„Kann das schon alles gewesen sein?“
Porträt. In der Personalbranche kennt man Hannes Gsellmann als versierten Berater. Jetzt wechselt er überraschend in die Pharmaindustrie. In seiner Geschichte stecken Denkanstöße.
Es war im März, in den ersten Tagen des Lockdown. Alle Personalprojekte, an denen BDO-Partner Hannes Gsellmann (54) eben noch gearbeitet hatte, lagen auf Eis, „ich hätte Panik bekommen können“. Stattdessen empfand er ein Glücksgefühl, „jeden Tag im eigenen Bett aufzuwachen, mit meiner Frau abendzuessen, zwischendurch in den Garten zu gehen.“Er kannte das nicht. Davor wachte er in täglich wechselnden Hotelbetten auf und überlegte, wo er wohl gerade war.
Plötzlich stand da diese Frage im Raum: „Kann das schon alles gewesen sein?“25 Jahre Executive Search, Development & Diagnostics. Und sonst?
Wegbegleiter, die Gsellmann kennen, beschreiben ihn als „g’spürigen“Bauchmenschen, als einen, der sich auf seine Intuition verlassen kann. Und auf sein Netzwerk. Das, wie er schwört, „nicht aus Social-Media-Kontakten besteht, sondern aus echten Menschen.“Aus Menschen nach seinem Bauchgefühl.
Ein paar dieser Menschen vertraute er sich an. Eine war die Recruiterin des Pharmakonzerns Takeda. Sie stutzte, dachte kurz nach und rückte dann ein Angebot heraus, das ihn staunen ließ: Leiter der zwölf Plasmazentren, die Takeda unter dem Namen BioLife betreibt.
Völlig ohne Fachwissen? Davon habe man genug, kam die Antwort. Man suche eine Führungskraft, eine wie ihn. Das Suchinserat, das sie Gsellmann nachschickte, hätte er nie auf sich bezogen. Nichts davon konnte er – außer Teams zusammenzuschweißen und zu leiten. Das ist ab Jänner sein neuer Job.
Sprung auf die Metaebene
In dieser Episode stecken drei Denkanstöße. Erstens, viele Menschen befinden sich gerade auf Jobsuche, aus gekündigter oder gesicherter Position. Wer sucht, denkt üblicherweise linear: dasselbe, nur eine Sprosse höher, vom Product- zum Marketing Manager etwa. Man ist fokussiert und blind dafür, was sich links und rechts auftut. Leider sehen das auch Recruiter nicht. Gsellmann beschreibt das klischeehafte Management-Suchprofil: „45 Jahre, gepflegtes Auftreten, läuft regelmäßig Marathons.“Mit seinen 54 Jahren wäre er „quasi unvermittelbar“. Aber: „Das Augenscheinliche ist nicht immer das Einzige.“Jetzt freut er sich auf das Abenteuer, das Neue, das Unbekannte, das vor ihm liegt. Man wachse nur, wenn man aufhöre, mehr vom Gleichen zu suchen.
Zweiter Denkanstoß, die Sinnsuche. Warum mache ich eigentlich, was ich jeden Tag mache? Jahrzehntelang hatte Gsellmann die Beratung geliebt: „Ein Lernfeld ohne Ende. Ich konnte jede Frage stellen, alles, was mich interessiert. In jeder Branche.“
Doch Menschen entwickeln sich. Nach 25 Jahren nagte es an ihm, Dinge nur anstoßen und nie bis zum Ende durchziehen zu können. Künftig, in seinen Plasmazentren, wird er das können: „Ich will zeigen, dass ich das, was ich 25 Jahre empfohlen habe, auch praktisch anwenden kann.“Aktuell büffelt er die Plasmapherese. Erklären kann er sie schon: „Den Prozess, Blut in seine Bestandteile zu zerlegen. Blutkörperchen und -plättchen fließen in den Körper zurück, aus den Eiweißen werden Medikamente gemacht, die man nicht synthetisch herstellen kann.“Kranken Menschen rette dies das
Leben, „deshalb darf der Plasmastrom nie abreißen“. Das ist seine neue Mission.
Dritter Denkanstoß: das Vertrauen, dass scheinbar irrelevante Zufälle zum Guten führen. 1990, als Student kurz vor dem Abschluss, jobbte Gsellmann bei Sanitärkeramik Öspag (später Laufen Austria). Seine Aufgabe war es, Waschbecken zum Ofen zu heben. Eines Tages rief ihn der Werksleiter. „In kurzer Hose und mit verschwitztem Leiberl“stand er da und fragte, „ob ich etwas angestellt habe“. Im Gegenteil, sagte der Werksleiter, der Personalchef war jüngst verstorben, das Lohnbüro verwaist. Er studiere doch Personalwesen, ob er nicht übernehmen könne? Die nächsten fünf Jahre war Gsellmann Personalchef: „Am Anfang konnte ich nicht einmal das Fax bedienen.“
Alles, was später kam: Empfehlungen, Zufälle, Bauchgefühl. Auf das zu hören rät er jedem Jobsuchenden. Und offen zu sein für das Unübliche.