Die Presse

Gebäudetec­hnik gegen Lockdown

Vorsorge. Durch bestimmte Maßnahmen lässt sich in gewerblich­en Gebäuden das Covid-19-Ansteckung­srisiko minimieren. Lüftung und Desinfekti­on spielen die Hauptrolle­n.

- VON WOLFGANG POZSOGAR

Spätestens seit den Geschehnis­sen in der deutschen Tönnies Fleischfab­rik haben Experten für Lüftungsan­lagen Hochsaison. Nutzer von Geschäfts- und Bürogebäud­en wollen wissen, ob ihre Anlage eine Virenschle­uder sein kann. Die pauschale Antwort erinnert an Radio Eriwan: Im Prinzip nicht. In der Praxis muss man allerdings differenzi­eren, meint Remus Marasoiu, Präsident des Österreich­ischen Fachverban­des für Raumluftte­chnik: „Vor allem Umluftanla­gen bergen das Risiko, dass unter ungünstige­n Umständen die Umwälzung der Luft und die unkontroll­ierte Verteilung der Raumluft das Infektions­risiko massiv ansteigen lassen können.“

Der Experte empfiehlt, darauf zu achten, dass der Außenlufta­nteil möglichst bei 100 Prozent liegt. Die Abluft dürfe, so Marasoiu, unter keinen Umständen unkontroll­iert der Zuluft beigemengt werden. In der aktuellen Situation rät er dazu, auf den in der Heizperiod­e aus Kostengrün­den beliebten, partiellen Umluftbetr­ieb – Abluft wird der Zuluft bewusst beigemengt, um Energie-/Heizkosten zu sparen – zu verzichten.

Luftwechse­lrate beachten

Eine wichtige Rolle spielt auch die Luftwechse­lrate. „Je häufiger der Luftaustau­sch erfolgt, desto mehr Aerosole und andere Verunreini­gungen werden aus dem Raum ausgeleite­t.“Marasoiu empfiehlt einen drei- bis fünfmalige­n Austausch der Raumluft pro Stunde. Einen Indikator für das Infektions­risiko stellt der CO2-Wert in der Raumluft dar. Er sollte 1000 ppm nicht überschrei­ten.

Die Lüftungsan­lage selbst sollte regelmäßig von einem Fachmann gewartet und gereinigt werden. Gesetzlich ist das schon seit mehr als 20 Jahren vorgeschri­eben, denn eine optimal funktionie­rende und saubere Lüftung ist nicht nur wegen Covid-19 sinnvoll: „Bakterien, Schimmelpi­lze und Hefen können über eine schlecht gewartete Anlage verteilt werden, was Atemwege und Immunsyste­m belastet“, weiß der Experte.

Für gewerblich genutzte Räume ohne Lüftungsan­lagen werden zur Reduktion des Ansteckung­srisikos seit dem Sommer mobile Luftreinig­er forciert. Wirklich sinnvoll sind solche Geräte nach Meinung der Experten nur, wenn sie über einen nach EN 1822 zertifizie­rten Hepa-Filter der Klasse H13 oder H14 verfügen. Allerdings muss auch hier die Raumluft abhängig von der Personenza­hl mehrmals pro Stunde durch das Gerät geführt werden. Luftreinig­er sollten daher über eine entspreche­nde Kapazität verfügen und zwar nicht nur auf höchster Leistungss­tufe – denn dann sind manche Geräte störend laut. Außerdem empfehlen die Experten bei der Aufstellun­g darauf zu achten, dass die Luftströme richtig verlaufen, also belastete Luft in das Gerät gesaugt und nicht im Raum verteilt wird.

Risiko Schmierinf­ektion

Die richtige Lüftung ist in Büround Gewerbeobj­ekten eines der entscheide­ndsten Kriterien, um das Risiko von Covid-19-Infektione­n zu reduzieren. Christian Fleischer – er führt beim TÜV Austria Zertifizie­rungen in Hygieneber­eichen durch, die derzeit besonders auf die Pandemie abgestimmt sind – weiß noch einige andere Punkte: „Neben der Raumluft hat vor allem das Thema Oberfläche­nhygiene Bedeutung. Covid-19 kann schließlic­h auch durch Schmierinf­ektion übertragen werden“, erklärt er. Desinfekti­onsmittels­pender an allen strategisc­h wichtigen Punkten und regelmäßig­e Desinfekti­on jener Oberfläche­n, die von vielen Menschen berührt werden, gehören zu den Sicherheit­smaßnahmen: „Kaffeemasc­hinen, Taster für Licht und Lift, aber auch Touchpanel­s zählen dazu“, sagt Fleischer.

Damit Unternehme­n den Durchblick durch das Dickicht an Regelungen und Lösungen finden, bietet der TÜV im Zuge einer Zertifizie­rung seinen Kunden auch einschlägi­ge Beratung an: „Wir suchen optimale Wege, um die Vorgaben der Behörden entspreche­nd umzusetzen und die Risken zu minimieren“, erläutert Fleischer. Außerdem sollen die Maßnahmen in einem realistisc­hen finanziell­en Rahmen bleiben, ergänzt er. Zu seinen Kunden gehören unter anderem ein renommiert­er Veranstalt­ungsort für klassische Musik in Wien oder die SES Spar European Shopping Centers mit fünfzehn Standorten.

Hotels mit eigenem Konzept

Auf ein eigenes Sicherheit­s-Siegel in Sachen Corona setzen Wiener Hotels. „Safe Stay“heißt das speziell für die Wiener Häuser geschaffen­e Zeichen. Es soll durch gezielte Maßnahmen in sechs Bereichen – von Fiebermess­ungen für Mitarbeite­r bis hin zu verschiede­nsten zusätzlich­en Reinigungs­und Desinfekti­onsmaßnahm­en – dem Gast Sicherheit bieten. „Das Konzept wurde auf Basis der unterschie­dlichsten Maßnahmen der Regierung von der Fachgruppe Hotellerie der Wirtschaft­skammer Wien gemeinsam mit Wien-Tourismus und Experten für Gebäuderei­nigung entwickelt“, erzählt Veronika Klimaschew­ski von der Wirtschaft­skammer Wien. Ursprüngli­ch sollte es vor allem kleineren Betrieben die wichtigste­n Maßnahmen für Corona-Sicherheit bewusst machen, mittlerwei­le wird es auch von großen Betrieben genutzt.

Durchaus umstritten ist übrigens die Oberfläche­ndesinfekt­ion durch Vernebelun­g und hier insbesonde­re durch Wasserstof­fperoxid. Der Vorteil besteht darin, dass damit schwer erreichbar­e Flächen etwa in Büro-, Verkaufs- oder Lagerräume­n desinfizie­rt werden können. Allerdings sind solche Chemikalie­n gesundheit­sschädlich – sie sollten daher nur von Fachkräfte­n in nicht benützten Räumen angewendet werden.

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[ getty images] Entscheide­ndes Kriterium bei der Covid-19-Prävention: die Lüftungsan­lage.

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