Israels Koalition: Scheidung nach sieben Monaten?
Misstrauensantrag. Die von Anfang an gebrechliche Regierungskoalition in Jerusalem könnte kollabieren.
Jerusalem. Israels erst sieben Monate alte Regierungskoalition scheint kurz vor dem Kollaps zu stehen: Der Oppositionsführer Yair Lapid will am Mittwoch dem Parlament einen Misstrauensantrag gegen die Regierung vorlegen – und dank einiger wohlgesinnter Minister könnte er sogar Erfolg haben: Zwei Minister von der Arbeitspartei, Amir Peretz (Wirtschaft) und Itzik Shmuli (Wohlfahrt), haben bereits ihre Unterstützung angekündigt. Und selbst Benny Gantz, Verteidigungsminister und Ministerpräsident in spe, spielt TV-Berichten zufolge mit dem Gedanken, für den Antrag zu stimmen. Es wäre der Anfang vom Ende einer unglücklichen Politehe.
„Wer den Staat Israel retten will, muss diese gescheiterte Regierung ersetzen“, schrieb Lapid am Dienstag auf Twitter. Arbeitsminister Peretz pflichtete ihm auf demselben Medium bei: „Es ist nicht möglich, eine Regierung fortzuführen, deren stabilste Eigenschaft Unsicherheit ist.“Sollte eine Mehrheit für den Antrag stimmen, müsste dieser noch ein Ausschussvotum sowie drei weitere Abstimmungsrunden im Parlament überstehen, bevor Neuwahlen eingeleitet würden. Es wären die vierten innerhalb von zwei Jahren: Symptome einer Krise, die selbst für Israels an Turbulenzen gewöhntes politisches System außergewöhnlich ist in Ausmaß und Dauer.
Streit um das Budget
Die Koalition aus Netanjahus rechter Likud-Partei, Gantz’ zentristischem Blau-Weiß-Bündnis und einer Handvoll kleinerer Parteien, die im Mai erst nach schwerem Ringen zusammengefunden hatte, war von Beginn an von Misstrauen und Machtkämpfen geprägt. Der jüngste Streit dreht sich um den Haushalt: Laut Koalitionsabkommen müsste die Regierung ein Doppelbudget 2020/2021 verabschieden. Netanjahu will jedoch mit Verweis auf die außergewöhnliche Notlage, verursacht durch die Covid-19-Pandemie, einzelne Budgets für jedes Jahr beschließen, während Gantz auf dem Zwei-Jahres-Haushalt besteht.
Einigen die Parteien sich nicht bis Ende Dezember, käme es automatisch zu Neuwahlen. Netanjahu hofft offenbar, dieses Szenario abwenden zu können. „Wir werden morgen gegen Wahlen und für Einigkeit stimmen“, sagte er am Dienstag. „Ich rufe Benny Gantz dazu auf, das Gleiche zu tun.“Zwar vermuten manche Beobachter, dass der Premier selbst Neuwahlen anstrebt. Allerdings soll er damit warten wollen, bis ein Impfstoff gegen Covid-19 die Gesundheits- und Wirtschaftskrise lindert – und ihm eine bessere Ausgangslage verschafft. In aktuellen Umfragen steht seine Likud-Partei um mehrere Mandate schlechter da als bei den letzten Wahlen.
Weit schlechter sieht es jedoch für Gantz’ Blau-Weiß-Partei aus: Sie käme nur noch auf neun bis zwölf Sitze, im Gegensatz zu 33 Mandaten bei den letzten Wahlen. Dass Gantz dennoch bereit scheint, sich Neuwahlen zu stellen, deuten manche als Zeichen seiner Frustration über die andauernden Konflikte in der Koalition.
Gantz hat Hoffnung verloren
Ursprünglich hatte Gantz seinen Einstieg in die Politik mit dem Willen begründet, Netanjahu aus dem Amt zu drängen. Doch unter dem Eindruck der Pandemie gab er seinen Widerstand auf und einigte sich mit Netanjahu. Vorgesehen ist, dass Gantz nach anderthalb Jahren Ministerpräsident wird.
Viele Israelis glaubten von Anfang an nicht daran. Nun scheint Gantz selbst die Hoffnung verloren zu haben. „Die Öffentlichkeit hat aufgehört, Netanjahu seine Lügen abzukaufen“, ließ Blau-Weiß via Twitter verlauten. Egal, wie die Abstimmung über den Misstrauensantrag ausgeht: Eine konstruktive Kooperation scheint in dieser Koalition kaum mehr möglich.