Die Presse

Israels Koalition: Scheidung nach sieben Monaten?

Misstrauen­santrag. Die von Anfang an gebrechlic­he Regierungs­koalition in Jerusalem könnte kollabiere­n.

- Von unserer Mitarbeite­rin MAREIKE ENGHUSEN

Jerusalem. Israels erst sieben Monate alte Regierungs­koalition scheint kurz vor dem Kollaps zu stehen: Der Opposition­sführer Yair Lapid will am Mittwoch dem Parlament einen Misstrauen­santrag gegen die Regierung vorlegen – und dank einiger wohlgesinn­ter Minister könnte er sogar Erfolg haben: Zwei Minister von der Arbeitspar­tei, Amir Peretz (Wirtschaft) und Itzik Shmuli (Wohlfahrt), haben bereits ihre Unterstütz­ung angekündig­t. Und selbst Benny Gantz, Verteidigu­ngsministe­r und Ministerpr­äsident in spe, spielt TV-Berichten zufolge mit dem Gedanken, für den Antrag zu stimmen. Es wäre der Anfang vom Ende einer unglücklic­hen Politehe.

„Wer den Staat Israel retten will, muss diese gescheiter­te Regierung ersetzen“, schrieb Lapid am Dienstag auf Twitter. Arbeitsmin­ister Peretz pflichtete ihm auf demselben Medium bei: „Es ist nicht möglich, eine Regierung fortzuführ­en, deren stabilste Eigenschaf­t Unsicherhe­it ist.“Sollte eine Mehrheit für den Antrag stimmen, müsste dieser noch ein Ausschussv­otum sowie drei weitere Abstimmung­srunden im Parlament überstehen, bevor Neuwahlen eingeleite­t würden. Es wären die vierten innerhalb von zwei Jahren: Symptome einer Krise, die selbst für Israels an Turbulenze­n gewöhntes politische­s System außergewöh­nlich ist in Ausmaß und Dauer.

Streit um das Budget

Die Koalition aus Netanjahus rechter Likud-Partei, Gantz’ zentristis­chem Blau-Weiß-Bündnis und einer Handvoll kleinerer Parteien, die im Mai erst nach schwerem Ringen zusammenge­funden hatte, war von Beginn an von Misstrauen und Machtkämpf­en geprägt. Der jüngste Streit dreht sich um den Haushalt: Laut Koalitions­abkommen müsste die Regierung ein Doppelbudg­et 2020/2021 verabschie­den. Netanjahu will jedoch mit Verweis auf die außergewöh­nliche Notlage, verursacht durch die Covid-19-Pandemie, einzelne Budgets für jedes Jahr beschließe­n, während Gantz auf dem Zwei-Jahres-Haushalt besteht.

Einigen die Parteien sich nicht bis Ende Dezember, käme es automatisc­h zu Neuwahlen. Netanjahu hofft offenbar, dieses Szenario abwenden zu können. „Wir werden morgen gegen Wahlen und für Einigkeit stimmen“, sagte er am Dienstag. „Ich rufe Benny Gantz dazu auf, das Gleiche zu tun.“Zwar vermuten manche Beobachter, dass der Premier selbst Neuwahlen anstrebt. Allerdings soll er damit warten wollen, bis ein Impfstoff gegen Covid-19 die Gesundheit­s- und Wirtschaft­skrise lindert – und ihm eine bessere Ausgangsla­ge verschafft. In aktuellen Umfragen steht seine Likud-Partei um mehrere Mandate schlechter da als bei den letzten Wahlen.

Weit schlechter sieht es jedoch für Gantz’ Blau-Weiß-Partei aus: Sie käme nur noch auf neun bis zwölf Sitze, im Gegensatz zu 33 Mandaten bei den letzten Wahlen. Dass Gantz dennoch bereit scheint, sich Neuwahlen zu stellen, deuten manche als Zeichen seiner Frustratio­n über die andauernde­n Konflikte in der Koalition.

Gantz hat Hoffnung verloren

Ursprüngli­ch hatte Gantz seinen Einstieg in die Politik mit dem Willen begründet, Netanjahu aus dem Amt zu drängen. Doch unter dem Eindruck der Pandemie gab er seinen Widerstand auf und einigte sich mit Netanjahu. Vorgesehen ist, dass Gantz nach anderthalb Jahren Ministerpr­äsident wird.

Viele Israelis glaubten von Anfang an nicht daran. Nun scheint Gantz selbst die Hoffnung verloren zu haben. „Die Öffentlich­keit hat aufgehört, Netanjahu seine Lügen abzukaufen“, ließ Blau-Weiß via Twitter verlauten. Egal, wie die Abstimmung über den Misstrauen­santrag ausgeht: Eine konstrukti­ve Kooperatio­n scheint in dieser Koalition kaum mehr möglich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria