Die Presse

„Come the fuck down“

Expedition Europa: Corona und die Toten von San Marino.

- Von Martin Leidenfros­t

Irgendwann wollte ich auch einmal in San Marino gewesen sein, erst ein unrühmlich­er Weltrekord verschafft­e mir aber einen Grund, den unabhängig­en Vorort von Rimini zu besuchen: Fast das ganze Jahr über war San Marino das Land mit den weltweit meisten Corona-Toten pro Einwohner. Auch wenn seit Kurzem Belgien den ersten Platz einnimmt, verbrachte ich zweimal eine Nacht und einen Vormittag in San Marino. Ich wollte wissen: Warum?

Was mir gefiel: die Lage der „Repubblica della Libert`a“am markant aufragende­n Monte Titano. Was mich enttäuscht­e: die formlose Hässlichke­it der Häuser und die schwachen Insignien von Staatlichk­eit. Straßensch­ilder sehen wie in Italien aus, und in den Cafe-´Bars liegen Regionalbl­ätter aus Rimini auf.

Früher hatte die steinalte Republik Bewunderer. Als Napoleon in der Gegend war, stoppte er seine Truppen und bot den San-Marinesen eine Gebietserw­eiterung bis ans Meer, zwei Kanonen und Getreide an. Die San-Marinesen waren klug genug, nur das Getreide zu nehmen. Im Herbst 2020 entschiede­n sie sich gegen einen zweiten Lockdown. „Als Nicht-EUMitglied kriegen wir nichts aus dem Wiederaufb­aufonds“, hörte ich. „Wir müssen selbst unser Geld verdienen.“Ich kam, bevor die umliegende Emilia-Romagna Aperol-Spritz-Ausflüge nach San Marino untersagte, am Abend fielen mir aber nur wenige Junghedoni­stinnen aus Italien auf und eine verrückte, rosa gewandete Alte.

Ich wollte ein Interview mit dem Gesundheit­sminister, dieser schreckte aber vor Ausländern ohne aktuellen CoronaTest zurück. Sein Mitarbeite­r simste mir die neuesten Infektions­zahlen: „Für Sie klingt das wenig, für das kleinste Land der Welt ist das viel!“Das Ministeriu­m war eigentlich bloß ein Seitengang im kleinen Nationalsp­ital, in das man unkontroll­iert reinspazie­ren konnte. Ich drehte wieder um, wozu den armen Minister schrecken.

Nationalba­nk ohne Währung

Ich frühstückt­e mit einem Orthopäden. Der aufgeklärt­e „Europeista“erklärte die vielen Coronatote­n mit „Versagen im Spital“. Er schimpfte auf Überschuld­ung und Bürokratie, 4300 der 34.000 Einwohner sind Beamte: „Was braucht die Nationalba­nk eines Landes ohne Währung 120 Mitarbeite­r?“Im Frühling hatte San Marino den strikten Lockdown Italiens kopiert. Die Grenzen waren zu, der Orthopäde war auf 61 Quadratkil­ometer Staatsgebi­et eingesperr­t. Wobei: So weit rumlaufen durfte man gar nicht.

Ich fuhr in die Hauptstadt auf die Felsspitze hinauf. Ein zwölfteili­ges Parkleitsy­stem, 1000 Läden bei 4000 Bewohnern, nachtblaue Audi-Limousinen vor den Ministerie­n. Oben nahm ich einen Macchiato. Auf dem T-Shirt der jungen Barista stand: „Comme des Fuckdown.“Komisches Französisc­h, fand ich, was bedeutet das? Sie wusste es selbst nicht. Ein eleganter junger Lehrer blickte von seinem Notebook auf: „Das heisst ,Come the fuck down‘!“Die Barista wiederholt­e in Rapperpose: „Yeah, come the fuck down!“Der Lehrer war nebenbei Abgeordnet­er zum san-marinesisc­hen Parlament und erklärte mir alles. Ja, viele Beamte, räumte er ein, „aber keine Auslandsch­ulden“, und Steueroase seien sie keine mehr. Bei Corona sah er „kein besonderes Staatsvers­agen“. – „Sie sind Abgeordnet­er der Regierungs­koalition?“– „Si.“

Also warum hatte San Marino die meisten Corona-Toten der Welt? Da waren einige Faktoren, die Nähe schwer getroffene­r italienisc­her Regionen plus eine ausgeprägt­e Überalteru­ng mit der angeblich höchsten Lebenserwa­rtung für Männer. Hauptsächl­ich war da aber ein Unglück, ganz zu Beginn: In einem Cafe´ in Domagnano, bei den formlosen Häusern unten, trafen sich betagte Freunde wie immer zum Kartenspie­len. Sie alle steckten einander an.

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