker liegt in Österreich bei bis zu 130 Prozent.

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