„Come the fuck down“
Expedition Europa: Corona und die Toten von San Marino.
Irgendwann wollte ich auch einmal in San Marino gewesen sein, erst ein unrühmlicher Weltrekord verschaffte mir aber einen Grund, den unabhängigen Vorort von Rimini zu besuchen: Fast das ganze Jahr über war San Marino das Land mit den weltweit meisten Corona-Toten pro Einwohner. Auch wenn seit Kurzem Belgien den ersten Platz einnimmt, verbrachte ich zweimal eine Nacht und einen Vormittag in San Marino. Ich wollte wissen: Warum?
Was mir gefiel: die Lage der „Repubblica della Libert`a“am markant aufragenden Monte Titano. Was mich enttäuschte: die formlose Hässlichkeit der Häuser und die schwachen Insignien von Staatlichkeit. Straßenschilder sehen wie in Italien aus, und in den Cafe-´Bars liegen Regionalblätter aus Rimini auf.
Früher hatte die steinalte Republik Bewunderer. Als Napoleon in der Gegend war, stoppte er seine Truppen und bot den San-Marinesen eine Gebietserweiterung bis ans Meer, zwei Kanonen und Getreide an. Die San-Marinesen waren klug genug, nur das Getreide zu nehmen. Im Herbst 2020 entschieden sie sich gegen einen zweiten Lockdown. „Als Nicht-EUMitglied kriegen wir nichts aus dem Wiederaufbaufonds“, hörte ich. „Wir müssen selbst unser Geld verdienen.“Ich kam, bevor die umliegende Emilia-Romagna Aperol-Spritz-Ausflüge nach San Marino untersagte, am Abend fielen mir aber nur wenige Junghedonistinnen aus Italien auf und eine verrückte, rosa gewandete Alte.
Ich wollte ein Interview mit dem Gesundheitsminister, dieser schreckte aber vor Ausländern ohne aktuellen CoronaTest zurück. Sein Mitarbeiter simste mir die neuesten Infektionszahlen: „Für Sie klingt das wenig, für das kleinste Land der Welt ist das viel!“Das Ministerium war eigentlich bloß ein Seitengang im kleinen Nationalspital, in das man unkontrolliert reinspazieren konnte. Ich drehte wieder um, wozu den armen Minister schrecken.
Nationalbank ohne Währung
Ich frühstückte mit einem Orthopäden. Der aufgeklärte „Europeista“erklärte die vielen Coronatoten mit „Versagen im Spital“. Er schimpfte auf Überschuldung und Bürokratie, 4300 der 34.000 Einwohner sind Beamte: „Was braucht die Nationalbank eines Landes ohne Währung 120 Mitarbeiter?“Im Frühling hatte San Marino den strikten Lockdown Italiens kopiert. Die Grenzen waren zu, der Orthopäde war auf 61 Quadratkilometer Staatsgebiet eingesperrt. Wobei: So weit rumlaufen durfte man gar nicht.
Ich fuhr in die Hauptstadt auf die Felsspitze hinauf. Ein zwölfteiliges Parkleitsystem, 1000 Läden bei 4000 Bewohnern, nachtblaue Audi-Limousinen vor den Ministerien. Oben nahm ich einen Macchiato. Auf dem T-Shirt der jungen Barista stand: „Comme des Fuckdown.“Komisches Französisch, fand ich, was bedeutet das? Sie wusste es selbst nicht. Ein eleganter junger Lehrer blickte von seinem Notebook auf: „Das heisst ,Come the fuck down‘!“Die Barista wiederholte in Rapperpose: „Yeah, come the fuck down!“Der Lehrer war nebenbei Abgeordneter zum san-marinesischen Parlament und erklärte mir alles. Ja, viele Beamte, räumte er ein, „aber keine Auslandschulden“, und Steueroase seien sie keine mehr. Bei Corona sah er „kein besonderes Staatsversagen“. – „Sie sind Abgeordneter der Regierungskoalition?“– „Si.“
Also warum hatte San Marino die meisten Corona-Toten der Welt? Da waren einige Faktoren, die Nähe schwer getroffener italienischer Regionen plus eine ausgeprägte Überalterung mit der angeblich höchsten Lebenserwartung für Männer. Hauptsächlich war da aber ein Unglück, ganz zu Beginn: In einem Cafe´ in Domagnano, bei den formlosen Häusern unten, trafen sich betagte Freunde wie immer zum Kartenspielen. Sie alle steckten einander an.