Dieselmotoren herstellen, aber mit dem Radl fahren
Die Autoindustrie ist weiterhin eine Wachstumsbranche: Heimische Wissenschaftler wollen sie zum Wohl des Klimas umgestalten und die Beschäftigten sowie Entscheidungsträger in die Forschungen einbeziehen.
Der Konflikt zwischen Arbeitnehmervertretungen und Umweltinteressen ist ein historischer: Man denke an die großen Umweltbewegungen in Österreich wie die Besetzung der Hainburger Au oder den Protest gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf. „Das waren auch Konflikte zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegungen“, sagtg Melanie Pichler vom Institut für Soziale Ökologie der Boku Wien. Ihr Team sucht mit Politikwissenschaftlern um Ulrich Brand (Uni Wien) und Markus Wissen (Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht) nach Wegen, solche Konflikte zu lösen. Das kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekt Con-Labour wurde vom Klima- und Energiefonds gefördert.
Bei den historischen Konflikten war es oft ein Gegeneinander. Wobei die einen jeweils meinten, die anderen würden die Interessen des Gegenübers nicht verstehen. Umweltorganisationen warfen Arbeitnehmervertretern vor, nur die Interessen der Beschäftigten zu sehen, während diese den NGOs ankreideten, nur Umweltagenden durchbringen zu wollen.
Die Dringlichkeit bei Autos ist hoch
Ulrich Brand, der bis 2007 an der Uni Kassel und seither in Wien forscht, leitete das ConLabour-Projekt, das am Beispiel der Autoindustrie die Rolle der Gewerkschaft im Angesicht der ökologischen Krise untersuchte. „Obwohl es in Österreich gute Gewerkschafts- und Arbeitsforschung gibt, fanden wir wenig Verknüpfungen zu umweltpolitischer Forschung“, sagt Brand. Das Vorgängerprojekt Trafo-Labour, ebenfalls gefördert vom Klima- und Energiefonds, ergab, dass Gewerkschaften v. a. dann umweltpolitisch handeln, wenn sie Allianzen mit anderen Akteuren eingehen. Das wollte das Team am
Beispiel der Autobranche genauer erkunden, weil in dieser die Dringlichkeit für eine ökologische Umgestaltung hoch ist. „Nach dem Dieselskandal, durch den Ruf nach mehr E-Mobilität sowie den steigenden Druck aus China haben wir einen großen Transformationsbedarf: Die Klimakrise wird zu enormen Veränderungen der Wirtschaft und Industrie führen“, betont Brand.
Die Forscherinnen und Forscher zogen Vertreter der Arbeiterkammer sowie Betriebsräte hinzu, um Fragestellung und Methoden an die Arbeitsrealität anzupassen. „Wir haben eine Branchenanalyse durchgeführt, die Perspektive der Beschäftigten untersucht und auch institutionelle und politische Rahmenbedingungen beschrieben, die einen Umbau fördern oder verhindern können“, sagt Boku-Forscherin Pichler.
Österreich ist vor allem Zulieferer
Die Branchenanalyse bestätigte, dass in Österreich die Zulieferer-Industrie überwiegt, die in Europa stark vernetzt und dadurch abhängig von internationalen Autounternehmen ist. „Außerdem ist die heimische Autoindustrie sehr abhängig vom Verbrennungsmotor“, so Pichler (siehe Gra
fik). Und die Branche zeichnet sich durch starke regionale Zentren aus: Will man also diese Wirtschaft klimafreundlich umbauen, verändert man eine ganze Region.
Die Beschäftigten, deren Stimme in dem Projekt Betriebsrätinnen und Betriebsräte waren, entpuppten sich als wichtige Forschungsteilnehmer: Sie bestätigten durchaus Interesse an einem ökologischen Umbau der Branche, weil sie selbst auch Betroffene der Klimakrise sind. „Wir fanden aber bei vielen ein ,disparates Bewusstsein‘“, erklärt Pichler. Das heißt, dass die Beschäftigten zwar ein Problembewusstsein besitzen, weil sie z. B. klimapolitische Themen wie die „Fridays for Future“-Bewegung verfolgen oder Kinder haben, die das Klimathema auf den Tisch bringen, sie aber zugleich die eigene Tätigkeit und ihren Arbeitsplatz verteidigen. Manche der Befragten gaben an, dass sie z. B. mit dem Fahrrad in die Arbeit fahren, der Umwelt zuliebe, aber zugleich kein Problem darin sahen, umweltschädliche Verbrennungsmotoren herzustellen.
Brand erzählt schmunzelnd eine Anekdote. Er war beim Betriebsrat eines großen Nutzfahrzeuge-Herstellers mit 16.000 Mitarbeitern in Hannover eingeladen, um über umweltpolitische Entscheidungen zu diskutieren: „Aber statt dass es darin um ihre Produktion von Lkw und SUVs ging, sprachen plötzlich die Teilnehmenden davon, in der Mensa weniger Fleisch anzubieten, weil Fleischkonsum die Umwelt so belastet.“
In den Befragungen des Con-LabourProjekts forderten Branchenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auch die Rolle der Politik ein, um eine Transformation hin zu klimaschonender Produktion zu gestalten. „Interessant war, wie stark die EU-Ebene bei der Industrie- und Arbeitsmarktpolitik eine Rolle spielt“, sagt Pichler. Eine gesellschaftspolitisch brisante Frage dabei ist: Wie kann man bei Beschäftigten das Vertrauen erlangen, dass sie auch dann ein abgesichertes Leben haben, wenn ihre Jobs im Umbau verloren gehen und sie vielleicht in eine andere Branche wechseln müssen?
„Aus Sicht der Beschäftigten haben wir drei Optionen gefunden, die Branche zu verändern“, sagt Pichler. Entweder optimiert man die Verbrennungsmotoren wie Diesel und Benziner, um sie ökologisch verträglicher zu machen, oder man stellt in der Herstellung auf Elektro-Autos um oder setzt drittens in einer „Konversion“darauf, andere Produkte wie z. B. Züge oder Straßenbahnen herzustellen.
Löschfahrzeuge statt Panzer herstellen
„Vor allem die dritte Option wird von den Beschäftigten an die Politik delegiert“, sagt Pichler. In den Interviews fanden sie spannende Ideen der Arbeiterinnen und Arbeiter für solche Konversionen, doch liegt hier die Entscheidungsmacht kaum bei den Beschäftigten. „In einem Unternehmen, das auf Militärfahrzeuge spezialisiert ist, hatte die Belegschaft die Idee, Löschfahrzeuge für Waldbrände herzustellen: Die sind ähnlich gebaut wie Panzer, aber gesellschaftlich sinnvoller“, berichtet Pichler, deren Team für das Einsetzen von Transformationsbeiräten ist, in denen Beschäftigte mit Wissenschaftlern, Industrievertretern, politischen Entscheidungsträgern, Umweltorganisationen und Vertretern der Region an einem Tisch sitzen.
Investitionsentscheidungen von heute bestimmen die Ökologie der nächsten 30 bis 40 Jahre. Doch große Umwälzungen müssen bisher politisch und wirtschaftlich einer Wettbewerbs- und Profitlogik folgen. Grüne Technologien werden meist nur dann eingeführt, wenn sie die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. „Ein interessantes Beispiel ist die europäische Batterie-Allianz, die Deutschland und Frankreich pushen, weil derzeit 90 Prozent der Batterien für Elektromobilität aus Asien und den USA kommen“, sagt Brand. Das EU-Recht achtet normalerweise darauf, dass hier kein Monopolist aufgebaut, sondern der innereuropäische Wettbewerb gefördert wird: Durch die Batterie-Allianz könnte jedoch, ähnlich wie seit den 1970ern mit Airbus, ein neuer Monopolist in Europa entstehen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.
„In der Coronakrise haben wir jetzt eine Chance, mit Investitionen und Zuschüssen einen Umbau zu gestalten, bei dem es weniger Verlierer gibt“, sagt Brand.