Kampf für Demokratie aus der Gefängniszelle
Hongkong. Joshua Wong wartet in Einzelhaft auf sein Urteil. Eine lange Gefängnisstrafe könnte der Demokratiebewegung den symbolischen Todesstoß versetzen. Doch der Aktivist gibt nicht auf und richtet einen mutigen Brief an die Außenwelt.
Peking. Für Joshua Wong ist die Gefängniszelle ein ständiger Begleiter, seit er als Aktivist gegen Chinas Staatsführung kämpft. Zum dritten Mal sitzt der 24-Jährige nun ein. Dieser Tage jedoch wurde gegen den Hongkonger Einzelhaft verhängt – eine traumatische Erfahrung, wie das führende Gesicht der Demokratiebewegung in einem offenen Brief schildert: „Ich werde behandelt wie ein Dissident in China“, schreibt Wong. Das Licht in der Zelle bleibe rund um die Uhr eingeschaltet, nur 15 Minuten Hofgang werden ihm täglich zugestanden.
Dennoch muss sich Joshua Wong, genau wie seine Mitstreiter Nathan Law und Agnes Chow, wohl auf eine sehr lange Zeit hinter Gittern einstellen. Am Mittwoch entscheidet nämlich ein Hongkonger Gericht über ihren Fall. Der Vorwurf wäre in demokratischen Staaten nichts weniger als eine Lappalie: Die drei Mittzwanziger sollen im Juni eine nicht autorisierte Versammlung vor Hongkongs Polizeipräsidium organisiert haben. Eine Verurteilung gilt dennoch als absolut wahrscheinlich, im schlimmsten Fall drohen gar fünf Jahre Haft. Für die Hongkonger Protestbewegung wäre dies ein zumindest symbolischer Todesstoß, schließlich gelten Wong, Law und Chow als die populärsten Köpfe des demokratischen Lagers.
Telefon-Hotline für Bespitzelung
Ein Blick zurück: Vor genau einem Jahr besetzten Hunderte Aktivisten die Polytechnische Universität Hongkong und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Damals genoss die Protestbewegung gegen Chinas exzessive Machtansprüche in der ehemals britischen Kronkolonie nicht nur breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung. Sie hatte auch Aussicht darauf, einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Seither jedoch hat sich das Blatt gewendet.
Mit dem Ausbruch der Coronapandemie kamen zunächst die allsamstäglichen Demonstrationen in der Innenstadt Hongkongs zum Erliegen. Chinas Staatsführung nutzte den Ausnahmezustand für den lang erwarteten Paukenschlag: Im Juni zwang die Kommunistische Partei den Hongkongern ein nationales Sicherheitsgesetz auf, das politische Opposition de facto unter Gefängnisstrafe stellte – gegebenenfalls unter dem Rechtssystem Festlandchinas. Seither wurden Dutzende Aktivisten festgenommen, Bibliotheken von kritischen Büchern gesäubert und Abgeordneten ihr Mandat entzogen. Zuletzt ist die Opposition im Parlament aus Protest geschlossen zurückgetreten, da ihre Arbeit zur Farce wurde. Junge Hongkonger haben sich ins Private zurückgezogen, Aktivisten setzen sich ins Ausland ab.
Die Stimmung in der Zivilgesellschaft ist von Euphorie in Resignation umgeschlagen. Die Polizeibehörden haben vor Kurzem eine Telefon-Hotline eingerichtet, bei der Bürger Vergehen gegen das nationale Sicherheitsgesetz melden können – eine Taktik, die nicht nur Paranoia innerhalb der Bevölkerung verbreitet, sondern auch an Stasi-Methoden erinnert. Dass sich die Situation in den nächsten Monaten entspannen könnte, scheint derzeit nahezu ausgeschlossen.
Druck auf Hongkongs Lehrer
Joshua Wong schreibt in seinem Brief aus dem Gefängnis, dass Peking sich „nach der Absetzung von Abgeordneten und der Verhaftung von Aktivisten als Nächstes das Bildungssystem vornehmen“werde. Tatsächlich hat die Lokalregierung im Herbst bereits zwei Lehrer abgesetzt, die „nicht regierungskonforme Inhalte“im Unterricht durchgenommen haben. „In einem Fall ging es ironischerweise um Redefreiheit“, schreibt Wong. Diese ist in Hongkong längst nicht mehr gegeben. Wer grundsätzliche Kritik am System äußert, muss mit einer Verhaftung rechnen.
Die Staatschefs der EU verfolgen die Situation in Hongkong natürlich mit Argusaugen. Letztendlich herrscht auch weitgehend Konsens über Chinas Unterdrückung der politischen Rechte der Bevölkerung. Pekings Vorgehen verstößt eindeutig gegen internationale Verträge. Doch bislang fand der Unmut der Europäer vor allem in entrüsteten Stellungnahmen Ausdruck. Es ist nicht zu erwarten, dass sie ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China beschädigen, um der Zivilgesellschaft Hongkongs beizustehen.
Zumindest nach außen hin gibt sich Joshua Wong jedoch nicht geschlagen: „Lassen Sie sich nicht täuschen, meine Inhaftierung ist nicht das Ende der Hongkonger Demokratiebewegung“, schreibt er aus seiner Zelle: „Ich kämpfe im Gefängnis zusammen mit anderen verurteilten Aktivisten – viel weniger sichtbar, aber trotzdem wesentlich im Kampf für Demokratie und Freiheit in Hongkong.“Schon in früher Jugend hatte der damalige Schüleraktivist bewiesen, dass er es auch mit staatlichen Autoritäten aufnehmen kann. Vor knapp zehn Jahren hielt er Reden und mobilisierte Zehntausende. Seinetwegen musste die Regierung Hongkongs 2012 Pläne für das umstrittene Schulfach „Moralische und nationale Erziehung“einstellen, zwei Jahre später führte er erstmals eine Demonstrationsbewegung an.
Neuer Wendepunkt nach Pandemie
Möglicherweise könnte ausgerechnet die Coronapandemie, die für das Verstummen der Protestbewegung im Frühjahr gesorgt hat, nun zu einem erneuten Wendepunkt führen. Wenn nämlich ein Impfstoff die Infektionsgefahr bannen sollte, dürften auch die Aktivisten wieder auf Hongkongs Straßen ziehen – und vielleicht zum letzten Mal.
Lassen Sie sich nicht täuschen, meine Inhaftierung ist nicht das Ende der Hongkonger Demokratiebewegung.
Der Aktivist Joshua Wong