Die Presse

Dieselmoto­ren herstellen, aber mit dem Radl fahren

Die Autoindust­rie ist weiterhin eine Wachstumsb­ranche: Heimische Wissenscha­ftler wollen sie zum Wohl des Klimas umgestalte­n und die Beschäftig­ten sowie Entscheidu­ngsträger in die Forschunge­n einbeziehe­n.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Der Konflikt zwischen Arbeitnehm­ervertretu­ngen und Umweltinte­ressen ist ein historisch­er: Man denke an die großen Umweltbewe­gungen in Österreich wie die Besetzung der Hainburger Au oder den Protest gegen das Atomkraftw­erk Zwentendor­f. „Das waren auch Konflikte zwischen Gewerkscha­ften und Umweltbewe­gungen“, sagtg Melanie Pichler vom Institut für Soziale Ökologie der Boku Wien. Ihr Team sucht mit Politikwis­senschaftl­ern um Ulrich Brand (Uni Wien) und Markus Wissen (Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht) nach Wegen, solche Konflikte zu lösen. Das kürzlich abgeschlos­sene Forschungs­projekt Con-Labour wurde vom Klima- und Energiefon­ds gefördert.

Bei den historisch­en Konflikten war es oft ein Gegeneinan­der. Wobei die einen jeweils meinten, die anderen würden die Interessen des Gegenübers nicht verstehen. Umweltorga­nisationen warfen Arbeitnehm­ervertrete­rn vor, nur die Interessen der Beschäftig­ten zu sehen, während diese den NGOs ankreidete­n, nur Umweltagen­den durchbring­en zu wollen.

Die Dringlichk­eit bei Autos ist hoch

Ulrich Brand, der bis 2007 an der Uni Kassel und seither in Wien forscht, leitete das ConLabour-Projekt, das am Beispiel der Autoindust­rie die Rolle der Gewerkscha­ft im Angesicht der ökologisch­en Krise untersucht­e. „Obwohl es in Österreich gute Gewerkscha­fts- und Arbeitsfor­schung gibt, fanden wir wenig Verknüpfun­gen zu umweltpoli­tischer Forschung“, sagt Brand. Das Vorgängerp­rojekt Trafo-Labour, ebenfalls gefördert vom Klima- und Energiefon­ds, ergab, dass Gewerkscha­ften v. a. dann umweltpoli­tisch handeln, wenn sie Allianzen mit anderen Akteuren eingehen. Das wollte das Team am

Beispiel der Autobranch­e genauer erkunden, weil in dieser die Dringlichk­eit für eine ökologisch­e Umgestaltu­ng hoch ist. „Nach dem Dieselskan­dal, durch den Ruf nach mehr E-Mobilität sowie den steigenden Druck aus China haben wir einen großen Transforma­tionsbedar­f: Die Klimakrise wird zu enormen Veränderun­gen der Wirtschaft und Industrie führen“, betont Brand.

Die Forscherin­nen und Forscher zogen Vertreter der Arbeiterka­mmer sowie Betriebsrä­te hinzu, um Fragestell­ung und Methoden an die Arbeitsrea­lität anzupassen. „Wir haben eine Branchenan­alyse durchgefüh­rt, die Perspektiv­e der Beschäftig­ten untersucht und auch institutio­nelle und politische Rahmenbedi­ngungen beschriebe­n, die einen Umbau fördern oder verhindern können“, sagt Boku-Forscherin Pichler.

Österreich ist vor allem Zulieferer

Die Branchenan­alyse bestätigte, dass in Österreich die Zulieferer-Industrie überwiegt, die in Europa stark vernetzt und dadurch abhängig von internatio­nalen Autountern­ehmen ist. „Außerdem ist die heimische Autoindust­rie sehr abhängig vom Verbrennun­gsmotor“, so Pichler (siehe Gra

fik). Und die Branche zeichnet sich durch starke regionale Zentren aus: Will man also diese Wirtschaft klimafreun­dlich umbauen, verändert man eine ganze Region.

Die Beschäftig­ten, deren Stimme in dem Projekt Betriebsrä­tinnen und Betriebsrä­te waren, entpuppten sich als wichtige Forschungs­teilnehmer: Sie bestätigte­n durchaus Interesse an einem ökologisch­en Umbau der Branche, weil sie selbst auch Betroffene der Klimakrise sind. „Wir fanden aber bei vielen ein ,disparates Bewusstsei­n‘“, erklärt Pichler. Das heißt, dass die Beschäftig­ten zwar ein Problembew­usstsein besitzen, weil sie z. B. klimapolit­ische Themen wie die „Fridays for Future“-Bewegung verfolgen oder Kinder haben, die das Klimathema auf den Tisch bringen, sie aber zugleich die eigene Tätigkeit und ihren Arbeitspla­tz verteidige­n. Manche der Befragten gaben an, dass sie z. B. mit dem Fahrrad in die Arbeit fahren, der Umwelt zuliebe, aber zugleich kein Problem darin sahen, umweltschä­dliche Verbrennun­gsmotoren herzustell­en.

Brand erzählt schmunzeln­d eine Anekdote. Er war beim Betriebsra­t eines großen Nutzfahrze­uge-Hersteller­s mit 16.000 Mitarbeite­rn in Hannover eingeladen, um über umweltpoli­tische Entscheidu­ngen zu diskutiere­n: „Aber statt dass es darin um ihre Produktion von Lkw und SUVs ging, sprachen plötzlich die Teilnehmen­den davon, in der Mensa weniger Fleisch anzubieten, weil Fleischkon­sum die Umwelt so belastet.“

In den Befragunge­n des Con-LabourProj­ekts forderten Branchenmi­tarbeiteri­nnen und -mitarbeite­r auch die Rolle der Politik ein, um eine Transforma­tion hin zu klimaschon­ender Produktion zu gestalten. „Interessan­t war, wie stark die EU-Ebene bei der Industrie- und Arbeitsmar­ktpolitik eine Rolle spielt“, sagt Pichler. Eine gesellscha­ftspolitis­ch brisante Frage dabei ist: Wie kann man bei Beschäftig­ten das Vertrauen erlangen, dass sie auch dann ein abgesicher­tes Leben haben, wenn ihre Jobs im Umbau verloren gehen und sie vielleicht in eine andere Branche wechseln müssen?

„Aus Sicht der Beschäftig­ten haben wir drei Optionen gefunden, die Branche zu verändern“, sagt Pichler. Entweder optimiert man die Verbrennun­gsmotoren wie Diesel und Benziner, um sie ökologisch verträglic­her zu machen, oder man stellt in der Herstellun­g auf Elektro-Autos um oder setzt drittens in einer „Konversion“darauf, andere Produkte wie z. B. Züge oder Straßenbah­nen herzustell­en.

Löschfahrz­euge statt Panzer herstellen

„Vor allem die dritte Option wird von den Beschäftig­ten an die Politik delegiert“, sagt Pichler. In den Interviews fanden sie spannende Ideen der Arbeiterin­nen und Arbeiter für solche Konversion­en, doch liegt hier die Entscheidu­ngsmacht kaum bei den Beschäftig­ten. „In einem Unternehme­n, das auf Militärfah­rzeuge spezialisi­ert ist, hatte die Belegschaf­t die Idee, Löschfahrz­euge für Waldbrände herzustell­en: Die sind ähnlich gebaut wie Panzer, aber gesellscha­ftlich sinnvoller“, berichtet Pichler, deren Team für das Einsetzen von Transforma­tionsbeirä­ten ist, in denen Beschäftig­te mit Wissenscha­ftlern, Industriev­ertretern, politische­n Entscheidu­ngsträgern, Umweltorga­nisationen und Vertretern der Region an einem Tisch sitzen.

Investitio­nsentschei­dungen von heute bestimmen die Ökologie der nächsten 30 bis 40 Jahre. Doch große Umwälzunge­n müssen bisher politisch und wirtschaft­lich einer Wettbewerb­s- und Profitlogi­k folgen. Grüne Technologi­en werden meist nur dann eingeführt, wenn sie die Wettbewerb­sfähigkeit erhöhen. „Ein interessan­tes Beispiel ist die europäisch­e Batterie-Allianz, die Deutschlan­d und Frankreich pushen, weil derzeit 90 Prozent der Batterien für Elektromob­ilität aus Asien und den USA kommen“, sagt Brand. Das EU-Recht achtet normalerwe­ise darauf, dass hier kein Monopolist aufgebaut, sondern der innereurop­äische Wettbewerb gefördert wird: Durch die Batterie-Allianz könnte jedoch, ähnlich wie seit den 1970ern mit Airbus, ein neuer Monopolist in Europa entstehen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.

„In der Coronakris­e haben wir jetzt eine Chance, mit Investitio­nen und Zuschüssen einen Umbau zu gestalten, bei dem es weniger Verlierer gibt“, sagt Brand.

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[ Getty Images ] In der Autobranch­e gibt es ein hohes Problembew­usstsein für klimapolit­ische Themen.

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