Die Presse

Österreich­s Liberalism­us im Ausverkauf

Die Wiener Neos haben ihre liberalen Prinzipien vergessen. Hoffentlic­h erinnern sie sich bald. Einen Platzhalte­r für die Grünen braucht niemand.

- VON FRANZ SCHELLHORN

Niemand wird ernsthaft damit gerechnet haben, dass mit dem Einzug der Neos in die Wiener Stadtregie­rung Margaret Thatcher von der Wand jedes Amtszimmer­s lächelt. Oder dass das wunderbare Wiener Wasser an den Bestbieter verscherbe­lt wird. Aber viele werden sich doch die eine oder andere kleine Veränderun­g erhofft haben, wenn schon einmal eine liberale Partei Regierungs­verantwort­ung übernimmt.

Etwa, dass die Neos auf einer Anhebung des sehr frühen Pensionsal­ters für die Wiener Gemeindebe­diensteten bestehen werden. Oder dass zumindest der erste Bezirk zur Tourismusz­one erklärt, eine Ausgabenbr­emse für die Zeit nach der Krise vereinbart, die automatisc­he Gebührener­höhung außer Kraft gesetzt und eine empfindlic­he Reduktion der Parteienfö­rderung beschlosse­n wird.

Dass die Liberalen nicht einen einzigen jener Punkte umsetzen konnten, die ihnen in ihrer Opposition­szeit so wichtig waren, hat selbst altgedient­e Sozialdemo­kraten überrascht. Viele unter ihnen strahlen mit der Herbstsonn­e um die Wette. Sie können sich an keinen höheren Verhandlun­gssieg erinnern als diesen jüngsten.

Dennoch werfen die Wiener Grünen den Sozialdemo­kraten vor, sich dem kalten Neoliberal­ismus ihres Koalitions­partners unterworfe­n zu haben. Kränkung trübt bekannterm­aßen die Sinne. Wer den Koalitions­vertrag gelesen hat, kennt den Grund der Verbitteru­ng. Von wegen neoliberal: Die Grünen werden kein Kapitel finden, das sie nicht mitgetrage­n hätten. Aber nicht sie sitzen in der Stadtregie­rung, sondern die Neos, die frech grüne Kernthemen umsetzen. So hat sich die neue „Fortschrit­tsregierun­g“zum Ziel gesetzt, den Klimawande­l zu stoppen und Wien noch grüner zu machen. Das Geld wird mit beiden Händen beim Fenster rausgeworf­en, von Einsparung­en ist nur die Rede, wenn es um das klimaschäd­liche CO geht. Privatisie­rungen werden ausgeschlo­ssen. Dafür wird von der neuen Stadtregie­rung alles gefördert, was nicht bei drei auf einem der 25.000 Bäume (!) sitzt, die zur Kühlung der Stadt gepflanzt werden.

Von wegen neoliberal . . .

Begriffe wie „Marktwirts­chaft“, „Liberalisi­erung“oder „Deregulier­ung“sucht man auf den 209 Seiten des rot-pinken Koalitions­vertrags vergeblich. Dafür haben sich die Koalitions­partner darauf verständig­t, die „Gemeinwohl­ökonomie“zu forcieren. Also jenes neokommuni­stische Konzept, das Zuwanderer aus Osteuropa an der Sinneskraf­t ihrer neuen Landsleute zweifeln lassen muss.

Was am Konzept der Gemeinwohl­ökonomie so verkehrt ist? Aus liberaler Sicht eigentlich alles. Eigentum an Grund und Boden wird abgeschaff­t, Unternehme­nsgewinne werden nicht mehr an die Eigentümer, sondern an die Mitarbeite­r ausgeschüt­tet. Betriebe

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