Die Presse

So weise macht uns Chinas Führer

Politik. Das Buch „Chinesisch­e Weisheiten in Xi Jinpings Reden“verbirgt hinter wohlfeilen Sinnsprüch­en aus alten Zeiten ein zeitlos autoritäre­s Weltbild. Vom gescheiter­ten Versuch einer Annäherung an eine uns immer noch fremde Kultur.

- VON KARL GAULHOFER

Es gibt Weisheiten, mit denen kommt man einfach leichter durchs Leben. Wie diese: „Man muss sich Ziele setzen. Mit Zielen erzielt man Erfolge.“Wenn man dann vor Entscheidu­ngen steht, „muss vorher gründlich nachgedach­t werden, um Unklarheit­en hinterher zu vermeiden“. Wie wahr! Tauchen Hürden auf, empfiehlt es sich, diese zu überwinden: „Wo Berge sind, bahnen wir uns einen Weg; wo Wasser ist, schlagen wir eine Brücke.“Bei alldem sollten wir immer „die Gesamtsitu­ation im Herzen haben und die großen Aufgaben ins Auge fassen“. Als Xi Jinping diese goldenen Worte sprach, „stimmten sie die Amtsträger nachdenkli­ch“, wie es im begleitend­en Kommentar heißt.

Uns stimmt anderes nachdenkli­ch: Warum hat Königshaus­en & Neumann, ein renommiert­er deutscher Fachverlag für Geisteswis­senschafte­n, mit „Chinesisch­e Weisheiten in Xi Jinpings Reden“ein Propaganda­buch des kommunisti­schen Parteiorga­ns „Volkszeitu­ng“übersetzt und uns eins zu eins zur Lektüre aufgetisch­t? Aber wir wollen nicht im trüben Teich der Motive fischen, sondern eine Chance nutzen. Denn der chinesisch­e Präsident und ZK-Generalsek­retär ist ja ein kluger Mann. Bei seinem Amtsantrit­t erklärte er, dass „leeres Gerede das Land in die Irre führt“und „oberflächl­iche Gedanken“zu bekämpfen seien. Also teilt er wohl nicht unser Empfinden, er verbreite in seinen Reden großteils Plattitüde­n.

Banaler Rat für unfähige Kaiser

Einen ähnlichen Eindruck hatten freilich schon unsere Eltern, als sie das „kleine rote Buch“lasen, die „Mao-Bibel“des großen Vorsitzend­en (Ephraim Kishon hat darüber eine seiner bissigsten Satiren geschriebe­n). Aber nun erfahren wir Ahnungslos­en, dass Xis Reden gespickt sind mit Zitaten aus einer dreitausen­djährigen Tradition, von feinfühlig­en Dichtern, taoistisch­en Denkern und konfuziani­schen Gelehrten. Also schlagen wir eine Brücke, um über das Wasser westlicher Ignoranz an die Ufer fernöstlic­her Kultur zu gelangen.

Und haben bald ein Aha-Erlebnis: Wir erfahren, dass die meisten dieser Sprüche die Weisen früherer Zeiten den Kaisern anvertraut­en, die sie um Rat gefragt hatten. Viele dieser Herrscher waren offenbar ziemlich unfähig und machten dumme Dinge. Hätten die Gelehrten ihnen das offen ins Gesicht gesagt, wären sie wohl rasch einen

Kopf kürzer gewesen. Also, lesen wir zwischen den Zeilen, verpackten sie ihre Kritik in so weichgespü­lte Binsenweis­heiten, dass der Souverän ihnen nur recht geben konnte. Das erklärt freilich nicht, warum ein moderner Mensch wie Xi das alles wieder ausgräbt. Wir sehen aber den Kontext: Es sind Botschafte­n an Parteifunk­tionäre oder Staatsgäst­e. Es geht um Chiffren, diplomatis­che Codes. Das weckt Neugier, ja Verdacht: Vielleicht sind manche dieser Sprüche gar nicht so harmlos, wie sie im Ganzen wirken?

Ob nun ein Kaiser oder ein Diktator über das Riesenreic­h herrscht: Beide scheinen vor nichts mehr Angst zu haben als vor „Unruhen“, die „aus einem etwas scheinbar Glaubwürdi­gen entstehen“und eine „ordnungswi­drige Gier“wecken. Wehret den Anfängen! „Was noch zart ist, lässt sich leicht zerbrechen“, ob in Hongkong oder bei den Uiguren. Xi fordert „strategisc­he Entschloss­enheit“, und der Kommentar erklärt, was das heißt: den „Kurs nicht ändern“, also Widerständ­e aussitzen, dann wird „die Kritik mit der Zeit immer leiser“. Denn, wie man schon vor 500 Jahren wusste: „Beim Regieren kommt es darauf an, das Volk zu beruhigen.“Wie stellt man das an? Indem man die materielle­n Bedürfniss­e befriedigt, und nur sie: „Das Volk will keine Armut, so beschere ich ihm Reichtum. Das Volk will keine Existenzbe­drohung, so verschaffe ich ihm Sicherheit.“Wir sollten darüber nicht die Nase rümpfen: Auch in unserer Wirtschaft­swunderzei­t waren die Bürger ziemlich unpolitisc­h, freilich auf demokratis­cher Basis.

Künstler vor den Karren spannen

In China darf es auch den Intellektu­ellen nur darum gehen, dass sie es warm und trocken haben: „Hätte ich ein großes Landhaus mit tausend Räumen“, zitiert Xi ein Gedicht aus dem achten Jahrhunder­t, „so gewährte ich allen armen Gelehrten ein Dach und sie lächelten schön zufrieden“. Müssen sie auch, denn der Staat spannt sie vor seinen Karren. Als „Aufgaben der Literaten und Künstler“nennt Xi: das „tugendhaft­e Verhalten zu besingen“, um „ein geistiges Zuhause für alle Chinesen aufzubauen“. Wer da nicht mitmacht, würde „Gewissensb­isse bekommen“. Spätestens wohl im Umerziehun­gslager.

Aber halt: Wir sind vom Kurs abgedrifte­t. Statt demütig zu lernen, verfallen wir in das übliche westliche Peking-Bashing. Also ducken wir uns schamerfül­lt unter der klassische­n Schelte aus einem Gastbeitra­g von Xi für eine belgische Zeitung: „Der Weise sucht nach Gemeinsamk­eiten, der Gemeine nach Unterschie­den.“Und wir zittern ein wenig vor der Ergänzung der Kollegen von der Volkszeitu­ng: „Hat man nur Unterschie­de im Blick, die man absichtlic­h übertreibt, kann es zu Konflikten führen.“

Also schlagen wir zum Schluss wieder Brücken. „Manchmal ist das Richtige nicht brauchbar“, zitiert Xi einen vorchristl­ichen Philosophe­n, „das Falsche muss unbedingt eingesetzt werden“. Denn „es gibt Fälle, in denen das Richtige Niederlage­n herbeiführ­t und das Falsche Erfolge erbringt“. Diesen Rat erteilte Xi auf einer Konferenz über „Öffentlich­keits- und ideologisc­he Arbeit“. Nein, das mit den Fake News hat nicht erst Trump erfunden, auch nicht Machiavell­i.

Hier können sich Ost und West die Hände reichen. Auch Corona hat zu einer Annäherung geführt. Unsere Regierende­n hätten keine Hemmungen mehr, sich diese Deutung eines Zitats von Meister Xunzi ins Stammbuch schreiben zu lassen: „Die breiten Volksmasse­n werden vereinigt und die tugendhaft­en Menschen stimmen von ganzem Herzen mit dem Herrscher überein, wenn die Regelungen rechtzeiti­g verordnet werden.“Im Lockdown herrscht eben auf jedem Platz der himmlische Frieden.

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Mit seinen Reden voller blumiger Zitate aus alten Schriften und Gedichten tritt Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping in die Fußstapfen des „Großen Vorsitzend­en“.
[ AFP ] Mao lässt grüßen: Mit seinen Reden voller blumiger Zitate aus alten Schriften und Gedichten tritt Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping in die Fußstapfen des „Großen Vorsitzend­en“.

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