Gebäudetechnik gegen Lockdown
Vorsorge. Durch bestimmte Maßnahmen lässt sich in gewerblichen Gebäuden das Covid-19-Ansteckungsrisiko minimieren. Lüftung und Desinfektion spielen die Hauptrollen.
Spätestens seit den Geschehnissen in der deutschen Tönnies Fleischfabrik haben Experten für Lüftungsanlagen Hochsaison. Nutzer von Geschäfts- und Bürogebäuden wollen wissen, ob ihre Anlage eine Virenschleuder sein kann. Die pauschale Antwort erinnert an Radio Eriwan: Im Prinzip nicht. In der Praxis muss man allerdings differenzieren, meint Remus Marasoiu, Präsident des Österreichischen Fachverbandes für Raumlufttechnik: „Vor allem Umluftanlagen bergen das Risiko, dass unter ungünstigen Umständen die Umwälzung der Luft und die unkontrollierte Verteilung der Raumluft das Infektionsrisiko massiv ansteigen lassen können.“
Der Experte empfiehlt, darauf zu achten, dass der Außenluftanteil möglichst bei 100 Prozent liegt. Die Abluft dürfe, so Marasoiu, unter keinen Umständen unkontrolliert der Zuluft beigemengt werden. In der aktuellen Situation rät er dazu, auf den in der Heizperiode aus Kostengründen beliebten, partiellen Umluftbetrieb – Abluft wird der Zuluft bewusst beigemengt, um Energie-/Heizkosten zu sparen – zu verzichten.
Luftwechselrate beachten
Eine wichtige Rolle spielt auch die Luftwechselrate. „Je häufiger der Luftaustausch erfolgt, desto mehr Aerosole und andere Verunreinigungen werden aus dem Raum ausgeleitet.“Marasoiu empfiehlt einen drei- bis fünfmaligen Austausch der Raumluft pro Stunde. Einen Indikator für das Infektionsrisiko stellt der CO2-Wert in der Raumluft dar. Er sollte 1000 ppm nicht überschreiten.
Die Lüftungsanlage selbst sollte regelmäßig von einem Fachmann gewartet und gereinigt werden. Gesetzlich ist das schon seit mehr als 20 Jahren vorgeschrieben, denn eine optimal funktionierende und saubere Lüftung ist nicht nur wegen Covid-19 sinnvoll: „Bakterien, Schimmelpilze und Hefen können über eine schlecht gewartete Anlage verteilt werden, was Atemwege und Immunsystem belastet“, weiß der Experte.
Für gewerblich genutzte Räume ohne Lüftungsanlagen werden zur Reduktion des Ansteckungsrisikos seit dem Sommer mobile Luftreiniger forciert. Wirklich sinnvoll sind solche Geräte nach Meinung der Experten nur, wenn sie über einen nach EN 1822 zertifizierten Hepa-Filter der Klasse H13 oder H14 verfügen. Allerdings muss auch hier die Raumluft abhängig von der Personenzahl mehrmals pro Stunde durch das Gerät geführt werden. Luftreiniger sollten daher über eine entsprechende Kapazität verfügen und zwar nicht nur auf höchster Leistungsstufe – denn dann sind manche Geräte störend laut. Außerdem empfehlen die Experten bei der Aufstellung darauf zu achten, dass die Luftströme richtig verlaufen, also belastete Luft in das Gerät gesaugt und nicht im Raum verteilt wird.
Risiko Schmierinfektion
Die richtige Lüftung ist in Büround Gewerbeobjekten eines der entscheidendsten Kriterien, um das Risiko von Covid-19-Infektionen zu reduzieren. Christian Fleischer – er führt beim TÜV Austria Zertifizierungen in Hygienebereichen durch, die derzeit besonders auf die Pandemie abgestimmt sind – weiß noch einige andere Punkte: „Neben der Raumluft hat vor allem das Thema Oberflächenhygiene Bedeutung. Covid-19 kann schließlich auch durch Schmierinfektion übertragen werden“, erklärt er. Desinfektionsmittelspender an allen strategisch wichtigen Punkten und regelmäßige Desinfektion jener Oberflächen, die von vielen Menschen berührt werden, gehören zu den Sicherheitsmaßnahmen: „Kaffeemaschinen, Taster für Licht und Lift, aber auch Touchpanels zählen dazu“, sagt Fleischer.
Damit Unternehmen den Durchblick durch das Dickicht an Regelungen und Lösungen finden, bietet der TÜV im Zuge einer Zertifizierung seinen Kunden auch einschlägige Beratung an: „Wir suchen optimale Wege, um die Vorgaben der Behörden entsprechend umzusetzen und die Risken zu minimieren“, erläutert Fleischer. Außerdem sollen die Maßnahmen in einem realistischen finanziellen Rahmen bleiben, ergänzt er. Zu seinen Kunden gehören unter anderem ein renommierter Veranstaltungsort für klassische Musik in Wien oder die SES Spar European Shopping Centers mit fünfzehn Standorten.
Hotels mit eigenem Konzept
Auf ein eigenes Sicherheits-Siegel in Sachen Corona setzen Wiener Hotels. „Safe Stay“heißt das speziell für die Wiener Häuser geschaffene Zeichen. Es soll durch gezielte Maßnahmen in sechs Bereichen – von Fiebermessungen für Mitarbeiter bis hin zu verschiedensten zusätzlichen Reinigungsund Desinfektionsmaßnahmen – dem Gast Sicherheit bieten. „Das Konzept wurde auf Basis der unterschiedlichsten Maßnahmen der Regierung von der Fachgruppe Hotellerie der Wirtschaftskammer Wien gemeinsam mit Wien-Tourismus und Experten für Gebäudereinigung entwickelt“, erzählt Veronika Klimaschewski von der Wirtschaftskammer Wien. Ursprünglich sollte es vor allem kleineren Betrieben die wichtigsten Maßnahmen für Corona-Sicherheit bewusst machen, mittlerweile wird es auch von großen Betrieben genutzt.
Durchaus umstritten ist übrigens die Oberflächendesinfektion durch Vernebelung und hier insbesondere durch Wasserstoffperoxid. Der Vorteil besteht darin, dass damit schwer erreichbare Flächen etwa in Büro-, Verkaufs- oder Lagerräumen desinfiziert werden können. Allerdings sind solche Chemikalien gesundheitsschädlich – sie sollten daher nur von Fachkräften in nicht benützten Räumen angewendet werden.