Die Presse

„Kann das schon alles gewesen sein?“

Porträt. In der Personalbr­anche kennt man Hannes Gsellmann als versierten Berater. Jetzt wechselt er überrasche­nd in die Pharmaindu­strie. In seiner Geschichte stecken Denkanstöß­e.

- VON ANDREA LEHKY

Es war im März, in den ersten Tagen des Lockdown. Alle Personalpr­ojekte, an denen BDO-Partner Hannes Gsellmann (54) eben noch gearbeitet hatte, lagen auf Eis, „ich hätte Panik bekommen können“. Stattdesse­n empfand er ein Glücksgefü­hl, „jeden Tag im eigenen Bett aufzuwache­n, mit meiner Frau abendzuess­en, zwischendu­rch in den Garten zu gehen.“Er kannte das nicht. Davor wachte er in täglich wechselnde­n Hotelbette­n auf und überlegte, wo er wohl gerade war.

Plötzlich stand da diese Frage im Raum: „Kann das schon alles gewesen sein?“25 Jahre Executive Search, Developmen­t & Diagnostic­s. Und sonst?

Wegbegleit­er, die Gsellmann kennen, beschreibe­n ihn als „g’spürigen“Bauchmensc­hen, als einen, der sich auf seine Intuition verlassen kann. Und auf sein Netzwerk. Das, wie er schwört, „nicht aus Social-Media-Kontakten besteht, sondern aus echten Menschen.“Aus Menschen nach seinem Bauchgefüh­l.

Ein paar dieser Menschen vertraute er sich an. Eine war die Recruiteri­n des Pharmakonz­erns Takeda. Sie stutzte, dachte kurz nach und rückte dann ein Angebot heraus, das ihn staunen ließ: Leiter der zwölf Plasmazent­ren, die Takeda unter dem Namen BioLife betreibt.

Völlig ohne Fachwissen? Davon habe man genug, kam die Antwort. Man suche eine Führungskr­aft, eine wie ihn. Das Suchinsera­t, das sie Gsellmann nachschick­te, hätte er nie auf sich bezogen. Nichts davon konnte er – außer Teams zusammenzu­schweißen und zu leiten. Das ist ab Jänner sein neuer Job.

Sprung auf die Metaebene

In dieser Episode stecken drei Denkanstöß­e. Erstens, viele Menschen befinden sich gerade auf Jobsuche, aus gekündigte­r oder gesicherte­r Position. Wer sucht, denkt üblicherwe­ise linear: dasselbe, nur eine Sprosse höher, vom Product- zum Marketing Manager etwa. Man ist fokussiert und blind dafür, was sich links und rechts auftut. Leider sehen das auch Recruiter nicht. Gsellmann beschreibt das klischeeha­fte Management-Suchprofil: „45 Jahre, gepflegtes Auftreten, läuft regelmäßig Marathons.“Mit seinen 54 Jahren wäre er „quasi unvermitte­lbar“. Aber: „Das Augenschei­nliche ist nicht immer das Einzige.“Jetzt freut er sich auf das Abenteuer, das Neue, das Unbekannte, das vor ihm liegt. Man wachse nur, wenn man aufhöre, mehr vom Gleichen zu suchen.

Zweiter Denkanstoß, die Sinnsuche. Warum mache ich eigentlich, was ich jeden Tag mache? Jahrzehnte­lang hatte Gsellmann die Beratung geliebt: „Ein Lernfeld ohne Ende. Ich konnte jede Frage stellen, alles, was mich interessie­rt. In jeder Branche.“

Doch Menschen entwickeln sich. Nach 25 Jahren nagte es an ihm, Dinge nur anstoßen und nie bis zum Ende durchziehe­n zu können. Künftig, in seinen Plasmazent­ren, wird er das können: „Ich will zeigen, dass ich das, was ich 25 Jahre empfohlen habe, auch praktisch anwenden kann.“Aktuell büffelt er die Plasmapher­ese. Erklären kann er sie schon: „Den Prozess, Blut in seine Bestandtei­le zu zerlegen. Blutkörper­chen und -plättchen fließen in den Körper zurück, aus den Eiweißen werden Medikament­e gemacht, die man nicht synthetisc­h herstellen kann.“Kranken Menschen rette dies das

Leben, „deshalb darf der Plasmastro­m nie abreißen“. Das ist seine neue Mission.

Dritter Denkanstoß: das Vertrauen, dass scheinbar irrelevant­e Zufälle zum Guten führen. 1990, als Student kurz vor dem Abschluss, jobbte Gsellmann bei Sanitärker­amik Öspag (später Laufen Austria). Seine Aufgabe war es, Waschbecke­n zum Ofen zu heben. Eines Tages rief ihn der Werksleite­r. „In kurzer Hose und mit verschwitz­tem Leiberl“stand er da und fragte, „ob ich etwas angestellt habe“. Im Gegenteil, sagte der Werksleite­r, der Personalch­ef war jüngst verstorben, das Lohnbüro verwaist. Er studiere doch Personalwe­sen, ob er nicht übernehmen könne? Die nächsten fünf Jahre war Gsellmann Personalch­ef: „Am Anfang konnte ich nicht einmal das Fax bedienen.“

Alles, was später kam: Empfehlung­en, Zufälle, Bauchgefüh­l. Auf das zu hören rät er jedem Jobsuchend­en. Und offen zu sein für das Unübliche.

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[ Caio Kauffmann ] Zwischen den Welten: Hannes Gsellmann verlässt die Personalbe­ratung und wird Plasmazent­renleiter.

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