„Immunonkologie – Gestern, Heute, Morgen“
Über das Potenzial der innovativen Therapieform, die seit Jahren Revolutionäres bei der Behandlung von Krebs vollbringt, und die Herausforderungen, die sich für das Gesundheitssystem ergeben.
Die Onkologie wurde vom Praevenire-Gesundheitsforum von Anfang an als eines der wesentlichsten Felder für die Frage der Sicherstellung der zukünftigen solidarischen Versorgung der Österreicher betrachtet. Vor dem Hintergrund sich verstärkender Trends wie der demografischen Veränderung mit steigenden Inzidenzraten von Krebs wird dabei seit Jahren der Fokus auf jene erfreulichen medizinwissenschaftlichen Fortschritte gelenkt, die mit neuartigen und innovativen Therapien die Hoffnungen von Erkrankten stärken.
Im Mittelpunkt steht die Immuntherapie, die als eine mögliche Revolution in der Behandlung von Krebs gehandelt wird. Ausgehend von der Melanom-Behandlung und von dort ausgreifend auf weitere Therapiefelder, insbesondere Lungenkrebs, sind immunonkologische Therapien bzw. Krebsimmuntherapien seit rund fünf Jahren aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Das Praevenire-Gipfelgespräch in Seitenstetten zum Thema „Immunonkologie – Gestern, Heute, Morgen“nahm dies zum Anlass, diese Therapieformen in Bezug auf das im Jahr 2017 verfasste „Seitenstettener Manifest zur zukünftigen onkologischen Versorgung“genauer unter die Lupe zu nehmen. In einer hochkarätig besetzten Expertenrunde wurde darüber diskutiert, über welches Potenzial die Immunonkologie verfügt, aber auch welche Herausforderung innovative Therapieformen für das Gesundheitssystem darstellen.
Hohe Erwartungen erfüllt
Konkret wurden unter anderem bisherige Studienergebnisse zum klinischen Alltag erläutert, die Chancen der Immunonkologie in unterschiedlichen Therapiefeldern besprochen, die notwendigen Kooperationen zwischen intra- und extramuralem Bereich thematisiert sowie die Schwierigkeiten bei einer österreichweiten Datenerfassung und einer länderübergreifenden Therapie für Patienten aufs Tapet gebracht. „Die Immunonkologie hat ein massives Spektrum an Möglichkeiten entwickelt. Allein die Verfügbarkeit solcher Medikamente hat zu einem Boost in der Forschung geführt, um die Interaktion zwischen Tumor und Abwehr noch besser zu verstehen. Dadurch entwickeln sich immer neue Szenarien, Instrumente, Zielstrukturen und eine Verstärkung der Wirkmechanismen“, sagt Richard Greil, Klinikvorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin III an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg.
Mut machen dabei jüngste Studienergebnisse. Demnach zeigt sich, dass die Immuntherapie, im Vergleich zu bisherigen Standardtherapien, neben längerem Überleben auch höheres und länger andauerndes Ansprechen und verbesserte Lebensqualität für die Patienten bringt. So sprechen bis zu 69 Prozent der Behandelten auf die Therapie an. Das Ansprechen kann laut Studien über 66 Monate anhalten. Im Median überleben Patienten trotz fortgeschrittener oder metastasierter Tumorerkrankung bis über 30 Monate.
Grundsätzlich hat sich laut Greil im klinischen Alltag gezeigt, dass die Wirkung der Medikamente den hohen Erwartungen entspricht. In der praktischen Erfahrung kristallisieren sich dabei auch einige überraschende Phänomene heraus: „Zum Beispiel hat sich unsere ursprüngliche Annahme, dass vorbestehende Autoimmunerkrankungen eine absolute Kontraindikation bedeuten könnte, nicht bestätigt.“
Outcome erheblich verbessert
„Die ersten Daten über die Wirksamkeit waren zur Behandlung bei Melanomen und die waren großartig, ebenso beim Bronchuskarzinom“, betont Birgit Grünberger, Leiterin der Abteilung Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie am Landesklinikum Wiener Neustadt. Bei anderen Tumoren war es hingegen nicht 1:1 übertragbar.
„Deshalb müssen wir noch mehr Erfahrungen sammeln. Die Forschungsschwerpunkte ziehen sich von den Tumorarten über die verschiedenen Stadien. Es wird aber auch im Umfeld viel geforscht.
So entdeckte man erst kürzlich, dass sich Antibiotika oder der häufig verschriebene Magenschutz negativ auf die Immuntherapie auswirken“, so Grünberger. Das Thema der weiterführenden Forschung greift auch Georg Pall, Leiter der Onkologischen Ambulanz der Universitätsklinik für Innere Medizin V in Innsbruck, auf: „Die Schwerpunkte gehen aus meiner Sicht in Richtung Kombinationstherapie. Durch Kombinationspartner versucht man die Wirksamkeit weiter zu steigern, oder auf andere Erkrankungen auszudehnen. Es geht auch um die Suche nach mehr Treffsicherheit, etwa um die Frage: Welche Biomarker sind in der Lage, uns besser zu leiten? Welche Patienten profitieren davon tatsächlich mehr?“Dies sei auch im Hinblick auf die Kosteneffizienz ein entscheidendes Thema.
Generell sieht der Tiroler Onkologe die Immuntherapie im Bereich des Bronchuskarzinoms als absoluten Gamechanger. „Die Verheißungen waren groß und die haben sich auf diesem Sektor absolut bewahrheitet. Wir behandeln auf einem anderen Level und der Outcome hat sich wesentlich verbessert.“Es sei laut Pall allerdings festzuhalten, dass die Immunonkologie kein Allheilmittel für alle Tumorerkrankungen ist.
Register gewünscht
„Wir können viele Patienten in Studien einschließen und so Daten erfassen“, sagt Maximilian Hochmair vom Klinikum Floridsdorf und Arbeitskreisleiter Pneumologische Onkologie der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie. Für ein österreichweites Register aller Lungenkrebspatienten fehlt allerdings das Geld. Entstanden sind Bundeslandlösungen. So sammelt beispielsweise Niederösterreich Daten, ebenso baut Tirol ein Landesregister und Wien startet mit einer Registerlösung im November 2020, in das auch Krankenanstalten aus Oberösterreich und der Steiermark integriert werden sollen.
„In der Erfassung der Daten sind wir im Gegensatz zu Deutschland oder Italien sicher im Hintertreffen“, so Hochmair. Oft scheitere es am Datenschutz. „So ein Register wird aber von Seiten der Patienten durchaus gewünscht, da sie sich dadurch positive Effekte erhoffen“, weiß Franz Buchberger, ehemals betroffener Patient. Dass Föderalismus, Politik und Datenschutz bei der Erfassung hinderlich sind, sei aus Patientensicht nicht verständlich.
Einbeziehung der Hausärzte
Wünschenswert ist laut Experten ebenfalls eine möglichst ideale Einbeziehung der Hausärzte in die onkologische Behandlung. „Ein guter Austausch ist wichtig, da Hausärzte zum Beispiel Begleiterkrankungen der Patienten behandeln, wenn diese wieder daheim sind“, betont Reinhold Glehr, Allgemeinmediziner aus Hartberg, der diesbezüglich auf positive Erfahrungen verweisen kann. „Bei mir sind die nächsten onkologischen Zentren von meiner Praxis rund 35 bzw. 65 Kilometer entfernt und die Einbindung der Hausärzte findet durchaus statt. Ich würde mir aber gerade bei innovativen Therapien mehr Informationsmaterial wünschen, um rascher in Erfahrung zu bringen, wo Punkte sind, auf die man achten soll“, so Glehr.
„Die Kooperation und Interaktion auf der Ebene der einzelnen Zentren und Experten funktioniert sehr gut“, findet auch Bernhard Rupp, Leiter der Fachabteilung Gesundheitswesen in der AK Niederösterreich, der allerdings auf der politischen Seite noch einiges an Optimierungspotenzial ortet: „Was wir bräuchten, wäre die Integration der politischen Entscheidungsebene. Und es gilt, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen auszuarbeiten, um Sicherheit sowohl für die behandelnden Ärzte als auch für die Patienten zu schaffen – im Sinne von Antworten auf die derzeit offenen Fragen der intra- und extramuralen Behandlung sowie der Aufhebung der Unterschiede in den Bundesländern.“
Österreichweite Regeln
Wie optimierungswürdig die länderspezifische Situation ist, weiß Silvia Bodi, Leiterin der Abteilung Strategie und Qualität Medizin der NÖ Landesgesundheitsagentur. So ist etwa das Thema der inländischen Gastpatienten österreichweit nicht einheitlich geregelt. „Es kommt vor, dass in manchen Häusern Patienten aus anderen Bundesländern nicht behandelt werden oder eine Behandlung nur gestartet wird, diese dann aber im Heimatbundesland fertig therapiert werden muss“, so Bodi. Selbst wenn das nicht für jedes Bundesland gilt – im Klinikum Floridsdorf werden zum Beispiel auch niederösterreichische Patienten behandelt, sofern es für sie das beste und wohnortnäheste Behandlungszentrum ist –, sei dies ein Thema, das man sich laut Experten im Rahmen des Finanzausgleichs genauer ansehen müsse. Von Unterschieden beim Zugang zu Therapien berichtet auch Georg Pall: „Es ist schon skurril, dass Patienten bestimmte Therapien in einem Bundesland bekommen und in anderen nicht.“Wobei, so Birgit Grünberger, positiv hervorzustreichen ist, dass sich Experten länderübergreifend sehr gut kennen und es auf diesem Weg zu einem guten und intensiven Austausch – insbesondere bei schwierigen Krankheitsbildern – kommt.