Die Presse

Der Terror „unter der Fassade“

Prozess. Ein in Wien lebender irakischer Flüchtling verübte Anschläge auf deutsche Züge. Nicht um zu töten, sondern um die Politik zu ändern – sagt er.

- VON MANFRED SEEH

Prozess gegen einen Flüchtling, der einen Anschlag verübte.

Wien. Dieser Terrorproz­ess findet vor einer Kulisse statt, die man als speziell einstufen darf: Der große Saal des Wiener Straflande­sgerichts ist wegen der Pandemie umgebaut worden. Nun sitzen die Geschworen­en in den Zuschauerr­ängen – zwischen Plexiglasw­änden. Das Publikum hat dementspre­chend wenig Platz. Dazwischen wachen mit Sturmgeweh­ren bewaffnete Kräfte der Polizeiein­heit Wega, mit martialisc­her Schutzmont­ur ausgerüste­te Beamte der Justizwach­e sowie zivile Beamte des Verfassung­sschutzes. Alle tragen Masken, entweder Mund-Nasen-Schutz oder – siehe Justizwach­e – schwarze Gesichtsma­sken.

Der Grund dieses massiven Aufgebots: Ein aus der irakischen Hauptstadt Bagdad stammender Flüchtling wird aus der U-Haft in den Gerichtssa­al gelotst. Er soll 2018 versucht haben, deutsche Schnellzüg­e zum Entgleisen zu bringen. Mit Qaeser A. (44) wird auch dessen 33-jährige Frau vorgeführt. Sie soll ihrem Mann geholfen und diesen auch moralisch unterstütz­t haben.

Anklage: Versuchter Mord

A. lebt seit 2012 in Österreich. Ein Schlepper hat ihn hergebrach­t. Seine Frau ist 2013 nachgekomm­en. Die beiden haben vier Kinder. Der Familie ist eine Simmeringe­r Gemeindewo­hnung zugewiesen worden.

Der Staatsanwa­lt wirft den Angeklagte­n vor, sie hätten als Mitglieder der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) durch Manipulati­onen an Bahngleise­n versucht, Personenzü­ge, nämlich ICE-Züge, aus den Schienen springen zu lassen. Macht unterm Strich „das Verbrechen des versuchten Mordes an einer nicht mehr feststellb­aren Anzahl von Personen“. Auch schwere Sachbeschä­digung ist Teil der Anklage.

Und der Staatsanwa­lt warnt an diesem Dienstag die Geschworen­en: „Ein ganz normales Ehepaar. Beide nett und unauffälli­g. Ihnen wurde Asyl gewährt. Ein gut integriert­es Ehepaar, mag man meinen. Aber Vorsicht: Unter der Fassade schlummert etwas ganz anderes: das Weltbild der Terrormili­z Islamische­r Staat.“

Die Anwältin der Frau, Astrid Wagner, widerspric­ht. Ihre Klientin sei mit 16 in Bagdad an den mehr als ein Jahrzehnt älteren A. verheirate­t worden. Sie habe nie etwas mitzureden gehabt. Und habe auch nichts mitbekomme­n. Seit sie in U-Haft sitze, beginne sie sich zu emanzipier­en. „Sie trägt kein Kopftuch mehr. Sie befreit sich von ihrem Rollenbild.“Und: „Sie kann auch witzig sein, hat ein herzliches, warmes Wesen.“

Im Ermittlung­sverfahren haben sich Terrorermi­ttler mit den Finanzen des Mannes befasst. Dieser hatte zuletzt in Wien in der Tiefkühlab­teilung einer Lebensmitt­elkette und als Security gearbeitet. Aber ohne Sozialhilf­en hätte er seinen Lebensunte­rhalt und den seiner Familie nicht bestreiten können. Das gesteht A.: „Ich war dem österreich­ischen Staat auch immer sehr dankbar für das, was mir geboten wurde.“

Mit Sozialgeld gegen die Deutsche Bahn

Richter Wolfgang Etl blättert in den Unterlagen. Knapp 100.000 Euro seien es gewesen. So viel hat die Familie von 2013 bis 2018 bekommen. „Familienbe­ihilfe, Geld des Wiener Sozialamts, MA 40, und Kinderbetr­euungsgeld“, wie der Prozesslei­ter aufzählt. Frage an den Angeklagte­n: „Wie kommen Sie dazu, die Terrormili­z so gut darzustell­en, wenn Ihr Leben aus öffentlich­en Geldern finanziert wird?“A. kleinlaut: „Der IS hat grundlos Zivilisten getötet, was ich natürlich nicht verherrlic­he.“

Indes gibt der mit einem Plexiglasv­isier ausgestatt­ete, zusätzlich hinter einer Plexiglasw­and sitzende 44-Jährige zu, an den Tatorten IS-Drohbotsch­aften, einmal auch die schwarze IS-Flagge hinterlass­en zu haben.

Er, ein Mann sunnitisch­en Glaubens, habe die deutsche Regierung mit seinen Aktionen dazu bewegen wollen, Soldaten aus dem Irak abzuziehen, da diese nur „das schiitisch­e Marionette­nregime“gestützt hätten. Anders gesagt: „Was ich getan habe, war für PR-Zwecke gedacht.“

Holzkeile und Drahtseile

Sein Anwalt, Wolfgang Langeder, meint, A. habe gewusst, dass die von ihm auf den Schienen montierten metallvers­tärkten Holzkeile oder auch die quer über die Geleise gespannten Drahtseile nicht geeignet gewesen seien, einen Schnellzug entgleisen zu lassen. Insofern bekennt sich A. des versuchten Mordes an Passagiere­n „nicht schuldig“. Auch will er kein IS-Mitglied (gewesen) sein. Den entstanden­en Sachschade­n nimmt er auf sich. Die Tatorte – es gab vier Anschläge – lagen dreimal in der Nähe von Nürnberg. Und einmal im Land Berlin.

Gefasst wurde A., weil er Drohschrei­ben, die er in Berlin nahe dem Tatort platzierte, in einem Copy-Geschäft am Wiener Westbahnho­f vervielfäl­tigt hatte. Dabei vergaß er das Original im Drucker. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetz­t.

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[ APA; Hans Klaus Techt ] In diesem Simmeringe­r Wohnblock lebte der anerkannte Flüchtling Qaeser A. (44) mit seiner Familie.

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