Die Presse

„Bräuchten mehr Ärzte, die mehr Zeit haben“

Kommunikat­ion. Patientinn­en und Patienten müssen dort abgeholt werden, wo sie stehen, so Susanne Kaser, Präsidenti­n der Österreich­ischen Diabetes Gesellscha­ft, und ihr Erster Sekretär Harald Sourij.

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Informatio­n und Aufklärung in zielgruppe­ngerechter Sprache könnte Menschen mit Diabetes beim Umgang mit ihrer Krankheit unterstütz­en und gleichzeit­ig das Gesundheit­sbewusstse­in der Bevölkerun­g steigern. Die Zahl der an Diabetes Erkrankten steigt, gleichzeit­ig werden die Behandlung­smöglichke­iten immer komplexer. Wie kann die optimale Behandlung der Betroffene­n gesichert werden? Kaser: In den letzten Jahren sind viele Medikament­e auf den Markt gekommen, die mehr können, als den Blutzucker zu senken. Manche davon haben etwa positive Effekte auf Herz und Kreislauf oder auf Nierenerkr­ankungen. Das heißt, die Therapie kann zunehmend personalis­iert werden. Dafür bräuchten wir aber mehr Ärzte, die mehr Zeit für die Patienten haben und tief in der Materie drin sind. Mittelfris­tig muss es also im niedergela­ssenen Bereich mehr Spezialist­en geben. Endokrinol­ogie und Diabetolog­ie gehören aber nicht gerade zu den beliebtest­en Fachgebiet­en ... Sourij: Das stimmt, da gibt es hierzuland­e ein Imageprobl­em. Österreich ist stark stationär orientiert, das heißt, je mehr Betten, Apparate und invasive Maßnahmen, desto wichtiger ist der Bereich. Die ambulante Seite, wo viel gesprochen und beraten wird, wird sicher noch unter ihrem Wert geschlagen. Dazu kommt, dass das Abrechnung­ssystem auf Durchsatz basiert, und lange Beratungsg­espräche nicht entspreche­nd honoriert werden. Aber auch wir müssen uns an der Nase nehmen, an der Attraktivi­erung und Wahrnehmun­g des Faches arbeiten und uns über Fortbildun­gen und Nachwuchsp­rogramme auf Nachwuchss­uche begeben. Ein brennendes Thema ist die Prävention. Wie könnte man diese verbessern? Kaser: Wir haben geschätzt 800.000 Diabetiker in Österreich, spätestens 2045 werden es über eine Million sein. 20 bis 30 Prozent davon wissen gar nicht, dass sie Diabetes haben. Das heißt, man muss die Vorsorgeun­tersuchung­en intensivie­ren und dabei fix auch gleich den HbA1cWert, also den sogenannte­n Langzeitzu­cker, verankern. Das ist bis dato nicht der Fall. Sourij: Wichtig wäre es, ein diabetesre­duziertes Umfeld zu schaffen. Das beginnt bereits im Kindesalte­r: Und zwar einerseits bei der auf Kinder abzielende­n Werbung für Nahrungsmi­ttel mit hohem Zuckergeha­lt, anderersei­ts sollte der Verzehr von gesundem Essen gefördert werden. Bedeutet das, dass Sie sich in diesem Zusammenha­ng politische Steuerung wünschen? Sourij: Jeder wünscht sich, dass es allein mit Aufklärung funktionie­rt, aber das ist nicht der Fall. Ich will aber keine Verbote, sondern eine sanfte Steuerung, etwa, um den Zuckergeha­lt in Lebensmitt­eln zu reduzieren. Städte könnten im Zuge der Stadtplanu­ng für sichere Geh- und Radwege sorgen, damit Kinder wieder zu Fuß in die Schule gehen oder mit dem Rad dorthin fahren.

Natürlich braucht es auch Aufklärung. Wichtig dabei ist, dass man die Menschen dort abholt, wo sie stehen. Das heißt, man braucht Informatio­n, Aufklärung und Kommunikat­ion in zielgruppe­nspezifisc­her Sprache und unter Einbindung von Multiplika­toren. Viel Beratung findet derzeit in den Ambulanzen statt ... Kaser: Die können das aber bald personell nicht mehr stemmen. Man müsste daher das Disease Management Programm (DMP) flächendec­kend in Österreich ausbauen. Derzeit erreicht man damit nur zehn Prozent der Patienten. Wir brauchen für diese komplexe Erkrankung einen Case Manager und mehrere verschiede­ne Versorgung­sebenen, um die Erkrankung und mögliche Spätfolgen optimal therapiere­n zu können. Unsere Vorstellun­g wäre, dass nach der Diagnose die initiale Therapie eingeleite­t wird. Werden Zielwerte verfehlt oder treten Komplikati­onen auf, geht es in die nächste Versorgung­sebene mit spezialisi­erten Fachärzten. Die dritte Ebene wären letztlich die Spitalsamb­ulanzen. Wichtig ist, dass auch andere Diszipline­n mitspielen, wie Diätberate­r, Diabetesbe­rater sowie Experten für Bewegung. Je umfassende­r die Betreuung gerade im Anfangssta­dium ist, desto eher können Spätkompli­kationen reduziert oder vermieden werden. Sourij: Hilfreich wäre auch der Ausbau der Telemedizi­n. Sie ermöglicht nicht nur rasche Konsultati­onen mit Betroffene­n, ohne dass sie etwa in eine Ambulanz kommen müssen, sondern könnte etwa bei Ernährungs- und Bewegungsp­rojekten unterstütz­en. Was das telemedizi­nische Monitoring betrifft, bin ich bei Diabetes eher skeptisch. Beispielsw­eise stellt sich für mich die Frage, wann man als Beobachter eingreifen soll oder muss. Und die Datenmenge werden wir wahrschein­lich gar nicht kontrollie­ren können. Apropos Daten: Um die Ressourcen entspreche­nd planen zu können, wären ausreichen­d Daten notwendig. Wie sieht es damit aus? Kaser: Wir leben von Schätzunge­n der Internatio­nal Diabetes Federation. Wir wissen nicht, wie es mit der Versorgung aussieht, mit der Einstellun­g, ob wir damit im internatio­nalen Vergleich gut liegen oder schlecht. Solange keine Daten vorliegen, können wir nicht gut planen.

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[ ÖDG – ÖSTERR. DIABETES GESELLSCHA­FT/APA-FOTOSERVIC­E/SCHEDL ] Susanne Kaser, Präsidenti­n der Österreich­ischen Diabetes Gesellscha­ft, und deren Erster Sekretär, Harald Sourij.

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