Linker Flügel begehrt auf gegen Biden
USA. Der President-elect wird für seine Personalauswahl kritisiert – nicht nur von Republikanern. Bei den Demokraten zeichnet sich ein Machtkampf ab.
Der progressive Flügel der US-Demokraten um Alexandria Ocasio-Cortez will stärker beteiligt werden.
Wien/Washington. Donald Trump hat die Demokratische Partei geeint. Bis zum Wahltag am 3. November. Seither liegen sich die demokratischen Vertreter in den Haaren. Es geht um Posten in der neuen Regierung des Wahlsiegers, Joe Biden; es geht um Einfluss auf seine Politik.
Und es geht um Deutungshoheit, um die Frage, wer daran schuld ist, dass die Demokraten bei der Wahl zwar den Präsidentenposten gewinnen konnten, und das mit einem historisch guten Ergebnis – aber alles in allem Sitze im Kongress verloren haben. Den erhofften Triumph im Senat gab es ebenfalls nicht.
Der progressive Flügel unterstreicht seine erfolgreichen aktivistischen Wahlwerbeinitiativen, etwa in Arizona. Der Bundesstaat stimmte das erste Mal seit 1996 für einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten.
Die Zentristen hingegen geben der Parteilinken die Schuld am Verlust der Abgeordnetensitze. Slogans wie „Defund the Police“– also: Entzieht der Polizei die Finanzmittel – hätten moderate Wähler abgeschreckt. „Sagt niemals wieder ,Sozialismus‘“, schimpfte etwa Abigail Spanberger, Kongressabgeordnete aus Virginia, bei einer internen Telefonkonferenz nach der Wahl. Sollte sich die Partei weiter nach links bewegen, würde sie bei der nächsten Wahl „auseinandergerissen“.
Sanders gegen Clinton
Worüber sich alle Beobachter einig sind: Donald Trump war das stärkste Motiv für die Wähler in den USA. Trump mobilisierte viele demokratische Wähler, die eine ablehnende Haltung gegenüber dem amtierenden Präsidenten einnehmen. Biden hatte im Wahlkampf eine Rückkehr zur Normalität versprochen: In seiner Präsidentschaft soll sich keiner mehr täglich wegen Politik aufregen müssen. Joe Biden gewann, weil er Joe Biden ist: Die Wähler hatten das Gefühl, zu wissen, was sie mit dem bodenständigen früheren Vizepräsidenten bekommen.
Versprochen hat Biden ein moderates und diverses Regierungsteam. Seine bisherigen Nominierungen, viele von ihnen Funktionäre und Berater aus der Präsidentschaft Barack Obamas, spiegeln diesen Anspruch wider. Auch frühere Mitarbeiter von Hillary Clinton sind darunter. Unter anderem Neera Tanden, aktuell
Chefin eines liberalen Thinktanks. Wie am Montag bekannt wurde, soll Tanden Chefin des Budgetbüros im Weißen Haus werden.
Biden hatte für den Posten zuvor einen anderen früheren Mitarbeiter der Clintons im Auge gehabt: Bruce Reed. Gegen ihn gab es aber Widerstand von den progressiven Kongressabgeordneten Ilhan Omar und Alexandria Ocasio-Cortez, der lautesten Vertreterin des linken Flügels. In Tanden sehen sie das geringere Übel. Andere Progressive macht Tanden aufgrund ihrer Verbindung zu Clinton nicht glücklich.
Während auch die Republikaner ihre Probleme mit Tanden haben – und ihr etwa polemische Aussagen auf Twitter vorwerfen –, zeigt der Konflikt um ihre Person, wie tief die Gräben innerhalb der Demokraten verlaufen. Es ist eine
Erinnerung daran, dass die Partei vor Bidens Wahlkampf gespalten war. Viel von diesem Ungemach hängt mit Senator Bernie Sanders zusammen. Während seiner Präsidentschaftskandidaturen 2016 und 2020 begeisterte und politisierte er viele junge Menschen, gleichzeitig polterte er aber auch gegen eine Clinton-Elite und das Partei-Establishment.
Probleme mit „Obamaworld“
Aus dem aktivistisch geprägten Sanders-Lager stammen auch Abgeordnete wie Ocasio-Cortez und Omar. Sie stellten sich 2020 letztlich hinter Biden, wohl aber mit dem Wunsch, in seiner Präsidentschaft mehr Einfluss zu erhalten. Bisher wurden ihre Rufe nach einer progressiven Beteiligung im Kabinett Bidens nicht erhört. Die Mehrheitsmeinung bei den Demokraten: Die laute, aktivistische Linke kostete die Partei Sitze.
Auch Berater-Veteranen aus der Ära Obamas schütteln die Köpfe über die Haltung des linken Lagers der Partei. Sie ärgern sich so wie Spanberger darüber, dass progressive Kandidaten das Wort „Sozialismus“zu oft in den Mund genommen haben. Die politischen Vorhaben der Linken – etwa die größere Rolle des Staates bei der Gesundheitsversorgung –, hätten nichts mit Sozialismus zu tun, sondern seien Realität in weiten Teilen der Welt, in Europa zum Beispiel, so das Argument. Anstatt darüber zu sprechen, schrecke man Wähler ab.
Auch der in Chicago beheimateten „Obamaworld“könnte aus dem linken Flügel noch Widerstand drohen. Denn als möglicher Verkehrsminister wird ein einflussreicher früherer Mitarbeiter Obamas gehandelt: Rahm Emanuel. Er hatte seine Karriere im Weißen Haus Bill Clintons gestartet. Später war er Stabschef Obamas, ehe er Bürgermeister von Chicago wurde. Emanuels Ansehen leidet aber unter anderem durch seinen Umgang mit dem Mordfall Laquan McDonald: Der schwarze 17-Jährige war 2014 in Chicago von einem Polizisten erschossen worden; der Stadt und Emanuel wurde im Zuge der Aufklärung von McDonalds Tod Vertuschung vorgeworfen.
Dieser Umstand kommt im Jahr der Ermordung George Floyds und des Sommers der „Black Lives Matter“–Proteste im Land bei der Parteilinken alles andere als gut an. Auch bei Emanuel ist es Ocasio-Cortez, die die Stimme für die Progressiven erhebt. Allein dass in Bidens Team über einen Posten für Emanuel nachgedacht werde, sei eine Schande, schrieb die Abgeordnete auf Twitter.
Bidens Kabinettsauswahl muss übrigens nicht nur der innerparteilichen Debatte standhalten, sondern möglicherweise auch den Republikanern im Senat. Wer dort die Mehrheit hält, wird erst im Jänner feststehen – nach zwei Stichwahlen in Georgia. Die Republikaner signalisieren schon jetzt, dass sie es Biden nicht leicht machen wollen. Neera Tanden könnte auch an ihnen scheitern.