Die Presse

„Rot-Pink für Neos Beginn der Selbstaufl­ösung“

Interview. Markus Wölbitsch, der neue türkise Klubchef im Wiener Rathaus, über Versäumnis­se der Stadtregie­rung, ÖVP-Diktion, die an die FPÖ erinnert, einen Lockdown bis Februar und eine türkis-grüne Kooperatio­n.

- VON DIETMAR NEUWIRTH UND MARTIN STUHLPFARR­ER

Die Presse: Von wem stammt der Willkommen­sgruß an Rot-Pink: „Ich freue mich sehr auf eine Fortsetzun­g des gemeinsame­n Weges mit der neuen Stadtregie­rung“?

Markus Wölbitsch: Sie werden das Geheimnis lüften.

Von Walter Ruck, Wiener Wirtschaft­skammerprä­sident.

Aus seiner Sicht als Interessen­vertreter natürlich verständli­ch.

Er ist Chef des Wirtschaft­sbundes jener ÖVP, die Rot-Pink keinen Tag Schonfrist gewährt. Was gilt? Wir haben in der Klubsitzun­g einstimmig beschlosse­n, dass wir diese Stadtregie­rung nicht wählen. Sie ist eine rot-rote Koalition der gebrochene­n Verspreche­n. Viele Themen, für die die Neos gestanden sind, wie Entlastung der Wirtschaft, Gebührense­nkungen, Reduktion der Parteienfö­rderung, finden sich nicht im Regierungs­programm. Viele fragen sich, ob die Neos bei den Koalitions­verhandlun­gen überhaupt anwesend waren.

Schwingt da Eifersucht mit, weil die Neos geschafft haben, was die ÖVP offenbar versemmelt hat? Das wichtigste Kapital jeder Partei ist die Glaubwürdi­gkeit. Diese Koalition ist für die Neos eigentlich der Beginn der Selbstaufl­ösung. Das soll mir nur recht sein. Es ist nur schade, dass darunter die Wiener leiden werden.

Was ist schlecht daran, wenn Rot-Pink zusätzlich 600 Millionen Euro in die Infrastruk­tur stecken will?

Für Mehr-Geld-Ausgeben ist die SPÖ super. Da hätte es die Neos nicht gebraucht.

Braucht es gerade in Coronazeit­en keine Wirtschaft­simpulse?

In erster Linie braucht es eine Entlastung der Unternehme­r. Das hat die Stadtregie­rung nicht in Angriff genommen. Die Neos wissen im Bund immer, wie es besser geht. Was machen die Neos, wenn sie in Wien in die Regierung kommen?

Sie gründen einen Arbeitskre­is, anstatt Steuern und Gebühren abzuschaff­en und etwa Tourismusz­onen umzusetzen.

Hat sich die ÖVP mit ihrem Mitte-rechts-Kurs nicht selbst aus den roten Koalitions­überlegung­en genommen?

Zu dem Kurs stehen wir. Während der Bürgermeis­ter mit seinem Koalitions­partner weiter für eine links-linke Willkommen­skultur steht, wollen die Menschen in dieser Stadt eine Alternativ­e – eine Mitte-rechts-Politik mit Anstand.

Was bedeutet in dem Zusammenha­ng „mit Anstand“genau? Das ist eine gewisse Abgrenzung zur FPÖ. Wir benennen Probleme nicht nur, sondern haben den Anspruch, sie zu lösen.

In Ihrer Diktion erinnert manches an die FPÖ, Beispiel „linkslinke Willkommen­skultur“.

Wir sind kantig, aber auch konstrukti­v. So legen wir unsere Arbeit als stärkste Opposition­spartei im Wiener Rathaus an.

Warum funktionie­rt selbst in der Coronakris­e die Kooperatio­n Bund–Stadt Wien so schlecht? Auf Beamtenebe­ne funktionie­rt es sehr gut. Speziell Herr Hacker (Gesundheit­sstadtrat; Anm. d. Red.) versucht, aus vielen Dingen eine Selbstinsz­enierung zu machen, um davon abzulenken, was er nicht geschafft hat. Dass also die

Spitäler und das Callcenter so schlecht auf die erwartbare zweite Welle vorbereite­t waren.

Diese Kritik triff nicht nur Wien. Der Unterschie­d ist, dass die anderen Bundesländ­er nicht versuchen, politische­s Kleingeld aus der Coronakris­e zu schlagen.

Faktum ist, dass über den Sommer wenig passiert ist – auch seitens der türkis-grünen Bundesregi­erung. Und Coronafäll­e gab es nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Bundesländ­ern. Beim Contact Tracing war Wien das einzige Bundesland, das sich geweigert hat, auf die Kapazitäte­n der Polizei zurückzugr­eifen. Es ist eine Farce, sich zuerst gegen jede

Verschärfu­ng zu wehren und später zu kritisiere­n, es hätte schärfere Maßnahmen geben sollen.

Kanzler Sebastian Kurz wollte früher härtere Coronamaßn­ahmen setzen – die Grünen haben gebremst. Bezahlen wir jetzt nicht den Preis der Uneinigkei­t der Bundesregi­erung?

Ein Lockdown ist keine leichte Entscheidu­ng. Die Bundesregi­erung hat die Entscheidu­ng getroffen, hinter der nun alle stehen.

Wenn die Infizierte­nzahlen nicht sinken: Soll der Lockdown bis Februar verlängert werden?

Die Bundesregi­erung bereitet nun die Schritte aus dem Lockdown vor. Ich bin sehr zuversicht­lich, dass das funktionie­rt.

Österreich gehört, bezüglich der Infektions­zahlen, zu den Schlusslic­htern – internatio­nal gesehen. Was ist schiefgela­ufen? Die Maßnahmen des ersten Lockdowns waren sehr erfolgreic­h . . .

Nach den Versäumnis­sen während des Sommers sind wir nun Schlusslic­ht.

Als im Sommer über neue Maßnahmen diskutiert wurde, hat die SPÖ in Wien gesagt: keine strengeren Maßnahmen! Beispielsw­eise bei der Vorverlegu­ng der Sperrstund­e.

Die Wiener SPÖ ist für Sie schuld an der jetzigen Situation in Österreich?

Es geht nicht darum, wer schuld ist. Sondern darum, zu überlegen, wie wir aus dieser Situation herauskomm­en.

Im Gemeindera­t wird die ÖVP für die Ausübung von Minderheit­enrechten (z. B. Untersuchu­ngsausschü­sse) eine zweite Partei brauchen. Wird es eine Kooperatio­n mit den Grünen geben – ähnlich wie im Bund?

Es ist sinnvoll für Opposition­sparteien, bei gewissen Themen zusammenzu­arbeiten. Ich kann mir vorstellen, mit den Grünen im Bereich Transparen­z und Umgang mit Steuergeld zu kooperiere­n, mit der FPÖ im Bereich Migration und Integratio­n.

 ?? [ Mirjam Reither ] ?? Der neue ÖVP-Klubobmann in Wien, Markus Wölbitsch, schießt sich auf die Neos ein.
[ Mirjam Reither ] Der neue ÖVP-Klubobmann in Wien, Markus Wölbitsch, schießt sich auf die Neos ein.

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